Frage an Katja Hessel von Olivia A. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Was halten Sie von der Derivate-Verlustrechnung: https://boerse.ard.de/anlagestrategie/steuern/verlustverrechnung-als-stolperfalle100.html ?
Sehr geehrte Frau Kessel,
ich komme aus einer sozial-schwachen Familie, habe mein Studium dennoch sehr gut abgeschlossen und einen guten Job. Dennoch bin ich finanziell meilenweit davon entfernt "wohlhabend" zu sein. Ich habe auch kein Erbe zu erwarten.
Der Derivate Handel, war für mich eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und hat für mich bekräftigt, dass die Herkunft nicht darüber entscheiden muss, welche Möglichkeiten für einen offen stehen. Ausserdem hat er eine Möglichkeit geboten als Frau finanziell unabhängig zu sein. Als Ziel hatte ich finanzielle Sicherheit und ein Startkapital für die Eröffnung eines eigenen Geschäfts.
Das neue Gesetz empört mich, da es mich der Möglichkeit beraubt, frei über meine Finanzen zu entscheiden.
Ich würde mich freuen, wenn Sie Stellung nehmen könnten. Noch mehr würde ich mich freuen, wenn der Finanzausschuss dieses Gesetz zurückziehen würde.
Viele Grüße
Olivia Achtelik
Sehr geehrte Frau A.,
vielen Dank für Ihre Frage.
In der Tat haben die Koalitionsfraktionen die Verlustverrechnung von Kapitaleinkünften im Dezember 2019 zum Nachteil vieler Anleger geändert.
Die damit neu eingeführte Regelung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG begrenzt die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften insoweit, als diese nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden können. Zudem ist die Verlustverrechnung auf einen Höchstbetrag von 10.000 Euro beschränkt.
Zwar können die nicht verrechneten Verluste auf Folgejahre vorgetragen jeweils in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden. Eine Verrechnung der Verluste mit anderen Kapitalerträgen ist allerdings nicht möglich.
Diese Einschränkung der Verlustverrechnung lehnen wir Freien Demokraten entschieden ab. Es ist höchst bedenklich, wenn einerseits alle Gewinne besteuert werden, aber andererseits Verluste nicht vollständig berücksichtigt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden.
Die neue steuerliche Regelung des § 20 EStG macht nicht nur die Praxis der Absicherung durch Derivate unattraktiv und legt Anlegern, die sich eigenverantwortlich um den Aufbau von Vermögen oder Altersvorsorge bemühen, unnötig Steine in den Weg.
Darüber hinaus bestehen ernste verfassungsrechtliche Zweifel gegen die beschränkte Verlustverrechnung: Zum einen widerspricht eine Einschränkung der Berücksichtigung von Verlusten dem steuerrechtlichen Grundprinzip der individuellen Leistungsfähigkeit. Zum anderen ist fraglich, ob die Norm dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt. Denn § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist derart ungenau ausgestaltet, dass bis heute nicht präzise bestimmt werden kann, welche Finanzinstrumente im Einzelnen von der Norm erfasst sind.
Aus diesen Gründen haben wir die Gesetzesänderung zur Nichtberücksichtigung von Kapitalverlusten abgelehnt. Wir haben zudem einen Entschließungsantrag in den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages eingebracht. Leider wurde dieser von den Fraktionen der Bundesregierung abgelehnt.
Daneben haben wir mit "Sparer schützen, Vermögensaufbau und Altersvorsorge fördern" (BT-Drs. 19/16794) einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um diese Neuregelung unverzüglich abzuschaffen. Auch künftig werden wir dieses Thema weiter auf unsere Agenda setzen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Mit freundlichen Grüßen
Katja Hessel