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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Christian S. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Christian S. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

am 14.04.2011 las ich, dass Ihr Parteikollege Sven Lehmann, Landesvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, die Karfreitagsruhe in diesem Bundesland abzuschaffen gedenkt. Der Presse ist zu entnehmen, dass er unter anderem folgendes formulierte: "Es kann nicht sein, dass die Minderheit der Leute, die christlichen Glauben aktiv praktiziert, der Mehrheit vorschreibt, wie sie den Tag zu verbringen hat, und ihr durch das Verbot bestimmter Veranstaltungen den Abend vermiest".

Meinem Kenntnis- und Erfahrunsstand nach wird niemand daran gehindert, auch am Karfreitag seiner spaßgesellschaftlichen Feierlaune zu frönen - so lange er dies in privatem Rahmen und nicht öffentlich macht, mithin kein Gartenfest veranstaltet, sondern in den Partykeller zieht. Insofern stellt ein solcher Vorstoß schon einen Affront gegenüber der christlichen Tradition dar: Karfreitag und Ostern dürften als christliche Gedenk- und Feiertage wichtiger sein als das Weihnachtsfest.

Zwar mögen die konkreten Vorschriften der Landesgesetzgebung aus heutiger Sicht etwas befremdlich erscheinen, ist man den Schutz spezifisch christlicher Werte und Einrichtungen doch kaum mehr gewohnt, aber gerade deshalb erfreut es mich, dass es sie noch gibt.

Dass Herr Lehmann seinen Karfreitagsabend vermiest (!) sieht, da er aus Achtung und Respekt vor einem der wichtigsten Gedenktage des Christentums ausnahmsweise auf den Besuch fröhlicher Veranstaltungen verzichten soll und im Gegenzug dafür ein besonders "langes Wochenende" erhält, obgleich ihm dessen Grundlage gleichgültig zu sein scheint, halte ich - gelinde gesagt - für lächerlich.

Mich würde interessieren, wie Sie zu der Forderung Ihres Parteikollegen stehen - in Ihrer Funktion als Fraktionsmitglied von Bündnis90/DIe Grünen im Bundestag und als Präses der Synode der EKD.

Für Ihre Antwort bereits jetzt vielen Dank - mit freundlichem Gruß

Christian Schneider

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihr Schreiben.

Die Grünen stehen für religiöse Vielfalt, Pluralität und Toleranz. Deshalb diskutieren sie lebhaft und wenn nötig auch kontrovers über Religion in unserer Gesellschaft. Menschen aller Religionen zu einem gesellschaftlichen Grundkonsens zusammenzuführen, ist eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben für jede demokratische Partei.
Der angemessene Umgang mit dem Karfreitag ist, angestoßen durch die Äußerungen des Fraktionsvorsitzende der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Sven Lehmann, auch innerhalb der Grünen diskutiert worden. Die kirchenpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion Sigrid Beer beispielsweise, vertritt eine andere Haltung als Sven Lehmann ( http://www.sigrid-beer.de/index.php?ID=1110 ). In gleicher Weise hat sich Katrin Göring-Eckardt geäußert.

Die Feiertags-Gesetze der Bundesländer sehen vor, dass am Karfreitag als "stillem Tag" (z.B. § 8 HessFeiertagsG; § 6 Feiertagsgesetz NW) keine Tanzveranstaltungen abgehalten werden dürfen. Bündnis 90/Die Grünen können nachvollziehen, dass die Begründung und Herkunft dieses Gesetzes aus dem christlichen Kontext von Nichtchristen und Atheisten nicht geteilt wird, aber sie tolerieren die religiösen Gefühle der Gläubigen, die diesen Tag würdig begehen möchten. Zudem erachten sie die dahinterstehende Idee als positiv:
Als eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips und als Beitrag zum Schutz des Familienlebens, also aus sozialpolitischen Erwägungen heraus, hat der Verfassungsgeber Sonn- und Feiertage besonders geschützt. Dabei obliegt es selbstverständlich dem Einzelnen, wie er diese Tage ausfüllt. Sogenannte "stille" Feiertage können dabei nochmals verstärkt diesen Zielen dienen. Zudem liegt es im Interesse des Staates, aus Sorge um eine zunehmend materialistisch geprägte Welt, die Gefahr läuft, sich in Konsum und Vergnügen zu vergessen, hierzu einen Kontrapunkt zu setzen.

Stress und Hektik bestimmen mehr und mehr unseren gesellschaftlichen Alltag. Daher wird ein stiller Feiertag für unsere Gesellschaft benötigt, an dem sie auf sich selbst zurückgeworfen wird. Ein stiller Feiertag bietet Zeit zur Besinnung und Zeit für Gedanken über die verschiedenen Werte des menschlichen Zusammenlebens. Die Frage nach der christliche Motivation bleibt dabei jedem selbst überlassen.

Die Anerkennung christlicher Feiertage widerspricht nicht der Säkularität des Staates. Aufgrund der christlich geprägten Kulturtradition, in deren Konsequenz die Bestimmung des Sonntages als wöchentlichem Ruhetag begründet ist, und aus der Zahl von über 50 Mio. Deutschen, die sich zu einem christlichen Glauben bekennen, lässt sich ein staatlicher Schutz von christlichen Feiertagen rechtfertigen. Dies gilt ebenso für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, wenn sie dies wünschen und plausibel machen können. Die Säkularität des Staates verbietet diesem lediglich eine inhaltliche Ausfüllung des religiösen Feiertags.

Mit freundlichen Grüßen

Büro Katrin Göring-Eckardt

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