Frage an Joschka Langenbrinck von Cäcilie B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Langenbrinck,
ich verfolge seit Monaten mit Interesse (und auch Unmut) die Debatte um das Tempelhofer Feld zwischen Senator Müller und der 100% Initiative.
Herr Müller argumentiert immer wieder damit, dass eine angemessene Bürgerbeteiligung von Beginn an stattgefunden hat und auch weiterhin stattfindet.
Ich frage mich, wo diese Beteiligungen tatsächlich erfolgen? Die öffentlichen Veranstaltungen, die ich besucht habe, erschienen mir eher Informationsveranstaltungen zu sein. Mit Podiumsdiskussion im Verhältnis 4:1 (Baubefürworter vs. Gegner).
Ich würde gerne wissen, ob unter die Bürgerbeteiligung zu den Plänen für das Tempelhofer Feld auch die facebook-Seite der Tempelhofer Freiheit gezählt wird. Es heisst ja, dass ein Internetdialog stattfindet, ist diese Seite damit gemeint?(hier passiert m.E. kein Dialog, es werden lediglich Infos verteilt, auf ernstgemeinte kritische anmerkungen jedoch so gut wie gar nicht reagiert.) Es ist zwar auch nur eine "kleine" seite mit rund 2800 likes, aber immerhin...
Außerdem interessiert mich, auf welche Weise die Zählung der Personen, die die Schaustelle Wohnen auf dem Feld besuchen, ausgewertet wird.
Was werden Sie dafür tun, dass sich die Bürger in Zukunft gehört und ernstgenommen fühlen?
Ich habe diese Fragen auch an Herrn Müller geschickt. Da dieser jedoch selten bis kaum auf Fragen hier im abgeordnetenwatch reagiert, schicke die Frage auch an Sie.
Mit freundlichen Grüßen,
Cäcilie Böhmig
Sehr geehrte Frau Böhmig,
Ich finde es gut, dass das Volksbegehren erfolgreich war. Eine bessere Bürgerbeteiligung gibt es nicht: Wir alle werden die Möglichkeit haben darüber abzustimmen, ob das Feld so bleiben soll, wie es ist. Oder ob es eine RANDBEBAUUNG geben soll.
50% der gültigen abgegebenen Stimmen beim Volksbegehren entfielen auf Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg. Die anderen 50% auf die anderen 9 Bezirke, jeweils zw. 1,5% und 6,7%. Ich bin gespannt, wie die Bürger in Marzahn-Hellersdorf (Abstimmquote beim Volksbegehren: 1,5%) beim Volksentscheid abstimmen werden, die - so möchte ich behaupten - das Tempelhofer Feld selten nutzen, aber ein Interesse daran haben dürften, ob es zeitnah mehr bezahlbare Wohnungen in der Innenstadt gibt, damit der Wohnungsmarkt entspannter wird und die Mieten nicht mehr so rasant steigen.
Weshalb ich der Meinung bin, dass wir eine Randbebauung auf dem Tempelhofer Feld brauchen, habe ich hier in meiner Antwort auf die Frage vom 17. April 2013 ausführlich geschrieben, auf die ich gern verweise.
Sie haben in Ihrem Leserbrief ( http://www.neukoellner.net/macht-marchen/um-die-lerche-geht-es-nicht/ ) in Zweifel gezogen, ob überhaupt bezahlbare Wohnungen am Rand des Tempelhofer Felds gebaut werden sollen. Geplant ist, dass in dem neu entstehenden Quartier am Tempelhofer Damm zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften und eine Genossenschaft bis zu 1700 Wohnungen bauen - mit mind. 50% bezahlbaren Wohnungen zw. 6-8 EURO pro m2 für kleine und mittlere Einkommen. Zusätzlich soll es günstiges, studentisches Wohnen geben. Es wird kein Luxus-Quartier entstehen, sondern eine Berliner Mischung. Und das Wichtigste (die letzten Wochen haben immer wieder gezeigt, dass man nicht oft genug darauf hinweisen kann): 230 ha des Feldes (größer als der Tierpark) bleiben Grünfläche, nur am Rand soll gebaut werden.
Berlin ist eine wachsende Stadt. Bis 2030 werden 230.000 Neu-Berliner erwartet. Eigentlich könnten wir damit einen 13. Bezirk aufmachen. Nur können wir die Fläche Berlins nicht vergrößern. Also muss es andere Lösungen geben. Allein in unserem Bezirk werden 21.000 Neu-Neuköllner bis 2030 erwartet. Wo sollen die denn alle hin? Es sind ca. 11.000 neue Wohneinheiten erforderlich. Wo Bau-Möglichkeiten in unserem Bezirk bestehen, hat eine entsprechende Studie ergeben ( http://www.berlin.de/imperia/md/content/baneukoelln/pdf2010/wb_studie_internetfassung.pdf ).
Vor diesem Hintergrund können und dürfen wir beim Thema Wohnungs-Neubau den
Rand des Tempelhofer Felds nicht außer Acht lassen.
Und Sie haben es in Ihrem Leserbrief selbst geschrieben: Durch die Wohnungsknappheit werden Berliner, die sich die Mieten insb. (aber nicht nur) innerhalb des S-Bahn-Rings nicht mehr leisten können, an den Berliner Stadtrand verdrängt. Wollen Sie Banlieues am Stadtrand haben, wie es sie z.B. in Paris gibt? Ich nicht. Dass die Entwicklung längst läuft, belegen die neuesten Zahlen
http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article124343701/Wo-die-Mieten-in-Berlin-am-hoechsten-sind.html .
Heißt im Umkehrschluss: her mit neuen, bezahlbaren Wohnungen, vor allem in der Innenstadt!
Wer gegen steigende Mieten ist, kann nicht gegen die Randbebauung des Tempelhofer Felds sein.
Was die Bürgerbeteiligung betrifft, empfehle ich Ihnen die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage ( http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/KlAnfr/ka17-12758.pdf ) eines Kollegen der Piratenfraktion. Darüber hinaus kann ich Ihnen keine weiteren Informationen liefern, ich bin nicht der Pressesprecher von Senator Müller.
Freundliche Grüße
Joschka Langenbrinck