Frage an Kai Gehring von Thorsten G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gehring,
ich wende mich an Sie bezüglich der geplanten Sperrungen von Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten.
Wie ist die Haltung Ihrer Partei zu der von Frau von der Leyen geplanten Initiative?
Welche Möglichkeit gibt es zu überprüfen, ob nur illegale Seiten auf Sperrlisten sind? Weder die Judikative, noch die Medien dürfen die Liste überprüfen.
Welche Konsequenzen hat es in Deutschland, wenn das höchste deutsche Gesetz, das Grundgesetz, gebrochen wird und Seiten gesperrt werden, die nicht illegal sind? Sind BKA-Beamte die gegen das Grundgesetz verstoßen für den Staat tragbar? Müssen Beamte, Politiker und andere Personen, die eine Sperrung von legalen Inhalten veranlassen, Strafen befürchten?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Gabb,
sehr geehrter Herr Glöckner,
die Diskussion über einen geeigneten Weg für ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Kinderpornografie schlägt hohe Wellen. Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein besonders widerwärtiges Delikt, das gilt auch für die Verbreitung der Bilder in Heften oder in den elektronischen Netzen. Kinderpornografie muss auf allen Ebenen verfolgt und bestraft werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum; das Internet ist aber auch kein bürgerrechtsfreier Raum.
Eine Bekämpfung mit rechtsstaatlichen Mitteln ist möglich. Dem wird aber der von der großen Koalition vorgelegte Entwurf eines "Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen" nicht gerecht. "Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Fassung fällt durch den Rechtsstaat-TÜV", so Wolfgang Wieland anlässlich der Einbringung des Gesetzes vor dem Bundestag am 7.Mai 2009.
Eine Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages am 27.05. hat die Vorbehalte von unserer Seite eindrucksvoll bestätigt. Die rechtlichen und technischen Probleme bei den geplanten Internetsperrungen sind nach wie vor ungelöst. Es bringt gar nichts, jetzt überstürzt und ohne ausreichende Beratung ein handwerklich derart schlechtes Gesetz zu verabschieden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wirft eine ganze Reihe schwerwiegender rechtlicher Fragen auf, die alle Bürgerinnen und Bürger betreffen, die das Internet nutzen. So führt die jetzt vorgeschlagene Lösung nicht etwa zu einer Löschung der Seiten. Faktisch geht es um eine Umleitung der Benutzer auf ein Stoppschild - die Kinderpornografieseite selbst bleibt im Netz und mit einigen einfachen Tricks auch weiterhin auffindbar. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass mit einem solchen Stoppschild rund 80 Prozent Gelegenheits- oder Zufallskonsumenten von entsprechenden Seiten ferngehalten werden können.
Was geschieht aber mit den Daten derer, die zufällig zu einem Stopp-Schild gelangen und dort auch tatsächlich stoppen, also nicht versuchen, dieses "Schild" zu umgehen? Ihre Daten sollen gespeichert werden und zu Zwecken der Strafverfolgung zur Verfügung stehen. "Im Grunde wird aus der Stoppseite, auf die umgeleitet wird, eine Art Fahndungsinstrument gemacht", so Wolfgang Wieland in seiner Rede. Gerade dieser auch von uns in der Vergangenheit hervorgehobene Punkt rief auch in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses bei vielen Sachverständigen ganz erhebliche Besorgnis hervor. Die Gefahr, dass die Provider Nutzungsdaten wie IP-Adressen protokollieren und dann an die Strafverfolger weiterleiten, liegt auf der Hand. Das würde bedeuten, dass gerade diejenigen Strafverfolgung zu befürchten haben, die eher zufällig an das Stoppschild stoßen - und nicht weiter suchen. Der harte Kern von 20 Prozent wirklich kriminellen Nutzern bliebe ungeschoren. Ungeschoren bleiben durch das Gesetz ohnehin all diejenigen, die gar nicht erst das www-Netz nutzen, sondern Bilder via Filesharing, MMS, SMS oder auf dem Postweg tauschen. Und dies ist die weitaus größere Zahl innerhalb der pädophilen Szene.
Ein weiterer verfassungsrechtlich heikler Punkt sind auch die in der Anhörung kritisierten neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts. Es überschreitet seine Funktion als Zentralstelle, indem es präventiv tätig wird und es schafft eine ständige Beschlagnahmemöglichkeit für die Polizei, ohne richterliche Kontrolle. Das passt nicht in unser Rechtssystem. Das BKA ist eine Behörde, die dem Bundesinnenminister untersteht. Es soll sich in Zukunft praktisch selbst bevollmächtigen. Hier muss man sich die Frage stellen: Wer ist der Gesetzgeber, das BKA oder der Deutsche Bundestag?
Wir Grünen sehen einerseits die großartigen Möglichkeiten des Internets als weltweite Kommunikationsbörse. Wir sehen aber auch die dunklen Seiten des Internets und stellen uns dem in der Debatte. Foren für Kannibalen, Foren für Amoklaufbefürworter, Anleitungen zum Bombenbau, Köpfung von Geiseln - auf all das hat man derzeit per Klick Zugriff, obwohl es verbotene Inhalte transportiert. Die Wahl des richtigen Mittels ist wichtig.
Wir sind offen für jede Diskussion über die wirksame Bekämpfung der Kinderpornographie. Dieses Gesetz bietet dafür aber keine geeignete Grundlage.
Die Initiative der Bundesfamilienministerin tut so, als ob die Internetanbieter bisher beim Thema Kinderpornographie die Hände in den Schoß gelegt haben. So arbeitet die deutschte Internetwirtschaft mit der Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle (FSM) bereits seit vielen Jahren nach Kräften daran, die Verbreitung solcher Inhalte zu unterbinden. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zwischen Beschwerdestellen und Behörden über das internationale Beschwerdestellen-Netzwerks INHOPE ist es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, umfangreiche Verfahren einzuleiten und eine Vielzahl von Beschuldigten zu ermitteln. Neben der Arbeit der Beschwerdestellen und der Strafverfolgung ist es ausgesprochen wichtig, an Staaten, aus denen häufig Kinderpornografieangebote kommen (u.a. Russland, Staaten der ehemaligen Sowjetunion) auch politische Forderungen nach konsequenter Ächtung solcher Websites und Verfolgung der Verantwortlichen zu richten.
Wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie die Vorschläge für eine wirksame Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet sorgfältig prüft, bestehende Projekte wirkungsvoller unterstützt und einen breit angelegten Aktionsplan zur Verhinderung von Kindesmissbrauch voranbringt, anstatt noch kurz vor Ende der Wahlperiode einen populistischen Schnellschuss auf den Weg bringen zu wollen.
Herzliche Grüße
:> Kai Gehring