Frage an Johannes Pflug von Ralf G. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Herr Pflug,
zum Thema bedingsloses Grundeinkommen würde mich Ihre Meinung interssieren:
Hier einmal einige Vorteile dieses Systems: Seit Jahren gehen die Einnahmen aus Lohnsteuern zurück. Arbeit ist flexibel und sucht sich weltweit den (steuer)günstigsten Standort.
Eine vollständige Abschaffung der Steuern und Abgaben auf niedrige Einkommen werden wir deshalb so oder so vollziehen. Die neuen Osteuropäischen EU-Staaten machen es uns bereits sehr erfolgreich vor. Dort werden nur noch hohe Einkommen besteuert und Steuern Konsum (25-30% Mwst) erhoben, andere Steuern wurden gar nicht erst eingeführt un somit auch keine Bürokratie.
Zur Zeit wird die einfache Dienstleistungsstunde mit 80% Abgaben und Steuern belastet, ähnlich wie Alkohol, Tabak und Sprit.
Jeder, der ein wenig Ahnung von Markt hat, soll sich einmal durch den Kopf gehen lassen, was passiert, wenn ich auf dem Markt für einfache Diestleistungen die Löhne um 80% senke (bei gleichbleibendem Nettolohn!). Ich bin mir sicher, daß wir nach 6 Wochen einen akuten Arbeitskräftemangel haben und jeden Polen, der nach D kommt, mit offenen Armen empfangen, weil wir den Markt gar nicht mit den wenigen Deutschen bedienen können!
Die 80% Steuern und Abgaben auf die Lohnstunde werden den Menschen zwangsweise abgenommen. Über ihre Verwendung hat der Bürger keinen Einfluß. Das einzige, was man ihm sagt, ist, daß diese Systeme, in die er 80% seiner erwirtschafteten Leistung einzahlt, Konkurs sind.
Beim Bürgergeld werden die Produkte des täglichen Bedarfs mit einer niedrigen, die des außergewöhnliche Bedarfs mit einer hohen und Luxusgüter mit einer exorbitanten Steuer belegt.
In diesem System kann der Bürger endlich frei entscheiden, was er sich für seinen Lohn kauft. Der Staat, der ihm das Geld vorher abnimmt, bevor er es in den Fingern hat, fällt als bevormundender Alleskönner und "ich- weiß-am-besten-was-ich-mit-deinem-Geld-mache Staat" in diesem Falle weg. Dies ist authentischer Liberalismus!
schönes wochenende
RG
Sehr geehrter Herr Gräber,
ich kann die Faszination, die das bedingungslose Grundeinkommen auf Sie ausstrahlt, sehr gut verstehen. Das Konzept klingt wie aus einem Märchen: Der Staat zahlt jedem Bürger ein monatliches Grundgehalt von soundso viel Euro ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung. Alle Sozialleistungen werden im Gegenzug gestrichen. Bürokratie würde abgebaut. Für Unternehmen würden die Arbeitskräfte günstiger, die Wirtschaft floriert und die Arbeitslosigkeit würde sinken. Weil jeder die Leistung erhielte, wären Arbeitslose nicht länger stigmatisiert. Kurz: Die Defizite unseres Sozialstaats wären auf einen Schlag beseitigt. Was so fantastisch klingt, ist es letztendlich auch: Ein fantasievolles Gedankenspiel, was aber nichts mit unserer Realität zu tun hat.
Zuerst einmal muss ich Ihnen sagen, dass unsere deutsche, europäische und globale Wirklichkeit derart komplex, vielschichtig und interdependent ist, dass man mit solchen „einfachen besten Lösungen“ zwar in gewissen Gesprächsrunden Eindruck schinden kann. Mit realitätsnaher, praktischer und finanzierbarer Politik hat es jedoch wenig zu tun. Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Vergleiche mit anderen Staaten – in ihrem Fall mit osteuropäischen Staaten, die eine Flat Tax eingeführt haben – meistens hinken. Deutschland ist eben nicht vergleichbar mit der Ukraine, der Slowakei etc.
Die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit eines Systems des bedingungslosen Grundeinkommens ist höchst fraglich. Tendenziell würden die Bürger ihre Arbeit zugunsten von mehr Freizeit reduzieren. Dadurch würde die Produktivität unserer Wirtschaft sinken, was wiederum geringere Erlöse und steigende Preise zur Folge hätte. Ein Teufelskreis weil das Grundeinkommen daraufhin erhöht werden müsste. Selbst für das Grundeinkommen gilt aber: Man kann nur das Geld verteilen, welches man zunächst erwirtschaftet hat. Eine Gegenfinanzierung über eine höhere Mehrwertssteuer (auf Grund- und/oder Luxuskonsumgüter) würde nur zu einer Massen- (Einkaufs-) Flucht über die deutschen Grenzen führen.
Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens ist aber auch unsozial: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wird versucht, Kernprinzipien des Sozialstaates auszuhebeln. Während bisher Sozialleistungen überwiegend zielgenau auf die tatsächlich Bedürftigen zugeschnitten wurden, würden nach diesem Modell auch diejenigen Bürger zu Transferempfängern, die das Geld überhaupt nicht benötigen. Gleichzeitig entfiele mit der progressiven Einkommensteuer ein zentrales Umverteilungsinstrument. Diese Logik widerspricht zu Recht dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen in Deutschland. Das hat nicht zuletzt der Bundestagswahlkampf 2005 gezeigt, als Professor Paul Kirchhof mit seiner Flat Tax scheiterte. Hinzu kommt, dass die meisten Bedürftigen nach den momentan kursierenden Grundeinkommens-Modellen (z.B. auch das von Dieter Althaus) weniger Geld in der Tasche hätten als heute.
Aus meiner Sicht werden die Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens auch nicht der Komplexität von Armut gerecht. Das bedingungslose Grundeinkommen wird Probleme wie fehlende Chancen auf aktiver Teilhabe an der Gesellschaft und in der Arbeitswelt, mangelnde Bildung und „Vererbung“ sozialer Benachteiligung nicht lösen sonder eher vergrößern! Ein sozialer Staat ermutigt, aktiviert und befähigt deshalb seine Bürger zu Partizipation, Leistung, Kreativität. Er investiert in die Menschen, anstatt sie zu alimentieren. Nur der vorsorgende Sozialstaat, der Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik intelligent miteinander vernetzt, kann im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit herstellen. Die Verfechter des Grundeinkommens hingegen wollen die Säulen der Sozialversicherung (Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Unfall) einfach niederreißen, die Fürsorgesysteme und Maßnahmen zur Arbeitsförderung einstellen. Berufliche Weiterbildung, Ausbildung Benachteiligter, beschäftigungsbegleitende Leistungen - alle staatlichen Hilfen, mit denen die Menschen auf eigene Füße kommen sollen, würden abgeschafft.
Zudem wird aus meiner Sicht der psychologische Aspekt übersehen. Wissenschaftliche Studien habe gezeigt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen den Mensch eben nicht zu einem zufriedenen, arbeitseifrigen und seine Freizeit sinnvoll nutzenden homo illuminatus werden lässt. Vielmehr führt es Unzufriedenheit, Antriebslosigkeit, Unwirtschaftlichkeit und eher chaotischen Verhältnissen. Wer würde sich denn in einer Welt des bedingungslosen Grundeinkommens um 3 Uhr morgens aus dem Bett quälen um einer ehrlichen Arbeit wie Brötchen backen, den Müll abholen oder Zeitungen ausliefern nachzugehen?
Statt der aus meiner Sicht überflüssigen Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen sollte wir vielmehr über eine gute und nachhaltige Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik reden. Hier müssen wir ansetzen damit jeder Mensch eine Chance auf einen Platz in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt bekommt, so dass er nach seiner Fasson glücklich werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Pflug