Hallo, die Grünen haben doch den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan befürwortet. Könnten Sie mir bitte sagen, was der Einsatz der Bevölkerung Afghanistans gebracht hat, außer vielen Toten!
Sehr geehrter Herr J.
vielen Dank für Ihre Frage bezüglich des Verhaltens der Grünen zum Afghanistan-Einsatz. Der tiefere Kern Ihrer Frage bewegt zur Zeit viele Menschen in Deutschland, nicht zuletzt auch mich, als Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Ich persönlich gehöre zu den Abgeordneten der grünen Bundestagsfraktion, die angesichts der bedrohlichen Lage - u.a. für die Ortskräfte und besonders schutzbedürftige Zielgruppen - der letztmaligen Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zugestimmt haben. Zweifellos geht für viele Afghaninnen und Afghanen gerade sehr viel unwiederbringlich verloren. Es gab in den vergangenen 20 Jahren signifikante Fortschritte im Bereich der Presse- und Meinungsfreiheit, der Bildung und Kultur, der Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt der Beteiligung von Frauen und Mädchen am öffentlichen Gemeinwesen. Und auch viele Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Helfer bestätigen uns, dass sie trotz widrigster Umstände und Rückschläge durch ihre Präsenz und Wirken für eine Generation viel Positives bewirken konnten. Was erreicht und in den vergangenen 20 Jahren an Schlimmerem verhindert wurde, wird man vermutlich erst dann zu schätzen lernen, wenn man sieht, was die Rückkehr der Taliban und eines Sharia-Systems praktisch bedeutet.
Hinsichtlich des Afghanistan-Einsatzes gab es im Übrigen bei den Grünen in den vergangenen 20 Jahren immer sehr unterschiedliche Vorstellungen über den besten Weg und es gab auch immer wieder kontroverse Auseinandersetzungen in der Partei. Nach mehrheitlicher Zustimmung in der Anfangsphase und zunehmender Skepsis ab 2007 hat die Mehrheit der grünen Abgeordneten seit 2014 die von der Bundesregierung vorgelegten Mandate abgelehnt, weil sie den Eindruck hatten, dass die angestrebten Ziele auf dem eingeschlagenen Kurs und mit den dominierenden afghanischen Partnern nicht erreichbar sind. Mit der einseitigen Abmachung zwischen der Trump-Administration und den Taliban in Doha (Februar 2020) wurde ein Pfad eingeschlagen, der erheblich zum jetzigen Debakel beigetragen hat. Die Entscheidung zum Truppenabzug lag am Ende in den Händen der Biden-Administration. Es war keine an das Erreichen bestimmter Bedingungen in Afghanistan geknüpfte Entscheidung, sondern eine US-innenpolitische Entscheidung für einen de facto bedingungslosen Abzug. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes ist bitter und eine humanitäre und politische Katastrophe. Hier hat auch die amtierende Bundesregierung viele Fehler gemacht. Jetzt gilt es, zu retten, was zu retten ist. Anschließend müssen sich die NATO, die Akteure der beteiligten Bundesregierungen und auch wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages einer ernsthaften Aufarbeitung stellen. Letzteres - eine unabhängige Aufarbeitung - haben wir Grünen im Übrigen in den vergangenen Jahren wiederholt gefordert.
Ich persönlich gehöre zu den Abgeordneten der grünen Bundestagsfraktion, die angesichts der bedrohlichen Lage - u.a. für die Ortskräfte und besonders schutzbedürftige Zielgruppen - der letztmaligen Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zugestimmt haben - denn es handelte sich hier um eine Evakuierungsmission, um Menschen rauszuholen und zu retten.
Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring