Frage an Katrin Göring-Eckardt von Guntram S. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,
Bei der Abstimmung zum Thema Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen haben Sie für die Zulassung von Beschneidungen gestimmt.
Als Christ hätte ich erwartet, dass Sie die Auffassung vertreten, dass die Beschneidung von Kindern aus religiöser Sicht gerade NICHT not tut, sondern dass hier ein Ritual vorliegt, welches mittlerweile aufgrund der wesentlich verbesserten hygienischen Bedingungen in westlichen Ländern seine Sinn verloren hat.
Stehen historisch gewachsene "Glaubens"-Auffassungen ÜBER den Rechten der Kinder?
Besteht hier nicht auch die Gefahr, dass Politiker aus historischem Opportunismus heraus zu feige sind, ihre eigene Meinung zu vertreten, weil sie sich nicht trauen, jüdischen Interessen ihre eigenen Interessen entgegen zu halten?
Bedeutet "Toleranz", dass heute Minderheitsauffassungen mehr Gewicht in der "Demokratie" haben als die einer statistischen Mehrheit?
Ist es noch "Demokratie", wenn sich regelmäßig in Deutschland Minderheiten mit ihren Interessen und Meinungen durchsetzen, ob das nun die Vorstandsvorsitzenden von Banken, die Vorsitzenden von Gewerkschaften, die hohen Vertreter von Religionsgemeinschaften und ethnischen Minderheiten sind (alle übrigens Vertreter der materiellen OBERSCHICHT)?
Wäre es ein wesentlich besserer demokratischer Ansatz, bei derart kontrovers diskutierten ethischen Fragen einmal tatsächlich das VOLK zu befragen, zumal ja selbst bei Angehörigen des Judentums und des Islams derartige Riten nicht unumstritten sind?
Ist eine Volksbefragung auch aus strategischer Hinsicht bei unbequemen Fragen ein besserer Lösungsansatz, wie er sich beispielsweise bei "Stuttgart 21" bewährt hat, da dort nun klar ist, dass die "Bahnhofgegner" nur eine Minderheit sind.
Wieviel haben Riten wie die Beschneidung tatsächlich mit Glauben zu tun, und inwieweit dienen sie allein der Aufrechterhaltung einer Machtinstanz, nämlich der der jüdischen und islamischen Glaubensführer?
Sehr geehrter Herr Seiß,
vielen Dank für Ihre Mail. Das Gebot, die männlichen Nachkommen beschneiden zu lassen, ist für Eltern jüdischen Glaubens zentral und für die meisten muslimischen unverzichtbar. Die Beschneidung ist also Teil jüdischer und muslimischer Glaubensüberzeugung und vom Grundgesetz geschützt, das freie Religionsausübung garantiert. Mit dem Urteil des Landgerichts Köln ist Unsicherheit darüber entstanden, ob eine Beschneidung das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Der Gesetzgeber hat daraufhin im parlamentarischen Verfahren geprüft, wie dir Rechtsgüter Kindeswohls, körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Erziehung in Einklang gebracht werden können. Die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und das Recht des Kindes als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied einer Religionsgemeinschaft aufzuwachsen, sind beides Aspekte des Kindeswohls. Nach Anhörung aller Argumente und Abwägen der Interessen sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestags mehrheitlich zur Überzeugung gelangt, dass Eltern das Recht haben, der Beschneidung ihres männlichen Kindes zuzustimmen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Davon, dass die Abgeordneten dabei frei und nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben, darf sicher ausgegangen werden. Und es ist gerade Aufgabe der Demokratie und der vom Volk beauftragten VertreterInnen, auch Minderheiten zu schützen. Es gibt innerhalb des Judentums und der muslimischen Gemeinschaften Diskussionen darüber, inwieweit die Beschneidung für die religiöse Praxis konstitutiv ist. Möglicherweise wird es hier Entwicklungen geben. In diese von außen einzugreifen kommt dem Staat jedoch nicht zu. Seine Aufgabe ist es, freie Religionsausübung zu garantieren und jüdische und muslimische Glaubenspraxis in Deutschland zu ermöglichen.
Mit vielen Grüßen,
Büro Katrin Göring-Eckardt