Frage an Katrin Göring-Eckardt von Stephan M. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,
im Kreise von Freunden, Kollegen und Kolleginnen diskutieren wir mit Sorge immer wieder über den in Deutschland sichtbarer werdenden Extremismus. Eine interessante These ist dabei, dass die Extrempositionen, egal ob politisch oder religiös immer latent vorhanden sind, allerdings normalerweise durch eine stabile Mitte mehr oder weniger überdeckt werden.
Da diese Mitte aber aktuell nicht mehr die Integrationskraft hat, wie sie es schon hatte, werden diese Pole sichtbar. Der Umgang mit dem Extremismus in Form von „Haltung zeigen“, ist zwar gut gemeint, greift aber zu kurz, da er die latent in jedem Menschen vorhandenen und abgelehnten Potentiale vor allem bei dem Gegenüber sieht, dem er Extremismus zum Vorwurf macht.
Die Frage, die sich für mich daraus ergibt: Wäre der sinnvollste Umgang mit Extremismus nicht derjenige, der neben dem „Haltung zeigen“, allen Menschen vermittelt, dass keiner frei von diesen Potentialen ist und dass es gilt, gemeinsam Strategien zu erarbeiten, damit diese Potentiale nicht Überhand nehmen? Was würde es nützen, wenn wir durch „Haltung zeigen“ etwas Zeit gewinnen würden und am Ende nur die Spaltung vertiefen in gute und schlechte Menschen, denn Ausrotten lässt sich diese Hydra auf diesem Wege wohl kaum?
Die Frage ist natürlich in diesem Zusammenhang auch, ob Politik so etwas überhaupt leisten kann, da sie ja grundsätzlich materialistisch, im Sinne einer Herstellung von Gerechtigkeit über das staatliche Gewaltmonopol, orientiert ist und ob solche Themen eher in der Theologie, Religion, Philosophie oder Psychologie zu verorten sind?
Mit freundlichen Grüßen
S. M.
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Frage. Wir antworten im Auftrag von Frau Göring-Eckardt.
„Haltung zeigen“ heißt zunächst erstmal: Zeigen, wofür man steht. Wir alle stehen für bestimmte Werte und Überzeugungen, für die wir gern auch streiten. Ob mit Freunden am heimischen Küchentisch oder im Plenarsaal des Bundestages ist da erstmal egal. Wir alle stehen in einem ständigen Austausch darüber, welche Werte und Vorstellungen für unserer Leben und, in Verlängerung, für unser Zusammenleben in unserem Land wichtig sind. Haltung in einer demokratischen, pluralen Gesellschaft heißt: Das ist mir wichtig. Manches ist mir so wichtig, dass ich nur schwer bereit bin, Kompromisse in dieser Frage einzugehen.
PolitikerInnen tragen Verantwortung, nicht nur für politische Entscheidungen, sondern auch für den Ton und Inhalt öffentlicher Debatten. Sie haben damit auch eine Vorbildwirkung. Haltung zeigen heißt hier: Orientierung geben. Die übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land will weder Hass noch Extremismus. Sie will auch keine Verrohung der Sprache in der öffentlichen Debatte, genauso wenig wie in der Familie oder am Arbeitsplatz. Sie zu vertreten, ihnen eine Stimme zu geben, ist Aufgabe von verantwortungsvoller Politik. Diese übergroße Mehrheit steht in der Mitte unserer Gesellschaft. Insofern teile ich Ihre Annahme nicht, dass die gesellschaftliche Mitte nicht mehr ausreichend Integrationskraft hat. Diese Menschen wählen demokratische Parteien, engagieren sich vor Ort, nehmen am gesellschaftlichen Leben teil.
Möglicherweise, darüber kann man debattieren, wird die öffentliche Debatte kompromissloser und wir sind immer weniger bereit, Kompromisse einzugehen. Gesellschaftliches Zusammenleben erfordert aber Kompromiss und Rücksicht. Meine Freiheit ist durch die Freiheit der anderen beschränkt, sie endet dort, wo sie andere Menschen einschränkt. Verständigung und Kompromiss gehören zur Demokratie dazu. Andere Werte wiederrum sind für die Demokratie so fundamental, dass es schwierig vorstellbar erscheint, hier Kompromisse einzugehen. Ich denke an Freiheit, Pluralismus, das Recht auf freie Entfaltung, Meinungsfreiheit. Es ist auch Aufgabe von Politik, nicht nur über materielle Fragen, sondern auch über diese immateriellen Werte Debatten zu führen.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen beantworten oder zumindest Denkanstöße vermitteln.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt