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Joschka Langenbrinck
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Frage von Eleni D. •

Frage an Joschka Langenbrinck von Eleni D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Langenbrinck,

ich besuche derzeit ein Berliner Gymnasium in der 11. Jahrgangsstufe. In meiner Frage geht es um die Problematik von südeuropäischen "Wirtschaftsflüchtlingen". Ich habe vor Kurzem eine Statistik gesehen (war im Fernsehen, leider finde ich die Quelle nicht mehr), die mich sehr traurig gemacht hat. Laut Umfrage lehnen 92% der Deutschen Jobsucher aus dem europäischen Mittelmeerraum ab. Diese Arbeitssuchenden sind (oft) sehr gut ausgebildet, auf jeden Fall aber verzweifelt und sie gehen ein sehr hohes Risiko ein oder lassen ihre Familien zurück. Immer wieder höre/lese ich, dass die Situation auf den Arbeitsmärkten der südeuropäischen Schuldenstaaten zunehme schlechter wird. Ich befürchte, dass diese negative Grundhaltung der Deutschen schnell zu Beschimpfungen oder sonstigen Aggression führt.

Mein Vater ist Grieche und ich werde allein aufgrund meines Namens oft mit unsinnigen Vorurteilen konfrontiert. Bisher beläuft es sich auf "Belächeln" und "dumme Sprüche". Bei dem o. gen. Umfrageerbgebnis bin ich jedoch in großer Sorge, dass daraus auch mehr werden könnte.

Wie will die Politik dem entgegenwirken?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dalkeranidis,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ich find´s krass, dass in den südeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten zum Teil mehr als die Hälfte der Jugendlichen bzw. der Unter-25-Jährigen arbeitslos sind. Selbst gut ausgebildete junge Leute finden keinen Job, weil die nationale Wirtschaft unter der Banken-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise ächzt. Ihr Land bietet ihnen keine Perspektive. Das ist ein schlimmer Zustand.

Deshalb habe ich Verständnis vor allem für unsere Generation, wenn sie ihr Land aufgrund der Perspektivlosigkeit verlässt und ihr Glück zum Beispiel in Deutschland sucht. Das ist ihr gutes Recht. Denn jeder EU-Bürger kann sich in allen EU-Mitgliedsstaaten niederlassen. Egal, ob er einen Arbeitsplatz nachweisen kann oder nicht.

Und wir Deutsche werden immer weniger. Das hat zur Folge, dass die Wirtschaft auf absehbare Zeit einen Mangel an Fachkräften haben wird bzw. in einigen Branchen bereits hat. Nicht wenige Unternehmen haben schon heute Probleme, offene (Azubi-)Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Deshalb ist Deutschland auf die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte angewiesen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass sie nicht willkommen sind: vor einigen Monaten suchten z.B. Gemeinden aus Baden-Württemberg in EU-Mitgliedsstaaten händeringend nach gut qualifizierten Fachkräften, weil in BaWü annähernd Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel herrscht.

Unserer Wirtschaft geht es Gott sei Dank besser als in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Das ist auch der mutigen Agenda 2010 von Ex-SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder zu verdanken. Die deutsche Wirtschaft ist ein Anziehungsmagnet für gut ausgebildete junge Menschen aus anderen europäischen Staaten. Wir müssen den betroffenen Staaten allerdings auch helfen, ihre eigene Wirtschaft wieder in Gang zu setzen.

Deutschland profitiert außerordentlich von der europäischen Gemeinschaft und der Währungsunion. Neben Frieden, Wohlstand und dem politischen Zusammenwachsen der europäischen Völkergemeinschaft hat die Partnerschaft zwischen den Staaten und die gemeinsame Währung auch viele wirtschaftliche Vorteile gebracht.

Allein die deutsche Industrie sparte damit viele Milliarden Euro, die nicht mehr notwendig waren, um Wechselkursschwankungen abzusichern. Weit über die Hälfte der deutschen Exporte, einer der Motoren unseres Wirtschaftswachstums, geht in Länder der EU. Allerdings sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte besonders zwischen den Staaten im Süden und im Norden der EU groß.

Waren und Dienstleistungen, die letztlich mit Schulden bezahlt wurden, und die Probleme, die die Finanzmarktkrise mit sich brachte, haben einige Staaten in Not gebracht, z.B. Portugal, Spanien und Irland aufgrund der Probleme mit den dortigen Banken. Die Probleme Griechenlands sind dabei ein Sonderfall. Sie wurden schlicht durch zu hohe Staatsausgaben (und zu geringe Staatseinnahmen) und nicht durch die Krise verursacht.

In der jetzigen Situation fallen zwei Krisen zusammen: die Überschuldungskrise einzelner Mitglieder der Euro-Zone und die politische Führungskrise innerhalb der EU insgesamt. Längst hat sich daraus eine echte Vertrauenskrise entwickelt, denn selten standen die Bürger der EU den europäischen Institutionen, den Parteien, Parlamenten und Regierungen Europas so skeptisch und ablehnend gegenüber wie heute. Antieuropäische Ressentiments nehmen zu und das Fehlen jeder Perspektive und Hoffnung treibt in den krisengebeutelten Mitgliedsstaaten die Anti-Europäer und Neo-Nationalisten in die Parlamente und Regierungen.

In dieser Situation können wir entweder die Zukunft der Währungsgemeinschaft und damit der EU infrage stellen und riskieren oder aber zusammenrücken, so dass sich die Staaten im Notfall gegenseitig helfen. Das darf nur unter strengen Auflagen und Bedingungen geschehen, denn schließlich handelt es sich um Steuergelder. Um die großen Vorteile Deutschlands in der EU insgesamt zu sichern, ist die SPD für die Möglichkeit gegenseitiger Hilfen. Mit dem Zusammenhalt der Union zu zündeln, ist nicht unser Weg. Wir dürfen die innereuropäische Solidarität nicht aufgeben.

Deutschland als größter europäischer Volkswirtschaft kommt in dieser Situation eine besondere Bedeutung zu. Natürlich wünscht sich eine große Mehrheit unserer Bevölkerung nicht, dass sie mit ihren hart erarbeiteten Steuergeldern für die Fehler, die Korruption und die Unverantwortlichkeit anderer Regierungen in der EU aufkommen muss. Und auch in unserem Land wachsen die antieuropäischen Ressentiments.

Gerade deshalb kommt es jetzt auch bei uns mehr denn je auf politische Führung an. Deutschland als der große politische Gewinner der europäischen Einigung nach dem zweiten Weltkrieg und als der ebenso große wirtschaftliche Gewinner der europäischen Währungsunion darf der gewachsenen EU-Skepsis nicht nachgeben. Wir tragen Verantwortung für den Fortbestand der Währungsunion und den Erfolg des gemeinsamen Europa.

Deshalb müssen wir den von der Banken-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise betroffenen Staaten eine Perspektive für das Wiedererstarken ihrer Wirtschaft geben. Wir brauchen ein europäisches Modernisierungs- und Wachstumsprogramm. Ohne Unterstützung durch die EU wird Griechenland z.B. nicht auf die Beine kommen. Und ohne eine solche Unterstützung werden die Menschen in Griechenland die unvermeidlichen harten Einschnitte nicht akzeptieren. Deshalb brauchen wir mehr statt weniger Europa. Denn auf Dauer kann eine Währungsunion nicht ohne eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen funktionieren.

Ich würde mir wünschen, dass wir uns endlich nicht nur als Deutsche, Spanier, Griechen, Belgier, Polen oder Malteser sehen. Sondern auch als Europäer.

Freundliche Grüße
Joschka Langenbrinck