Frage an Katrin Göring-Eckardt von André M. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Katrin Göring-Eckardt,
wie bewerten Sie den Aufruf die Justiz muss transparenter werden? (https://www.heise.de/meinung/Best-of-Informationsfreiheit-Die-Justiz-muss-transparenter-werden-4871602.html) Welche Position nimmt hier Bündnis 90/Die Grünen ein und welche Anträge usw. wurden hierzu bereits eingebracht?
Freundliche Grüße
Sehr geehrter Herr Munch,
vielen Dank für Ihre Frage an Frau Göring-Eckardt. Sie hat uns gebeten, Ihnen zu antworten.
Das Grundanliegen des Artikels von Arne Semsrott ist richtig und wird von der grünen Bundestagsfraktion geteilt. Über die Rechtsprechungsportale des Bundes, der Länder und der einzelnen Gerichte, kommerzielle Angebote und die grundsätzliche Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen hinaus bedarf es größerer Transparenz und der Verbesserung von Akteneinsichts-und Auskunftsrechten gegenüber der Justiz. Denn was als veröffentlichungswürdig angesehen wird, bestimmen die Gerichte selbst. Hier muss der Maßstab des öffentlichen Interesses konkretisiert werden.
Allerdings: Persönlichkeitsrechte, andere Grundrechte, das Resozialisierungsinteresse, Belange laufender Verfahren, auch Geschäftsgeheimnisse müssen gewahrt bleiben. Die Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen, deren notwendiger Umfang umstritten ist, ist für die Justiz hochaufwendig. Vielleicht lässt sich manches künftig durch Einsatz von KI vereinfachen, nicht aber dort wo es um die genannten Schutzbedürfnisse geht. Wenn rund 60% der Fälle, in denen aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Sanktion zu verhängen ist, durch Einstellung mit (z.B. Geld-)Auflagen oder Strafbefehl und in Fällen, die zur Anklage kommen bis zu 10% durch „Deals“ erledigt werden, dann sind Transparenzdefizite offensichtlich. Das gilt auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren, wo z.B. einem Mitglied der grünen Bundestagsfraktion von den Staatsanwaltschaften in Braunschweig und München der Zugang zu den (selbstverständlich zu anonymisierenden) Bußgeldbescheiden wegen des Diesel-PKW-Abgasbetrugs gegen Automobilhersteller verweigert wurde, weil angeblich das von der Strafprozessordnung geforderte berechtigte Interesse fehle. Das ist zudem eine Behinderung der Mandatstätigkeit.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft ist reformbedürftig und bedarf über Vorgaben in Richtlinien (Nr.23 RiStBV betr. Zusammenarbeit mit Medien), Konkretisierungen für Polizei und Staatsanwaltschaft im jeweiligen Landesrecht, Verwaltungsanweisungen und den Landespressegesetzen hinaus zureichender Rechtsgrundlage im Bundesrecht. Der Deutsche Juristentag hatte sich bereits 2016 - auch unter aktiver Beteiligung von Vertretern der grünen Bundestagsfraktion - mit großer Mehrheit für die Aufnahme eines medienrechtlichen Auskunftsanspruchs in die Strafprozessordnung eingesetzt. Die Koalition hat das bisher genau so wenig aufgegriffen wie das von uns seit langem geforderte Medienauskunftsrecht gegenüber Bundesbehörden (zuletzt Bundestagsdrucksachen 19/4572 und 19/13600). Verbesserung der beruflichen Recherche von Journalist*innen war Anlass unserer Forderung nach Streichung von § 353d Nr.3 StGB, des strafrechtlichen Verbotes bestimmter Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (Bundestagsdrucksache 18/10036 sub I. 3c) und S.8).
Sie sehen, das Thema ist in der grünen Bundestagsfraktion Teil ihrer justizpolitischen Agenda. Nächste Gelegenheiten zur Thematisierung bieten ggf. das Vorhaben der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und ggf. eine künftige Koalitionsvereinbarung.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt