Frage an Kai Gehring von Sandra H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Gehring,
zum 1. Juli 2009 wurde verpflichtend als Abschluss für Integrationskurse der neue "Deutsch-Test für Zuwanderer" (DTZ) eingeführt. Dieser Test zieht erhebliche Änderungen u.a. bei der Auswertung der Tests nach sich und mir ist nicht klar, inwieweit die Situation derjenigen, die in diesem Sektor arbeiten, im Bundestag "angekommen" ist.
Da ich seit vielen Jahren in dem Bereich tätig bin, habe ich immer wieder folgende Beobachtungen gemacht: Träger, die Integrationskurse vorbildlich durchführen (überschaubare Kursgröße, individuelle Beratung und Einstufung), machen aufgrund des höheren Zeitwaufwands de facto ein Minus. Träger, die alle in einen Kurs packen und den Lehrkräften ein lächerliches Honorar zahlen, können hingegen Gewinn machen.
Das Nachsehen haben die freien Lehrkräfte und die Teilnehmenden, denn - das ist Realität - schlechte Prüfungsergebnisse korrespondieren mit bestimmten Trägern und die Teilnehmenden haben dann ihr Bugdet "verschleudert".
Die Lehrkräfte müssen seit Beginn der Integrationskurse immer mehr Qalifikationen nachweisen, und das bei lächerlichen Honoraren. Dass netto 4-5 Euro pro Stunde herauskommen, ist leider keine Seltenheit, und wenn man dafür einen Universitätsabschluss nachweisen muss, fragt man sich ernsthaft, ob auch diejenigen, die diese Rahmenbedingungen geschaffen haben, für das Geld arbeiten würden - und zwar mit allen Risiken, die man als Freiberufler ohnehin trägt (kein bezahlter Urlaub, Kurs fällt aus, man wird krank etc.).
Diese Situation wird sich meiner Einschätzung nach durch die Einführung des DTZ verschärfen, denn für die Auswertung des Tests stehen nur ein sehr enger Zeitrahmen und ein noch begrenzteres finanzielles Budget zur Verfügung.
Es wird von Seiten der Politik hohe Qualität in diesem Sektor gefordert, daher meine Frage: Wann werden die Bedingungen, die in diesem Sektor herrschen, verbessert?
Ich bedanke mich im Voraus für die Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Sandra Hohmann
Sehr geehrte Frau Hohmann,
bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir Ihnen erst heute antworten. Aber wir wollten uns um eine Antwort bemühen, die der Tragweite Ihres Anliegens Rechnung trägt.
Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde die Integrationspolitik in Deutschland auf eine völlig neue gesetzliche Grundlage gestellt: Während bis dahin kaum 10% der jährlichen NeuzuwandererInnen ein Sprachkurs angeboten wurde, erhalten nunmehr alle, die nach Deutschland einwandern, einen Rechtsanspruch für Integrationskurse. Dieser integrationspolitische Neuanfang wurde maßgeblich durch die Hartnäckigkeit von uns Grünen erreicht. Wir fühlen uns daher dem Gelingen der Integrationskurse im besonderen Maße verpflichtet.
Die Situation der Lehrkräfte der Integrationskurse ist nun aber – ähnlich wie die Lage von WeiterbildungsdozentInnen generell – prekär: Ausweislich des Erfahrungsberichts der Bundesregierung zu Durchführung und Finanzierung der Integrationskurse (BT-Drs. 16/6043) sind nur 28% der Lehrkräfte fest angestellt - die restlichen 72% werden lediglich als Honorarkräfte beschäftigt. De facto handelt es sich bei Letzteren um sog. Scheinselbständige:
• sie haben keine Sicherheit über ihre Stundenzahl (und damit über ihre Einkommenshöhe)
• sie erhalten keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bzw. in Zeiten ohne Kurse (z. B. Ferien) und
• sie müssen die hohe Sozialversicherungsbeiträge - aufgrund ihres (Schein)Selbstständigenstatus - allein tragen.
Der o. g. Bericht der Bundesregierung weist zudem auf gravierende Probleme bei der Vergütung der Lehrkräfte der Integrationskurse hin: DozentInnen bei gemeinnützigen, kirchlichen und kommunalen Trägern erhalten durchschnittlich 17,20€ Bruttohonorar bzw. 18,30€ Bruttolohn - DozentInnen an privaten Schulen hingegen erhalten im Schnitt lediglich 15,50€ (was auch bedeutet, dass ein signifikanter Teil von ihnen deutlich weniger als 15€ bekommen - wir haben von Vergütungen sogar unter 12€ gehört!). Damit liegen die Honorare deutlich unter denen des sog. Sprachverbandes. Bis 2004 - also vor der Einführung des Zuwanderungsgesetzes - wurden nämlich für dessen Sprachkurse noch 23,10€ bezahlt. Die sog. Rambøll-Studie zur Evaluation der Integrationskurse kam Ende 2006 zu der Erkenntnis, dass die Kursträger „vor allem die Lehrkrafthonoraren als die ‚am einfachsten zu verstellenden Stellschraube’ nutzten“, um ihre Kosten zu senken. (S. 223)
Die Leiterin des GEW-Organisationsbereichs Berufliche Bildung und Weiterbildung, Dr. Stephanie Odenwald, vertritt die „langfristige Forderung“, bei den Honorarlehrkräften der Integrationskurse eine „Statusänderung“ zu erreichen: „Weg von der Scheinselbstständigkeit, hin zu einem abgesicherten Arbeitsverhältnis mit entsprechendem Verdienst. Solange sie [aber] als Honorarlehrkräfte arbeiten“ fordert die GEW eine Vergütung von 30,00€, um eine „Gleichstellung zu Lehrkräften im staatlichen Dienst“ zu erreichen. Kurzfristig seien Mindesthonorare in Höhe von 23,10-25,00€ notwendig, so die GEW.
Was tun? Die Großen Koalition hat bereits zu Beginn dieser Wahlperiode die Haushaltsmittel für die Integrationskurse (ohne Not!) um 60 Mio. € gekürzt. Bündnis 90 / Die Grünen hatten in mehreren Entschließungsantrag zu den jeweiligen Haushaltsgesetzen die Rücknahme dieser Kürzungen bzw. - wie von „Rambøll Management“ vorgeschlagen - die Erhöhung der entsprechenden Haushaltsmittel in Höhe von 63 Mio. € gefordert (vgl. BT-Drs. 16/1884, 16/7323, 16/7306). Denn durch diese Kürzungen wurde Geld „aus dem System“ genommen. Das fehlt uns jetzt und muss nun völlig neu aus anderen Bereichen des Einzelplans des BMI bzw. aus denen der anderen Ressorts zusammengesucht werden – ein Riesenfehler von Schwarz-Rot!
Wir Grünen vertreten vor diesem Hintergrund folgende Position:
• Wir unterstützen die Forderung der GEW, Honorarkräften einen Weg aus der Scheinselbstständigkeit, hin zu einem abgesicherten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Das ist schon allein deshalb wichtig, um den Honorarkräften in Zukunft den Zugang zu Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und zu bezahltem Urlaub zu eröffnen. Allerdings kann dies – angesichts der enormen Kosten – nur ein langfristiges Ziel sein.
• Wir teilen aber auch die pragmatische Haltung der GEW, jenseits der o. g. langfristigen Zielvorgabe, sich auch für kurzfristige Lösungen zugunsten der prekär beschäftigten Scheinselbständigen einzusetzen.
• Wir fordern daher – zusammen mit der GEW – Mindesthonorare in Höhe von 23,10-25,00€. Sinnvoll wäre aus unserer Sicht auch, wenn die Tarifpartner im Branchentarifvertrag Weiterbildung (vom 16. März 2007) den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages auf Honorarkräfte ausweiten und entsprechende Mindestentgelte für die Honorarkräfte festlegen würden. Das hätte nicht nur Signalwirkung für das BAMF, sondern würde auch unmittelbar Wirkung für die Lehrkräfte der Integrationskurse entfalten, die ja unter anderem SGB II-EmpfängerInnen in ihren Kursen unterrichten.
• Und schließlich halten wir zusätzliche, flankierende Maßnahmen für notwendig. Denn, bei diesen DozentInnen handelt es sich de facto ja um Geringverdiener. In unserem sog. Progressiv-Modell haben wir Grünen schon Anfang 2006 vorgeschlagen, die Sozialversicherungskosten für alle zu verringern, die mit ihrer Arbeit nur ein geringes Einkommen erzielen. Für alle - also auch Selbständige -, die lediglich bis zu 2.000 € im Monat verdienen, sollen die Beitragssätze künftig nur langsam ansteigen. So bleibt diesen abhängig Beschäftigten - aber auch Selbstständigen - mit geringem Einkünften - ein größeres Nettoeinkommen (s. BT-Drs. 16/446 und 16/7751, S. 2).
Inzwischen ist die parlamentarische Tätigkeit des 16. Deutschen Bundestages – wie gesagt - praktisch zum Erliegen gekommen. Die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen wird aber unmittelbar zu Beginn der kommenden Wahlperiode (z. B. im Rahmen der Beratungen über den Bundeshaushalt 2010) im o. g. Sinne tätig werden.
Wir meinen aber, dass wir hierbei nicht nur gute Argumente auf, sondern auch engagierte Lehrkräfte - wie Sie – an unserer Seite haben.
Mit freundlichen Grüßen
Kai Gehring