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Jürgen Trittin
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Frage von Ralf O. •

Frage an Jürgen Trittin von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Trittin,

1) Wie steht Ihre Partei zur WTO und zum Freihandel? Der G-20-Gipfel hat die Doha-Runde der WTO faktisch für gescheitert erklärt und befürwortet zur weiteren Liberalisierung des Welthandels bilaterale statt multilaterale Handelsabkommen.Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den ASEAN+3(China, Japan, Südkorea) und der von Merkel propagierten TAFTA (Transatlantic Free Trade Area)? Nach dem Frehandelsabkommen der EU mit Südkorea: Was halten sie von einem Freihandelsabkommen zwischen Deutschland, bzw,der EU mit China? Oder befürworten sie mehr die Forderungen von ATTAC in Richtung stärkere Regionalisierung?

2) Laut SZ scheinen die Forschungsgelder für ITER und Galileo nicht mehr zu reichen, sodaß über die Streichung eines der beiden Projekte diskutiert wird.Wie stehen sie zu beiden Projekten und:Welchem würden sie im Entscheidungsfall den Vorrang geben??Wie stehen sie zur Kernfusion--wäre dies nicht die Lösung unserer Energieprobleme für die Zukunft? Allerdings hört man, daß einige Länder Hybridreaktoren ( mit Atomkraft) bauen wollen, da sie nicht an einen schnellen Erfolg von ITER glauben und ihren Energiebedarf zuverlässig decken wollen.Wäre es nicht sinnvoll, angesichts des weltweiten Revivals der Kernkraft neuere AKWs zu bauen und nachzuziehen oder glauben sie, daß die regenerativen Energie ausreichen, um die Lücke zu füllen?

3) Wie stehen sie zur Elektromobilität und Elektroautos und Elektrorollern? Sehen Sie darin eine gangbarte Alternative zu den bisherigen Autos? In welchem Zeitraum und in welchem Umfang sehen sie hier Entwicklungsperspektiven?

4)Wie stehen die Grünen zum Euro? Ist er alternativlos? Ex-BDI-Chef Olaf Henkel hat im Bloomberg-TV erklärt, es gebe Überlegungen, in Europa 2 Eurozonen einzuführen--eine für wirtschaftlich schwächere, eine für stärkere Länder? Befürworten sie dies?
Was hält ihre Partei von einer europäischen Wirtschaftsregierung?

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Ostner

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Ostner,

Vielen Dank für Ihre Fragen die ich im Folgenden beantworte.

Zu 1) Der Green New Deal fordert die Neuausrichtung unseres Wirtschaftens auf lokaler, nationaler, europäischer und globaler Ebene. In diesem Rahmen gilt es auch eine ökologische und soziale Handelspolitik zu gestalten. Die Antwort auf die drei globalen Krisen: Hungerkrise, Finanz- und Wirtschaftskrise und Klimakrise, liegt auch in einer fairen und nachhaltigen Ausgestaltung von bi- und multilateralen Handelsabkommen. Bündnis 90/Die Grünen verfolgen eine gerechte Welthandelsordnung und dies durch multilaterale Kooperationen. Multilaterale Lösungen sind immer bilateralen Lösungen vorzuziehen. Eine Handelsliberalisierung kann nur unter den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung, Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit, sozialen Mindeststandards und Armutsbekämpfung funktionieren. Gegenseitige Marktöffnung zwischen ungleichen Partnern kann jedoch gravierende Folgen für den wirtschaftlich schwächeren Partner haben, wie beispielsweise Kambodscha als Teil der ASEAN-Gruppe. In jedem Fall müssen Handelsabkommen Entwicklungs- und Schwellenländern genügend Spielraum lassen, um Handelspolitik aktiv als Instrument zur Förderung ihrer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung zu nutzen, um negative menschenrechtliche, soziale und ökologische Auswirkungen zu vermeiden oder abzumildern. Schaffung fairer Zugangschancen zu den Märkten des Nordens und Abbau von handelsverzerrenden Subventionen sind dabei Teil unserer Forderungen. Ebenso und allen voran ist die Einhaltung von Menschenrechten ein Kernelement und zentrale Forderung im Hinblick auf internationale Handelsabkommen.

Zu 2) Sowohl bei ITER als auch bei Galileo halten wir Grünen die immensen und intransparenten Kostenexplosionen für nicht akzeptabel. Es kann nicht sein, dass solche Prestigeprojekte den finanziellen Rahmen in solch einer Größenordnung sprengen und der Steuerzahler dafür zahlen muss. Bei Galileo sehen wir die Gefahr, dass die nächste Generation des amerikanischen GPS-Systems wesentlich ausgereifter sein dürfte und Galileo technisch abhängen wird. Für problematisch halten wir auch, dass eine militärische Nutzung von Galileo nun nicht mehr ausgeschlossen wird.
Auch bei ITER ist die Verschwendung von Geldern in Zeiten knapper Kassen nicht hinnehmbar. Die Kernfusionsforschung ist ein Milliardengrab. Man setzt auf eine Risikotechnologie mit ungewissem Ergebnis, anstatt die reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen zu nutzen. Seit den 50er Jahren wird uns mit der Fusionsenergie eine billige, unendliche und ungefährliche Energiequelle versprochen. Dieses Versprechen konnte bisher nicht eingelöst werden, obwohl bereits Milliarden in die Forschung investiert wurden. Immer noch wird von einer Technologiereife in 40 bis 50 Jahren gesprochen.
Um das Megaprojekt zu finanzieren, sollen Gelder aus anderen wichtigen Forschungsprogrammen einfach abgezogen werden. Wir fordern das Ende des Projekts, da in der EU dringendere Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu verwirklichen sind, die in naher Zukunft dazu beitragen werden, die Energieversorgung durch die Nutzung erneuerbarer Energien klimafreundlich, sicher und nachhaltig zu gewährleisten.
Mit erneuerbaren Energien können wir ausreichend viel Strom und Wärme produzieren und Mobilität sichern, um andere Energiequellen überflüssig zu machen. Diese risikoarme, kostengünstige Alternative darf nicht unter die Räder kommen, um das Geld für unnötige und unsichere Prestigeprojekte zum Fenster raus zu werfen.

Zu 3) Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat uns gerade wieder vor Augen geführt, dass wir einen viel zu hohen Preis für unsere Abhängigkeit vom Öl zahlen. Dabei sind die Alternativen zu fossilen Brenn- und Treibstoffen schon heute vorhanden - und "erfahrbar". E-Bikes und Pedelecs, Elektro-Roller und Elektro-Autos fahren mit 100 Prozent Ökostrom. Jeder kann sich schon heute für grüne Mobilität entscheiden und muss nicht noch Jahre warten, bis die Bundesregierung und die deutsche Autoindustrie aufgewacht sind.

Zu 4)Wir Grüne sind überzeugte Europäerinnen und Europäer und setzen uns seit jeher für eine starke EU ein - gerade auch jetzt, in Zeiten, in denen die EU vor immensen Schwierigkeiten und Herausforderungen steht. Der Euro ist trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise eine Erfolgsgeschichte und besonders Deutschland hat von der Einführung des Euros profitiert.
Der Vorschlag der Unterteilung der Eurozone in einen ´Nord-Euro´ und einen ´Süd-Euro´ ist - gelinde gesagt - abenteuerlich. Herr Henkels Schema der ´guten´ und der ´bösen´ Europäer und einer starken Währung für den Norden und einer schwachen für den Süden entbehrt jeder soliden Grundlage und hat mit einer zukunftsweisenden und funktionierenden europäischen Wirtschaftspolitik nichts zu tun.
Die Griechenlandkrise war auch eine Folge mangelhafter wirtschaftlicher Koordinierung in Europa. So haben sich die Wettbewerbsfähigkeiten zwischen den Euro-Ländern in den letzten Jahren deutlich auseinanderentwickelt. Es rächt sich jetzt, dass zwar eine gemeinsame Währung mit einer gemeinsamen Geldpolitik eingeführt wurde, aber keine gemeinsame Steuer-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. In einem gemeinsamen Währungsraum können Bilanzungleichgewichte nicht durch Abwertungen ausgeglichen werden. Deutschland hat davon in der Vergangenheit sehr profitiert. Die starke Exportstellung der deutschen Wirtschaft wurde durch die zurückhaltende Lohnpolitik in den vergangenen Jahren sogar zusätzlich gestärkt. Gerade die Bundesregierung gehört zu den Bremsern bei einer Fortentwicklung der wirtschaftspolitischen Koordination in der EU. Die europäische Wirtschaftspolitik muss sich neu ausrichten und die Wirtschafts- und Währungsunion muss sich ergänzen um eine politische Union. Dies fordern wir Grünen seit langem.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin