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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Heiko M. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Heiko M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Lieber Frau Göring-Eckardt,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Politik und unserem Wahlsystem im speziellen. Ich habe über unser derzeitges System nachgedacht und frage mich, warum wir zwar Vertreter unserer Interessen wählen können, nicht aber unsere Interessen selbst vertreten können?

Warum müssen wir erst eine Partei wählen die für uns entscheidet, wenn wir doch mittlerweile technisch in der Lage sind uns selbst schnell mit Informationen zu versorgen und auch selbst abzustimmen (Internet).

Wenn ich mir die Einzelnen Wahlprogramme der Parteien anschaue, dann stimmt immer nur ein Teil meiner Interessen damit überein. Wenn ich Projekte, einzelne Gesetzesänderungen etc. direkt wählen könnte, wäre ich in meinen Entscheidungen viel freier. Außerdem hätte ich dann ein besseres Gefühl, da eine Masse von Einzelnen nicht so leicht durch Lobbyisten manipuliert werden kann. Und ich müsste nicht die Partei wählen, die mir am meisten verspricht, sondern wähle direkt das Versprechen.

Unser aktuelles System war aus meiner Sicht berechtigt, weil es früher schlicht unmöglich war Bürger direkt an einer Vielzahl von Entscheidungen zu beteiligen. Volksabstimmungen können aber doch heute unter Zuhilfenahme von modernen Kommunikationsmitteln sehr viel schneller bewerkstelligt werden.

Ich frage Sie, welche Vorteile hat unsere aktuelle repräsentative Demokratie gegenüber einer von Parteien bzw. Politikern befreiten Basisdemokatie?

Ich weiß natürlich, dass Sie sich ungerne selbst abschaffen würden, aber ich schätze Ihre Arbeit und Ihre Person, sodass ich einfach auf eine ehrlich Antwort hoffe.

Was kann ich als Einzelner unternehmen um mein Interesse, dem Wechsel der repräsentativen in eine parteien- und poltikerlosen Basisdemokratie zu vertreten? Normalerweise würde man ja eine Partei wählen, dass kann ich ja nicht, weil ich genau diese ja abschaffen möchte.

Ist ein Wechsel des System überhaupt möglich? Wenn ja, was genau kann ich tun?

Vielen Dank

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mettelsiefen,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Sie werfen eine Reihe von spannenden Fragen auf, mit denen sich die politische Philosophie schon seit vielen Jahrzehnten, Jahrhunderten beschäftigt.

Sie fragen nach den Vorteilen der repräsentativen parlamentarischen Demokratie gegenüber der direkten Demokratie. Über diese Frage kann trefflich gestritten werden. Ich will Ihnen drei Aspekte nennen (und es gibt noch einige mehr):

Die repräsentative parlamentarische Demokratie stellt sicher, dass die Interessen von Minderheiten gehört und im politischen Verfahren berücksichtigt werden. Man sagt, man erkenne die Qualität einer Demokratie an ihrem Umgang mit Minderheiten. Bei direkter Demokratie hingegen gewinnt immer die Mehrheit der jeweiligen Abstimmung, Minderheitenpositionen bleiben unberücksichtigt.

Nicht jedes politische Thema lässt sich zudem auf einfache Fragen reduzieren, die mit Ja oder Nein hinreichend beantwortet wären. Wir leben in einer zunehmend komplexen Welt, bei der politische Entscheidungen ein hohes Maß an Hintergrundwissen erfordern. Politiker erledigen ihre Arbeit in Vollzeit, können sich in Themen einarbeiten und entwickeln sich im Laufe einer Legislatur oftmals zu Experten ihrer jeweiligen Themenfelder. Abgeordnete verfügen zudem über einen ganzen Stab an MitarbeiterInnen, die sie beraten.

Zudem wissen wir, dass direktdemokratische Abstimmungen nicht per se zu besseren, gar demokratischeren Entscheidungen führen. Bei Volksabstimmungen nimmt nicht etwa “das Volk“ teil, sondern eben auch lediglich eine mehr oder minder kleine Gruppe im Volk, die durch ein spezielles Thema mobilisiert wird und entsprechend informiert ist.

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Argumente, die sich vorbringen lassen würden. Und gewiss lässt sich für jedes auch ein Gegenargument finden. Aber das tut hier nichts zur Sache, denn ohnehin geht es ja nicht um das eine oder andere System in Reinform. Bereits jetzt gibt es auf vielen Ebenen die Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, sich an politischen Prozessen zu beteiligen und diese sind nicht allein auf Volksabstimmungen beschränkt. Wir Grüne streiten seit langem für die Ausweitung dieser Verfahren. Wie so oft also kommt es auf den richtigen Mix der Entscheidungs- und Mitbestimmungsformen an.

Übrigens, erlauben Sie mir bitte diese Anmerkung, müssen Sie nicht erst eine Partei wählen, damit Ihre Interessen vertreten werden, wie Sie schreiben. Alle Parteien freuen sich über Bürgerinnen und Bürger, die sich einbringen, für ihre Ideen diskutieren und um Positionen ringen. Die vielleicht gar Mitglied werden und sich engagieren, und sei es nur punktuell. Viele Neumitglieder sind immer wieder überrascht, wie schnell sie an Entscheidungen beteiligt werden, wie schnell sie mitmachen können. Klar: Nicht immer findet die eigene Position Gehör oder wird 1:1 umgesetzt. Aber das ist Demokratie!

Mit freundlichen Grüßen
Büro Göring-Eckardt

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