Wie stehen Sie zu Deutschlands materieller und rhetorischer Unterstützung von Kriegsakten des israelischen Staates in Gaza und Libanon?
Dies ist keine Frage über Antisemitismus oder dessen Bekämpfung. Die Gleichsetzung des Staates Israel mit dem Judentum oder Menschen jüdischen Glaubens ist falsch und irreführend. Dass Antisemitismus in all seinen Facetten bekämpft und jüdische Leben geschützt werden müssen, steht nicht zur Debatte, sondern sollte von vornherein klar sein.
Hier geht es um die aggressiven Akte des Staates Israel durch die IDF, die v.a. im vergangenen Jahr an der Zivilbevölkerung in Gaza und im Libanon verübt wurden und werden. Die Antwort des deutschen Staates darauf war bisher unkritische Billigung. Ich habe bei der Bundestagswahl 2021 für Sie gestimmt, kann es aber nun mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, eine Partei oder eine Kandidatin zu wählen, die nicht mindestens einen Waffenstillstand in Israel und Libanon, die Einhaltung internationalen Kriegsrechts und die Bewilligung umfassender Hilfeleistungen an die Zivilbevölkerung in betroffenen Gebieten fordert.
Lieber Herr R.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen seit dem 7. Oktober 2023 haben auf beiden Seiten des Konflikts traumatische Dimensionen und werden eine Zäsur im politischen Nahen Osten darstellen. Auch wir Grüne sitzen hier zweifellos in einem Spannungsverhältnis zwischen historischer Verantwortung Deutschlands und der Verteidigung des Völkerrechts.
Einerseits stehen wir angesichts des menschenverachtenden Angriffs der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober 2023 solidarisch und entschlossen an der Seite Israels und sind mit Israel in dem Ziel vereint, alle Geiseln freizulassen. Das Land hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Weil sich die Selbstverteidigung aber in jedem Fall an die Vorgaben des Völkerrechts halten muss, ist eine Kritik an der Kriegsführung Israels möglich und nötig. Gleichzeitig ist für uns das Existenzrecht Israels als Staat durch nichts zu relativieren. Die Hamas und auch die Hisbollah zweifeln nicht nur das Existenzrecht Israels an, sondern nutzen auch die unschuldige Zivilbevölkerung als Schutzschilde und Faustpfand.
In Zeiten zunehmender Destabilisierung ist es unsere Pflicht, das Recht auf Selbstverteidigung und die Einhaltung anderer Normen des internationalen Rechts zu verteidigen. Dies ist kein Widerspruch, sondern ein eng miteinander verbundenes Prinzip. Es ist entscheidend, dass wir nicht zulassen, dass verschiedene Normen des Völkerrechts gegeneinander ausgespielt werden. Nur durch diese Kraft der Gleichzeitigkeit und der Differenzierung können wir international verlässlich sein.
Die Grüne Bundestagsfraktion steht fest zu Menschenrechten, zum humanitären Völkerrecht und den darin festgeschriebenen humanitären Prinzipien. Danach sind die Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur, v.a. Krankenhäuser oder Schulen, unter allen Umständen zu schützen. Das gilt auch für die israelische Seite. Viel zu viele unschuldige Menschen sind beim Gegenschlag Israels im Gaza-Streifen gestorben oder schwer verwundet worden. Gleichsam verstoßen der Angriff auf unschuldige Zivilist*innen in Israel sowie der Missbrauch von Zivilist*innen als Schutzschilde im Gaza-Streifen durch die Hamas und die Nutzung ziviler oder medizinischer Einrichtungen als militärische Infrastruktur gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts. Humanitäre Hilfe hat das alleinige Ziel, Leben zu retten und Leiden zu mindern und richtet sich unterschiedslos an Opfer von Konflikten, Katastrophen und Gewalt. Sie muss neutral, unparteilich und unabhängig sein, d.h. von diesen Prinzipien geleitet und frei von politischen Interessen und jeglicher Instrumentalisierung. Daher verurteilen wir auch die Stigmatisierung von UNRWA, die wir finanziell und von ihrer Mission her stets auch gegen Widerstand unterstützt haben. Diese universellen Werte gelten natürlich auch in diesem Konflikt für Zivilist*innen auf beiden Seiten.
Die humanitäre Lage der in Gaza leidenden und festsitzenden Zivilbevölkerung ist durch die Kriegsführung Israels immer katastrophaler geworden. Für uns steht außer Frage, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, damit die Menschen vor Ort schnellstmöglich sicheren Zugang zu dringend notwendiger humanitärer Hilfe – Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung – erhalten. Die Bundesregierung setzt sich daher gemeinsam mit internationalen Partnern mit Nachdruck für einen besseren humanitären Zugang nach Gaza ein und steht selbst bereit, Hilfe zu leisten. Gleichzeitig haben wir seit Beginn des Konflikts humanitäre Waffenruhen gefordert in der Hoffnung, dass sie letztendlich auf einen verhandelten Waffenstillstand und langfristig in eine politische Lösung münden. Wir Grüne sind diejenigen, die im Bundestag am lautesten und hartnäckigsten eine Zwei-Staaten-Lösung als Ergebnis eines internationalen Friedensprozesses fordern. Wir haben diese Position auch in den Anträgen zum Nahost-Konflikt im Bundestag eingebracht. Gleichzeitig hat die Bundesregierung in ihrem Abstimmungsverhalten in der UN-Generalversammlung einen Fokus auf den Schutz zivilen Lebens ausgerichtet und sich mehrfach enthalten und nicht im Sinne der israelischen Regierung gestimmt. Dies hat uns wiederum in Deutschland manche Kritik eingebracht, nicht jedoch so sehr in Israel selbst.
Wenn Sie unsere Pressestatements in den vergangenen Monaten verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, dass wir mit scharfen Worten die Politik der radikal rechtsgerichteten Regierung unter Benjamin Netanjahu kritisiert haben. Sie hat das Land innenpolitisch zerrissen und außenpolitisch vor riesige Herausforderungen gestellt. Neben nationalistischen und religiösen Kräften sind in ihr auch rassistische und rechtsextreme sowie u.a. wegen Korruption und Terrorismus vorbestrafte Politiker vertreten. Nach innen polarisiert diese Regierung die israelische Gesellschaft, da Kräfte in ihr die Arbeit von NGOs vor allem zu Menschenrechten einschränken wollen und sich massiv gegen LGBTQ- und Frauenrechte ausgesprochen haben. Arabische Israelis sehen ihre Staatsbürgerrechte in Gefahr. Mit den getroffenen Personalbesetzungen und Gesetzesvorhaben zur Straflosigkeit von Korruption und des Aussetzens von Urteilen des Obersten Gerichtshofs durch das Parlament wird die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt. Auch sollen die Rechte von kritischen Abgeordneten in der Knesset beschnitten werden. All das gefährdet die demokratischen Strukturen des Landes. Auf dem steinigen Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung unterstützen wir daher auch zivilgesellschaftliche Friedensdialogarbeit von Israelis und Palästinenser*innen gegen den aktuellen Strom der Radikalisierung und des beispiellosen Hasses auf allen Seiten. Wir kritisieren aufs Schärfste einseitige Maßnahmen wie die Annexion von besetzten Gebieten, den fortschreitenden völkerrechtswidrigen Siedlungsbau oder die illegale Enteignung von Wohnungen in Ost-Jerusalem sowie im Westjordanland, denn sie laufen dem Ziel einer friedlichen und politischen Lösung des Konflikts mit den Palästinenser*innen entgegen. Sie rücken die Aussicht einer Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne und destabilisieren die Region. Die eskalierenden Ereignisse haben nun die Notwendigkeit dieser Zwei-Staaten-Lösung nochmals stärker in den Vordergrund gerückt und die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik wachsen lassen, auch in den USA. Dem schließen wir uns nachdrücklich an.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Rüstungsexporte nach Israel geprüft. Die Bundesregierung hat von der israelischen Regierung eine schriftliche Erklärung eingefordert, mögliche Rüstungsgüter nur entlang des Völkerrechtes einzusetzen. Bis dahin hat es in den vergangenen Monaten fast gar keine Exporte von sog. "Kriegswaffen" nach Israel gegeben. Bei den seit August genehmigten Exporten in Höhe von 94. Mio. EUR handelt es sich um "sonstige Rüstungsgüter". Darunter zählt beispielsweise Schutzausrüstung oder Ersatzteile. Wir als Grüne Bundestagsfraktion werden diese Position auch weiterhin vertreten und uns dafür einsetzen, dass deutsche Rüstungsexporte nach Israel nicht für Völkerrechtsverletzungen eingesetzt werden können.
Viele Grüße
Team Dröge