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Jürgen Trittin
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Frage von Christina P. •

Frage an Jürgen Trittin von Christina P. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Tritten,

unsere 16 jährige Tochter ist seit 3 Monaten an der Dialyse und wartet dringend auf ein Organ. In 18 europäischen Ländern gibt es bei der Organspende das Gesetz der Widerspruchslösung : Jeder ist Spender & wer nicht spenden will, kann widersprechen.
In Deutschland gilt die Entscheidung nicht & hier sterben bei der momentanen Gesetzeslage jedes Jahr über 1000 Menschen, die auf der Warteliste stehen.
Man wartetet in Deutschland z.B. auf eine Niere 7- 10 Jahre - in Spanien oder Österreich dagegen nur 1 Jahr, weil es dort die Widerspruchslösung gibt !
Ich fühle mich als Betroffener in Deutschland benachteiligt - gegenüber den Ländern mit Widerspruchslösung !
Wie stehen Sie zur Widerspruchslösung ?
Bitte unterstützen Sie Herrn Spahn bei seiner Initiative zur Widerspruchslösung!!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau P.,

vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst einmal wünsche ich Ihrer Tochter und Ihnen viel Kraft für diese schwere Zeit.

Meiner Meinung nach würde die Widerspruchsregelung nicht dabei helfen, die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen. Das Problem einer zu geringen Anzahl von Spendeorganen lässt sich nicht auf eine mangelnde Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zurückführen. In einer Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2016 erklären sich 69% der Befragten grundsätzlich bereit, nach dem Tode Organe zu spenden; 54% würden diese Zustimmung auch für ihre Angehörigen erteilen. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, ebenso wie die Zahl der ausgefüllten Organspendeausweise. Dennoch ist die Zahl der realisierten Organspenden zeitgleich gesunken, was darauf hindeutet, dass die Ursachen an anderer Stelle im Transplantationssystem zu suchen sind.

Eine aktuelle Studie der Universität Kiel zeigt klar, dass der Hauptgrund für die sinkenden Organspende-Zahlen die Tatsache ist, dass in deutschen Kliniken potentielle Organspender*innen zu selten identifiziert und gemeldet werden. Dies würde sich auch mit der Widerspruchsregelung nicht ändern. Daher brauchen wir strukturelle und organisatorische Reformen wie eine angemessene Freistellung der Transplantationsbeauftragten, eine ausreichende Refinanzierung von Organentnahmen und eine stärkere Verankerung der Organspende in der Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe.

Bezüglich der Situation in Spanien und Österreich muss ich Ihnen widersprechen. In Spanien, das aufgrund seiner hohen Organspenderaten weltweit als Vorbild gilt, wurde die Widerspruchsregelung 1979 eingeführt. Aber erst 20 Jahre später stiegen die Spendezahlen erheblich an – dank einer umfassenden Strukturreform des Transplantationssystems. Ähnlich war es in Österreich. In Lettland und Frankreich sind die Spenderaten nach Einführung der Widerspruchsregelung sogar gesunken. In Italien gab es einen Anstieg der Spenderaten bereits vor Einführung der Widerspruchsregelung – ebenfalls ausgelöst durch eine Strukturreform. Auch Brandenburg konnte die Zahl der Organspenden im ersten Halbjahr 2018 verdoppeln – ganz ohne Widerspruchsregelung. Zusätzlich sind die hohen Spendezahlen in einigen europäischen Nachbarländern darauf zurückzuführen, dass dort vermehrt Organe auch nach Herzstillstand entnommen werden. Dabei handelt es sich um ein ethisch höchst fragwürdiges Verfahren, das in Deutschland nicht zugelassen ist.

Auch aus ethischer Perspektive kann ich der Widerspruchsreglung nicht zustimmen. Die Widerspruchsregelung ist ein erheblicher Eingriff in das Selbstbestimmungs- und (postmortale) Persönlichkeitsrecht. Gerade in Deutschland sollte uns auch aus historischen Gründen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung besonders wichtig sein.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin