Frage an Katja Hessel von Christian R. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrte Frau Hessel!
Bei allem Handeln, auch wenn es dringend und nötig ist. sollte unsere Verfassung im Blick behalten werden sowie alle Auswirkungen, der von Ihnen getroffenen Entscheidungen.
Zu den Corona-Maßnahmen habe ich daher einige dringende Fragen.
1. Es gibt einen Risikobericht des Bundes von 2012, in welchem ziemlich exakt die aktuelle Krise beschrieben wird, sogar mit mutierten Corona-Viren als Auslöser.
Frage: Was wurde seither unternommen? Wieso wurde weiterhin versucht, das Gesundheitswesen profitabel zu machen (Feuerwehr und Polizei müssen schließlich auch keinen Profit erwirtschaften) und wieso wurden nicht ausreichend Schutzausrüstungen in den vergangenen Jahren angeschafft und vorgehalten?
2. Das RKI scheint derzeit die Politik zu bestimmen.
Frage: Werden neben dem RKI auch andere Experten als Entscheidungsgrundlage zu Rate gezogen? Man hat zumindest nicht den Eindruck. Falls doch, welche anderen Experten werden gehört?
Der Chef des RKI, Prof. Wieler, hatte sich immerhin zu Beginn der Krise eine krasse Fehleinschätzung geleistet. Am 22. Januar sagte er in der Tagesschau, dass nur wenige Menschen von anderen Menschen angesteckt werden können“ sowie am gleichen Tag auf 3Sat: : „Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreitet.“ (Quelle: https://www.merkur.de/welt/coronavirus-deutschland-tote-todeszahl-covid-19-rki-robert-koch-institut-zr-13640817.html) Auch jetzt arbeitet es mit Zahlen, die nicht valide sind. Es rät von einer Obduktion der Verstorbenen ab. (Quelle: https://meta.tagesschau.de/id/145479/rki-chef-wieler-zum-coronavirus-die-massnahmen-wirken)-
Wir wissen also nicht, wieviele Menschen tatsächlich dem Corona-Virus zum Opfer fallen.
Was fehlt ist eine Baseline oder Querschnittsstudie.
Frage: Wieso wird eine solche Studie als Entscheidungsgrundlage nicht mit Nachdruck verfolgt?
2. Auch die jetzigen Maßnahmen haben Opfer, wirtschaftliche aber auch medizinische. Ja, es gibt Erkrankte und Tote durch die jetzt bestehenden Maßnahmen.
Frage: Sind die Kollaterlopfer der getroffenen Maßnahmen im Blick?
Frage: Werden diese Opfer evaluiert?
Frage: Um wieviel Prozent haben die Suizide seit der Anordnung der Ausgangsbeschränkung zugenommen, um wieviel Prozent die Todesrate, abzüglich Corona-Fälle? Wie sehr hat die Gewalt zugenommen? Sind die Daten bekannt, wenn nein, wieso werden sie nicht eruiert?
Nicht wenige Mediziner und Psychologen warnen, diese können rasch die Zahl der Corona-Toten übersteigen.
Frage: Wird das ausreichend abgewogen und auch gemessen?
4. Ein Plan, eine Strategie ist derzeit nicht erkennbar. Eine Strategie benötigt nicht nur einen Zweck, sondern ganz konkrete Ziele, die vor allem realistisch erreichbar und meßbar/überprüfbar sein müssen. Vor allem ist dann auch zu überprüfen, ob die eingesetzten Mittel, dienlich sind, um das gesetzte Ziel zu erreichen.
Frage: Welche Strategie wird derzeit verfolgt?
Ich lasse mir eingehen, daß in einem ersten Schritt Notfallmaßnahmen getroffen werden. Dann aber muß eine Strategie entwickelt und kommuniziert werden. Dazu gehört auch eine Exit-Strategie, wie sie Ministerpräsident Laschet als einziger zur Recht anmahnt. Er wird aber ständig niedergebügelt mit dem Hinweis, nun sei nicht der Zeitpunkt für einen Exit. Dabei fordert er gar keinen Zeitpunkt, sondern einen Plan hierfür.
Frage: Ist die Forderung nach einem Plan nicht durchaus berechtigt und muß man nicht genau jetzt planen?
5. Unsere Grundordnung ist innerhalb dieser Krise diversen Übergriffen ausgesetzt.
Frage: Wie ist der vorerst gescheitere Versuch von Jens Spahn zu bewerten, selbst den Gesundheitsnotstand, ohne Einbeziehung des Parlaments, ausrufen zu können und dann quasi Gesetzgebungsbefugnis zu erhalten? Ist dies nicht ein Angriff auf unsere Gewaltenteilung?
Frage: Federstreichartig wurde mit der Neufassung des Infektionssschutzgesetzes der Föderalismus in diesem Bereich ausgehebelt, ist dies ein Verstoß gegen Artikel 20,1 GG?
Frage: Es werden aktuelle Grundrechte eingeschränkt, die nicht im Infektionsschutzgesetz aufgezählt werden. Doch Artikel 19 GG verlangt für solche Beschränkungen eindeutig nicht nur ein Gesetz, sondern die Nennung der jeweiligen Grundrechte mit Namen und Artikel. Wird hier also Artikel 19 GG verletzt?
6. Wir werden derzeit quasi mit Notverordnungen regiert. Dieser Art der Regierung wurden wegen Weimar enge Grenzen gesetzt.
(https://m.tagesspiegel.de/politik/parlament-gibt-kontrolle-aus-der-hand-die-regierung-ermaechtigt-sich-in-der-corona-krise-selbst-zulaessig-ist-das-nicht/25701884.html)
Frage: Sind Grundrechtseinschränkungen - noch dazu in diesem Ausmaß - aus Ihrer Sicht mit der Verfassung vereinbar, wenn Sie nur auf dem Verordnungsweg erfolgen?
Frage: Sind Notverordnungen nicht ausschließlich über Art. 80 GG möglich?
Frage: Haben Sie persönlich dem Infektionsschutzgesetz und damit der Selbstentmachtung des Parlaments zugestimmt bzw. der Ermächtigung der Regierung, Gesetzgebungsbefugnisse auszuüben?
7. Derzeit darf man seinen Hund Gassi führen, spazieren gehen und Lebensmittel einkaufen. Aber es darf auch eine Sendung wie Big Brother fortgeführt werden, bei der fremde Menschen auf engem Raum zusammenleben. Busse und Bahnen fahren, teils mit vermindertem Takt, und die Menschen sind hier auf engem Raum zusammengepfercht, auch dies ist zulässig. Einige Menschen haben Arbeitsverbote, andere nicht und sind auch hier dem Infektionsrisiko ausgesetzt.
Zugleich aber sind beispielsweise Gottesdienste oder Kundgebungen, selbst bei Einhaltung des Mindestabstandes nicht erlaubt. Auch haben Bibliotheken und der Buchhandel zwangsweise geschlossen.
Frage: Finden Sie die geschilderten Widersprüche konsequent?
Frage: Wieso darf man sich zu Gottesdiensten oder Kundgebungen auch dann nicht versammeln, wenn man Sicherheitsabstände einhält?
Frage: Würden Sie der Forderung des PEN-Club zustimmen, Buchhandel und Bibliotheken wieder zu öffnen, da der Zugang zu Büchern in einer Demokratie wesentlich ist?
Da wir in einer Demokratie und keiner Diktatur leben, sind all diese Schritte ausführlich und einleuchtend zu kommunizieren. Dies dürfen wir von Regierung und unseren Abgeordneten, die stellvertretend für uns die Staatsgewalt ausüben, erwarten.
Vorab vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Rechholz
Nürnberg
Sehr geehrter Herr Rechholz,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte.
Alle zur Eindämmung des Coronavirus notwendigen Maßnahmen stehen im Einklang mit dem Grundgesetz. Das ist für uns Freie Demokraten als Freiheits-und Bürgerrechtspartei eine Selbstverständlichkeit.
Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1) Sie sprechen die Risikoanalyse zum Schutz der Bevölkerung des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2012 an. In diesem Zusammenhang kann man natürlich die Frage stellen, warum uns die Pandemie trotz dieser Studie so unvorbereitet getroffen hat. Darauf kann alleine die Bundesregierung eine Antwort geben und ich bin mir sicher, dass diese Fragen zu gegebener Zeit gestellt und beantwortet werden müssen.
2) Ich halte es für absolut sinnvoll, dass sich die Bundesregierung eng mit Experten, Virologen und anderen kompetenten Beratern abstimmt. Das Robert-Koch-Institut ist eine unabhängige Bundesbehörde, die sich um die Gesundheit der Gesamtbevölkerung kümmert. Daher ist das RKI natürlich erster Ansprechpartner für die Bundesregierung. Welche anderen Experten die Bundesregierung noch konsultiert liegt außerhalb meiner Kenntnis, diese Frage kann nur von der Bundesregierung beantwortet werden.
3) Die Zahl der Menschen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus sterben wird täglich aktualisiert und sind öffentlich. Wie sich die Zahl der Suizide nach den Ausgangsbeschränkungen entwickelt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
4) Ziel aller Maßnahmen ist die Eindämmung des Virus. Selbstverständlich erwarten wir von der Bundesregierung eine Strategie, wie und wann wir wieder zu einem "normalen" Leben zurückkehren können. Denn es ist klar, dass diese Einschränkungen nur so lange wie unbedingt notwendig vertretbar sind. Daher fordern wir von der Bundesregierung eine umfassende und schnelle Exitstrategie.
5) Der Deutsche Bundestag hat allen notwendigen Maßnahmen zugestimmt. Darüber hinaus wird der Deutsche Bundestag auch weiterhin seiner Kontrollfunktion gerecht und die Arbeit der Bundesregierung kritisch beobachten.
6) Ein Vergleich mit Weimar ist unangebracht, da es alle Maßnahmen demokratisch legitimiert sind.
7) Wir fordern von der Bundesregierung eine klare Kommunikation bezüglich der Notwendigkeit einzelner Maßnahmen, damit die Menschen diese nachvollziehen und verstehen. Hier sehe ich tatsächlich Optimierungsbedarf.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Hessel, MdB