Frage an Johannes Pflug von Detlef K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Pflug,
wie ich erfahren habe, stimmt der Bundestag in der 2. Novemberwoche über die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ab.
Ich fühle meine durch die Verfassung und andere Gesetze garantieren Rechte auf private und vertrauliche Kommunikation massiv durch dieses Gesetz eingeschränkt.
Wenn die Kommunikationsdaten der Gesamtbevölkerung für 6 Monate gespeichert werden, enthalten diese Informationen ein "Soziogramm" fast aller Bürger. Derartige Beziehnung sind privat und gehen keinen etwas an.
Ich werde mit der Speicherung meiner Verbindungs- und im Falle von Mobiltelefonen auch Bewegungsdaten Kriminellen oder Verdächtigen gleichgestellt, obwohl das unsere Rechtsordung so nicht vorsieht.
Wie soll die maximale Speicherdauer von 6 Monaten und die nicht missbräuchliche Verwendung garantiert werden, wenn diese Verbindungsdaten im Rahmen des Europaratsabkommens über Computerkriminalität an 52 Staaten übermittelt werden, in denen ganz andere Gesetze gelten?
Wie können Anwälte, Pfarrer oder Journalisten, die bei der Kommunikation mit ihren Klienten/Informanden - aus gutem rechtstaalichen Grund - besondere Geheimhaltungsrechte und PFLICHTEN zustehen, in diesem Zusammenhang sicher sein, daß diese Beziehung zu Ihren Klienten/Informanden nicht bekannt werden?
Welche Entwicklung wird der für eine Demokratie unverzichtbare freie Journalismus nehmen, wenn Informanden, die beispielsweise Korruption aufdecken könnten, befürchten müssen, durch Ihre Verbindungsdaten evtl. identifiziert werden zu können und deshalb mit Repressalien rechnen.
Ich würde gerne wissen, ob Sie die Vorratsdatenspeicherung ähnlich kritisch sehen, und falls nicht, warum Sie die Bedenken vieler Bürger und insbesondere auch Fachleute für nicht stichhaltig halten.
Mit freundlichen Grüßen
- D. Krusekopf -
Sehr geehrter Herr Krusekopf,
Ihre Frage vom 01. November 2007 habe ich erhalten und danke Ihnen für Ihre Anregungen.
Bei dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um die Umsetzung einer EU-Richtlinie (2006/24/EG). Die Eckpfeiler des Gesetzes wurden somit auf EU-Ebene bestimmt. Bei den Verhandlungen zu diesem Gesetz hat sich die Bundesregierung trotz massiven Widerstands der anderen Mitgliedstaaten für eine möglichst grundrechtsschonende Regelung einsetzt. So wurde beispielsweise die Mindestspeicherungszeit der Daten auf 6 Monate und nicht wie ursprünglich auf 36 Monate reduziert. Auch bei der Frage, welche Daten gespeichert werden, hat sich Deutschland mit seiner restriktiven Linie durchgesetzt.
Es werden nur Verbindungsdaten gespeichert, also keine Telekommunikationsinhalte. Konkret: Es wird nur gespeichert, von welchem Anschluss aus zu welchem Anschluss hin, wann und wie lange telekommuniziert wurde. Viele Telekommunikations-Unternehmen (TK-Unternehmen) speichern diese Daten schon heute zu geschäftlichen Zwecken. Bei der Mobilfunktelefonie kommt nun hinzu, dass auch der Standort (gewählte Funkzelle) gespeichert wird. Mit dem neuen Gesetz werden auch Daten der Internetkommunikation gespeichert. Hierbei speichern die TK-Unternehmen lediglich, dass eine IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt online war. Es werden weder die besuchten Internetseiten noch die Inhalte von E-Mails gespeichert.
Die Daten werden - wie bisher – nur beim TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss. Somit werden die Daten ohne diesen Rechtsweg auch nicht an weitere Staaten im Rahmen des Europaratsabkommens über Computerkriminalität weitergegeben. Der Artikel 26 des Abkommens des Europarates über Computerkriminalität sichert das Primärrecht der Staaten, und bestimmt, dass eine Weitergabe der Daten nur im Rahmen der inländischen Gesetze möglich ist.
Für Personen, die als Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO eine besondere Stellung haben, gilt: Das Zeugnisverweigerungsrecht in der Vernehmung bleibt unverändert. Der Schutz der Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Journalisten, Rechtsanwälte) wird künftig auf alle Ermittlungsmaßnahmen erstreckt (galt bislang nur für einzelne Maßnahmen) und damit in umfassender Weise verbessert. Bisherige Schutzvorschriften wie die Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) oder das Verbot der Wohnraumüberwachung bei Berufsgeheimnisträgern (§ 100c Abs. 6 StPO) bleiben uneingeschränkt bestehen. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen nur nach einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall einbezogen werden dürfen.
Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete werden durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung werden sie von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das unter Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Gespräche mit dem Seelsorger und mit dem Verteidiger gefordert. Beispiel: Die Entscheidung, ob eine Observierung gegen einen Journalisten durchgeführt werden darf, bedarf danach in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung, bei der die Pressefreiheit einerseits sowie etwa die Schwere der aufzuklärenden Straftat andererseits gegeneinander abzuwägen sind. Handelt es sich nicht um eine Straftat von erheblicher Bedeutung (z. B. Mord, Totschlag, Bildung einer terroristischen Vereinigung), ist die Maßnahme unzulässig. Dies gilt auch für die Entscheidung, ob die erlangten Erkenntnisse zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden dürfen.
„Verstrickungsregelung“: Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können bereits nach geltendem Recht beispielsweise Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Dabei soll es bleiben, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Es müssen bestimmte (konkrete) Tatsachen vorliegen, auf die sich der Verstrickungsverdacht gründet, die ausreichen, ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen den Journalisten einzuleiten. Beispiel: Ein Journalist berichtet über einen Bankraub und veröffentlicht dabei Informationen, die darauf hindeuten, dass er weiß, wer der Täter ist. Gegenüber den Strafverfolgungsbehörden beruft sich der Journalist auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Nach geltendem Recht kann die Strafverfolgungsbehörde auf den einfachen Verdacht hin, der Journalist könnte an der Tat beteiligt sein, im Rahmen des Ermittlungsverfahren gegen den mutmaßlichen Bankräuber trotz der Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht eine Durchsuchung beim Journalisten vornehmen und dabei Beweisunterlagen beschlagnahmen. Künftig soll das nur noch möglich sein, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Journalist in den am Bankraub verstrickt ist (z. B. an diesem beteiligt war oder sich der Begünstigung strafbar gemacht hat).
Zum besonderen Schutz der Pressefreiheit setzen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gegen Medienmitarbeiter bei Verrat von Dienstgeheimnissen künftig zusätzlich voraus, dass die nach dem materiellen Strafrecht erforderliche Strafverfolgungsermächtigung der zuständigen obersten Behörde bereits erteilt wurde – und zwar auch gegenüber dem Medienmitarbeiter. Zudem wird die Pressefreiheit durch einen verbesserten Informantenschutz gestärkt: Zufallsfunde (Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde) bei Medienmitarbeitern dürfen nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter 5 Jahren Freiheitsstrafe bewehrt sind, verwertet werden.
Ähnlich wie Sie halte auch ich die Wahrung der Grundrechte für enorm wichtig. Deswegen wird der Grundrechteschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind, verbessert:
- Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
- Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen
- Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten
- Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
- Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.
Ihre Bedenken bei dem neuen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kann ich nachvollziehen. Jedoch denke ich, dass bei der rasanten Entwicklung neuer Technologien, inklusive der Erleichterungen für den Alltag, aber auch der Erleichterungen für kriminelle Aktivitäten, ein neues Gesetz von Nöten ist. Das neue Gesetz liefert dazu den richtigen Ansatz. Da bei der Gestaltung des Gesetzes besonderer Wert auf die Schonung der Grundrechte gelegt worden ist, denke ich dass auch die Frage des Datenschutzes mit ausreichender Aufmerksamkeit beachtet wurde. Ich kann Ihnen versichern, dass das neue Gesetz es nicht vorsieht, Sie mit einem Kriminellen gleichzusetzen. Zum Ersten werden sich die Daten die gespeichert werden nur in sehr geringem Ausmaß mit dem bereits geltenden Gesetzen unterscheiden. Zum Zweiten bleiben diese Daten genau wie vorher auch bereits bei den TK-Unternehmen. Und zum Dritten werden diese Daten nur genutzt, wenn ein sehr konkreter Verdacht auf eine ausreichend schwere Straftat besteht.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Pflug