Frage an Katrin Göring-Eckardt von Janina M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Goering-Eckhardt,
auf diesem Wege darf ich Ihnen zunaechst zu Ihrem grossartigen Ergebnis bei der Urwahl der Gruenen gratulieren. Ich habe mich sehr fuer Sie gefreut.
Mit grosser Ueberraschung habe ich allerdings die Plaene der Gruenen zur deutlichen Erhoehung der Arbeitslosengeld II-Saetze auf 420 Euro wahrgenommen. Zudem war ich darueber verwundert , dass Sanktionen gegen arbeitsunwillige ALG II-Empfaenger bei Ablehnung einer zumutbaren Arbeit entfallen sollen.
Ich arbeite jahrelang beim Jobcenter in der Beratung und in der Vermittlung von schwervermittelbaren Personen. Es gibt engagierte und zuverlaessige Kunden, die aktiv Arbeit suchen, aber meine langjaehrige Erfahrung zeigt auch, dass es sehr viele Personen gibt, die sich nur sehr eingeschraenkt um eine neue Beschaeftigung bemuehen. Es ist eine Ohrfeige fuer die Menschen, die jeden Tag hart ihrer Arbeit nachgehen, wenn Arbeit suchende Personen einfach zumutbare Arbeiten ablehnen duerfen, sich also gesetzeswidrig verhalten und trotzdem keine Konsequenzen drohen.
Bei einer Erhoehung der ALG II-Saetze auf 420 Euro bestaende fuer viele Arbeit suchende Menschen kaum ein Anreiz eine Beschaeftigung aufzunehmen, gerade fuer Personen mit geringer Qualifikation. So halten Sie diese vom Arbeitsmarkt fern und helfen diesen Menschen nicht. Abgesehen davon bedeutet die von Ihnen geplante Erhoehung der ALG II-Saetze auf 420 Euro, dass eine Steigerung dieser Leistung von 2005 bis 2013 in Hoehe von knapp 22 Prozent stattfinden wuerde. Welche arbeitende Person hat in selben Zeitraum denn eine derart emense Lohnerhoehung erhalten? Hier fehlt jegliches Mass zwischen arbeitender und arbeitsloser Bevoelkerung.
Ich moechte nicht den Sozialstaat einschraenken, aber Ihre Forderungen sind kontraproduktiv fuer die Arbeitslosen, da Sie diese so eher vom Arbeitsmarkt fernhalten und eine Integration in Arbeit erschwert wird.
Warum kommen Sie zu diesen Forderungen?
Ich danke Ihnen fuer Ihre Antwort.
J. Meier
Sehr geehrte Frau Meier,
vielen Dank für ihr Schreiben zum Thema Arbeitslosengeld II.
Die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/ Die Grünen hat in der Tat die Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II, sowie ein zweijähriges Sanktionsmoratorium beschlossen. Bündnis 90/Die Grünen haben im Deutschen Bundestag wiederholt deutlich gemacht, dass das ALG II so ausgestaltet werden muss, dass es dem sozialstaatlichen Gebot der Deckung des Existenzminimums für alle Menschen Rechnung trägt.
Wir wollen den Regelsatz für Erwachsene auf 420 Euro erhöhen. Die Berechnung muss verfassungskonform gestaltet werden – denn Grundrechte sind nicht verhandelbar. Schwarz-Gelb hat einen systematischen Fehler bei der Berechnung begangen, indem so genannte „verdeckte Arme“ und „kleine Aufstocker“ (Zuverdienst bis 100 Euro) in die Bezugsgruppe für die Berechnung aufgenommen wurden. Wird diese Gruppe herausgenommen, ergibt sich nach unseren damaligen Berechnung ein ALG II –Satz, der um 17 Euro höher liegen müsste. Darüber hinaus muss der Regelsatz die wichtigsten Ausgaben, die für eine Teilhabe an der Gesellschaft notwendig sind, berücksichtigen. Daher muss nach unserer Auffassung der Satz um etwa 30 Euro aufgestockt werden. Somit ergibt sich eine ein neuer Gesamtregelsatz von etwa 420 Euro. Diese Erhöhung ist strukturell bedingt, sie wird nicht mit der regulären Anpassung (Inflationsausgleich plus Lohnentwicklung) verrechnet. Eine genaue Berechnung der Erhöhung muss 2014 auf Basis der neuen statistischen Daten erfolgen.
Die dadurch entstehenden Kosten können teilweise durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in der Höhe von 8,50 Euro aufgefangen werden, da dadurch mehr Menschen in regulärer Beschäftigung tätig wären. Dadurch bliebe auch der von Ihnen geforderte Einkommensabstand zwischen Erwerbssuchenden und Erwerbstätigen bestehen.
Aus dem System des Fördern und Forderns ist ein reines Fordern geworden. Die ständig steigende Zahl an Klagen gegen die Sanktionen sind ein Beleg dafür. Wir wollen eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe und gegenseitigem Respekt. Sie muss auf Hilfe, Motivation und Anerkennung beruhen und nicht auf Bestrafung und Demütigung. Viele EmpfängerInnen von ALG II sind auch deswegen desillusioniert weil die Situation in den Job Centern teilweise keine wirkliche individuelle Betreuung zulässt. Der überwältigende Teil der Arbeitssuchenden wünscht sich eine neue Arbeitsstelle, werden aber durch eine schematische Fallbearbeitung mittels EDV-Masken und ein System des Sanktionierens abgeschreckt. Die Job Center müssen zu einer kompetenten Anlaufstelle für Arbeit, Bildung und beruflicher Entwicklung werden mit einem qualifizierten, individuellen und umfassenden Fallmanagement.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Katrin Göring-Eckardt