Frage an Katrin Göring-Eckardt von Wilfried M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Göring-Eckart,
die Lektüre von "Die sozialistische Zukunft" (Link 1) erbrachte für mich interessante Informationen auch zu dem leidigen Thema "Rechtsstaat"/"Unrechtsstaat" und über diverse - womöglich vorbildliche - Entwicklungen in Lateinamerika (S. 211 f) vor dem Hintergrund dortiger historischer Erfahrungen (darunter die von blutigen Auseinandersetzungen auch mit diversen sich christlich Gebenden aus Europa und Nord- Amerika).
Ein Beispiel:
Seit Ende 2011 können die Bolivianer die Personalspitze der nationalen Gerichtsbarkeit per Stimmzettel ernennen, ist zu lesen.
Im "Neuen Deutschland" hatte es seinerzeit unter Berufung auf Aussagen des Präsidenten der Abgeordnetenkammer geheißen, es handele sich um einen "weltweit einzigartigen" Prozess (2).
Hierzu meine Fragen an Sie als transatlantisch und überhaupt vernetzte B90/GRÜNE- Parteifunktionärin und Absolventin eines Theologie- Studiums:
1. Würde es sich Ihrer Auffassung zufolge um einen deutschen Rechtsstaat handeln, sollten hierzulande irgendwann auch einmal die Richter wenigstens der Obergerichte der Länder und des Bundes vom Volk -und nicht von Leuten der so genannten "Volksparteien" - gewählt werden?
2. Meinen Sie, man könnte in Deutschland bald eine Mehrheit von Wählern für eine entsprechende Justizreform gewinnen?
3. Falls Sie die Frage 2 verneinen: Wer und was würde Ihrer Auffassung zufolge gegen eine solche Demokratisierung sprechen?
Ich bitte um wahrheitsgemäße und vollständige Antworten.
Mit frdl. Grüßen
Dipl. med. W. Meißner
Verein Anti-Korruption . Reformation 2014
(1. Vorsitzender)
Deutsches Institut für Totalitarismusabwehr
1) (Untertitel: "Kein Ende der Geschichte") von Klaus BLESSING, Edition Berolina 2014
2) http://www.neues-deutschland.de/artikel/197387.in-bolivien-werden-die-hoechsten-richter-gewaehlt.html
Sehr geehrter Herr Meißner,
vielen Dank für Ihre Frage. Eine demokratische Legitimation der dritten Gewalt ist für das Funktionieren der Demokratie essenziell wichtig. Absprachen in Hinterzimmern schwächen die Stellung der Gerichte. Deswegen unterstützen wir, dass die Kandidatinnen und Kandidaten für unser oberstes Gericht, das Bundesverfassungsgericht, sich demnächst im Bundestag vor ihrer Wahl vorstellen sollen. Siehe dazu http://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2009/juli/wahlverfahren-der-richterinnen-und-richter-am-bundesverfassungsgericht_ID_293281.html . Den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Deutschen Bundestages finden Sie unter Drucksache 18/2737 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/027/1802737.pdf
Ihren weitergehenden Vorschlag betrachte ich jedoch mit Skepsis. Hier meine ich anders als sie, dass eine Direktwahl der Richter der obersten Bundes- und Landesgerichte die Justiz nicht demokratischer werden lassen würde. Im Gegenteil: Urteile sollen unvoreingenommen und unparteiisch gesprochen werden. Wie wäre diese Neutralität der Gerichte noch gewährleistet, wenn der Ernennung ein Wahlkampf vorausgehen würde oder eine Wiederwahl folgen soll? Richterinnen und Richter sollten Gerichtsverfahren nicht mit Blick auf ihre spätere Popularität führen. Dem Bundesverfassungsgericht ist es gelungen, durch die hohe Qualität seiner Urteile und seine Unvoreingenommenheit gegenüber der Politik eine Stellung im Verfassungsgefüge zu erhalten, die weltweit seines Gleichen sucht. Sie berufen sich auf das Beispiel Boliviens. Das Bundesverfassungsgericht ist ebenfalls vorbildhaft für viele Demokratien auf der Welt, auch in Lateinamerika. Seine Stellung stärkt es, in dem es sich strikt am Grundgesetz orientiert - auch und gerade weil Gesetze des Bundestages nicht selten für nichtig erklärt werden. Diesen Status gilt es zu erhalten.
Mit freundlichen Grüßen,
Goering-Eckardt Katrin