Frage an Jürgen Trittin von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrtee Herr Trittin,
1)in der chinesischen Volkszeitung befürchtet Milligan-Whyte, daß die Finanzkrise noch lange nicht vorbei ist und die USA sich quasi"entschulden" und den Dollar als internationaler Reservewährung in den Abgrund stürzen könnten. Seine "New School of American-Chinese Partnership" schlägt daher vor, daß die USA und China einen Neubeginn machen sollen.
Die USA solltenihre Außenpolitik sinisieren und sich entsprechend Deng Xiaoping und den 5 Prinzipen der Friedlichen Koexistenz ausrichten.Ökonomisch indem die USA ihre Billionen von Auslandsschulden an China in reale Werte transformieren (equity swap), d.h.daß die US-Regierung sich aktiv chinesischen Investitionen öffnet und gemeinsame sinoamerikanische global ventures gründet, die die materielle Basis für eine neue Art G-2 bilden sollen.Als Vorbild sollte eine chinesische Automobilfirma in Europa 45% an General Motors erhalten und Global Motors gründen. Ähnliches wird für andere US-Unternehmen, Banken und Ölunternehmen vorgeschlagen.Desweiteren sollten die USA und China ein Militärbündnis eingehen.Inwieweit sehen sie diesen Vorschlag als realistisch und wäre für Europa nicht ähnliches denkbar?Wie schätzen sie die Gefahr ein, daß die USA und China gemeinsam gegen den Rest der Welt vorgehen könnten (vgl.SZ: Joschka Fischer)?
2) China hat erstmals mit der Türkei Luftmanöver "Anatolian Eagle" abgehalten. In dem Forum der Volkszeitung wird dies als "desaster for NATO" goutiert.Rücken China, Türkei und Iran näher zusammen? Bleibt die Shanghai Cooperation Organization eine regionale, zentralasiatische Organisation oder ist sie auf dem Weg, eine Anti-NATO zu werden? Chinas Seidenstraßenstratgei hat nun über Zentralasien auch die Türkei, Iran und Griechenland (Kauf des Hafens von Pireäus)erreicht. Wie kann man die Türkei überhaupt noch an die EU und die NATO binden, wo doch schon chinesische Kampfflugzeuge über dem Bosporus kreisen und Rußland der Türkei Atomtechnologie liefert (Atomwaffen)?
Sehr geehrter Herr Ostner,
vielen Dank für Ihre Fragen, die mich über abgeordnetenwatch.de erreicht haben.
Ich möchte zunächst auf Ihre Frage zur möglichen Gefahr eines ?sino-amerikanischen Blocks gegen den Rest der Welt? eingehen. Abgesehen davon, dass ich das Szenario eines solchen ?Blocks? nicht für realistisch halte, bin ich der Überzeugung, dass ein mit gemeinsamer Stimme auftretendes Europa notwendig ist, um den friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Welt zu begegnen. Trotz offensichtlicher Uneinigkeit in der Vergangenheit könnte der neueingeführte Europäische Auswärtige Dienst sowie die Aufwertung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Vertrag von Lissabon den Weg zu einem außenpolitisch starken und vereinten Europa ebnen. Es geht dabei natürlich nicht um eine Militarisierung der EU. Die Stärke der EU liegt auch künftig in ihrer soft power. Es geht darum, eine präventive und auf zivile Konfliktlösung gerichtete Außenpolitik auch eigenständig und glaubwürdig erfüllen zu können.
Die Bildung einer ?G-2? erscheint mehr als fragwürdig. Nehme man die Verwerfungen zwischen China und den USA in militärischen Fragen, die wirtschaftlichen Diskrepanzen und die politische Uneinigkeit in internationalen Fragen, dann erscheint eine enge Kooperation nach dem Vorbild von Den Xiaoping momentan als sehr unwahrscheinlich. Selbstverständlich befürworten wir eine friedliche Koexistenz und Kooperation der beiden Akteure insbesondere zur Bewältigung globaler Probleme.
Die türkische Außenpolitik findet sich gegenwärtig in einer selbstbewussten Neuausrichtung und reagiert somit auf die zurückhaltende Haltung der EU in den Beitrittsverhandlungen. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen und unterstützen die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei seit Jahren. Wir betrachten die EU als politisches Projekt für Frieden und Wohlstand auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Unserer Meinung nach kann die Integration der Türkei diese Idee nachhaltig unterstützen, denn ein EU-Mitglied Türkei kann ein stabilisierender Anker in der krisengeschüttelten Region sein, der mit Rechstaatlichkeit und Demokratie auch zum Leuchtturm für Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung werden kann. Eine in die EU integrierte Türkei kann weit mehr zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten oder im Kaukasus beitragen als eine weitgehend selbständig agierende Regionalmacht. Sie könnte zwischen der arabisch-islamischen und der westlichen Staatengemeinschaft vermitteln sowie zur Energiebrücke für den Transport der Rohstoffe aus dem Kaspischen Raum nach Europa werden.
Durch zeitnahe und ernsthafte Bemühungen der EU, die Türkei aufzunehmen, könnte sich dieser von Ihnen wahrgenommen Trend der Abwendung der Türkei von Europa sehr schnell wieder umkehren. Ablehnende Äußerungen europäischer Eliten sind jedoch hinderlich und führen möglicherweise verstärkt zu einer Neuausrichtung der türkischen Außenpolitik hin zu anderen Partnern in Asien und dem Mittleren Osten.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Trittin