Frage an Jürgen Trittin von Frank S. bezüglich Gesundheit
In der zur Abstimmung stehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes soll bei einer Inzidenz von über 100 auch eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr verhängt werden. Die Wirksamkeit von Ausgangssperren ist bisher nicht belegt und auch schon in mehreren Fällen von Gerichten als unverhältnismäßig wieder aufgehoben worden. Auch wenn ich viele Corona-Maßnahmen für sinnvoll halte, halte auch ich Ausgangssperren für eine unverhältnismäßige und wenig wirksame Maßnahme.
Wie stehen Sie dazu?
Sehr geehrter Herr Schulz,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die Entwicklung der Infektionen mit dem Covid-19-Virus sowie die steigenden Zahlen von Covid-19-Erkrankungen in Deutschland und in unseren Nachbarstaaten in Europa erfüllen mich mit großer Sorge. Nachdem wir durch Verminderung der Kontakte im Sommer letzten Jahres einen deutlichen Rückgang der Infektionen erreicht hatten, leben wir inzwischen wieder inmitten der dritten Welle der Pandemie.
Auf den Intensivstationen erreichen wir immer neue Höchststände in der Belegung mit Covid-19-Kranken. Zu keinem Zeitpunkt der Pandemie waren so wenig Intensivbetten frei wie heute. Intensivmediziner*innen appellieren an uns Bundestagsabgeordnete endlich zu handeln. Das erfordert nun strenge Maßnahmen im Sinne einer Niedrig-Inzidenz-Politik. Denn nur, wenn wir die Ansteckungsrate verringern, können wir die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems erhalten.
Wir müssen die unkontrollierte Ausbreitung des Virus durchbrechen. Der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen in unserem Land ist der Auftrag und die Verantwortung der gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags.
Dass dazu Maßnahmen wie ein allgemeiner Lockdown, auch inklusive kurzfristiger Ausgangssperren beitragen können, zeigen Beispiele aus anderen Ländern. Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an die Bilder aus Portugal im Januar, wo sich lange Warteschlangen von Rettungswagen vor den Krankenhäusern bildeten. Heute hat das Land, auch oder gerade wegen konsequenter Maßnahmen, eine konstant niedrige Inzidenz von deutlich unter 40.
Deshalb muss auch Deutschland handeln. Die Praxis der losen, aber folgenlosen Vereinbarungen der Ministerpräsident*innenkonferenz mit der Bundeskanzlerin hatte verheerende Folgen. Deshalb brauchen wir einen verbindlichen Plan, ab welchen Inzidenzwerten welche Maßnahmen greifen.
So einen Stufenplan haben wir schon seit Monaten gefordert.
Das nun von SPD und CDU/CSU vorgeschlagene Infektionsschutzgesetz ist hier jedoch bei weitem nicht ausreichend, weshalb wir uns als Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen bei der Abstimmung enthalten haben.
Nicht zuletzt deshalb, da sich die Einschränkungen wiederholt überwiegend auf das Privatleben und weniger auf die Wirtschaft bzw. die Situation am Arbeitsplatz konzentrieren. So müssen wir zwar beispielsweise beobachten, dass bisher kein pandemischer Verlauf mit einer B.1.1.7 Variante ohne Ausgangssperren aufgehalten werden konnte. Durch das einseitige Beschränken der Freiheiten im Privatbereich bei gleichzeitiger Aussparung der Arbeitswelt, lässt sich das jedoch nicht wirklich erreichen und es stellt sich zu Recht die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, wie auch Sie schreiben.
Auch fehlt es im Gesetzesentwurf an gesetzlichen Ausnahmen für Menschen, die bereits geimpft sind. Die Rücknahme von Beschränkungen für Geimpfte darf nicht im Ermessen der Bundesregierung liegen, sondern bedarf einer zwingenden gesetzlichen Grundlage.
In diesem Sinne sprechen wir uns als Fraktion beispielsweise seit längerem für die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierates aus, der mit Empfehlungen eine Strategie für die kommenden Monate mit entwickelt. Die Chance, ein solches Gremium nun einzurichten und gesetzlich zu implementieren, hat die Koalition bei diesem Gesetz leider erneut nicht genutzt. Daran werden wir weiterarbeiten.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir nur so schnell wie möglich wieder zu einem Leben mit wenigen bzw. ohne Einschränkungen zurückkehren können, wenn wir alle gemeinsam jetzt noch einmal für kurze Zeit bereit sind, solidarisch zu sein und unsere Kontakte einzuschränken.
Mit freundlichen Grüßen nach Göttingen und Bleiben Sie gesund!
Jürgen Trittin