Frage an Johann Wadephul von Stephan B. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Dr. Wadephul,
die Bundesregierung will kurzfristig im November einen Gesetzentwurf einbringen, der die Beschneidung von nichteinwilligungsfähigen Jungen ohne medizinische Indikation legalisiert. Hintergrund ist ein Urteil des LG Köln von Mai und eine Bundestagsresolution vom 19. Juli 2012. Über 60 Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben jetzt einen Alternativentwurf vorgelegt, der die Legalisierung dieses mit Risiken behafteten, schmerzhaften und irreversiblen Eingriffs von der Einwilligung ab dem Alter von 14 Jahren und nur durch zugelassene Fachärzte nach ausführlicher Aufklärung vorsieht.
Können Sie diesem Alternativentwurf zustimmen?
Sind Sie mit mir der Meinung, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht vereinbar ist mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2 GG), dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3, Satz 1 und 2 und dem Artikel 24,3 der UN-Kinderechtskonvention, der die Vertragsstaaten verpflichtet „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen"?
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Busch
Sehr geehrter Herr Busch,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15.11.2012 und verzeihen Sie bitte meine sehr späte Antwort.
Ein dringender, längerer Klinikaufenthalt machte es mir leider weder möglich, Ihnen Antwort zu geben, noch an der Abstimmung im Dezember teilzunehmen.
Die Beschneidung von Jungen soll auch künftig in Deutschland grundsätzlich erlaubt sein. Nach dem beschlossenen Gesetz wird im elterlichen Sorgerecht klargestellt, was bisher schon gilt: Eltern können in eine Beschneidung ihres Sohnes unter bestimmten Voraussetzungen einwilligen, auch wenn der Eingriff nicht medizinisch notwendig ist. Voraussetzung ist, dass die Eltern umfassend über die Risiken und Folgen einer Beschneidung aufgeklärt werden und dass der Eingriff nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Dazu gehört auch eine möglichst effektive Schmerzbehandlung. Die Eltern sind außerdem verpflichtet, den Willen des Sohnes in ihre Entscheidung einzubeziehen - und zwar umso mehr, je älter das Kind ist. Eine Beschneidung ist dann nicht erlaubt, wenn sie das Wohl des Kindes gefährden würde.
Mit dem Kölner Landgericht hatte erstmals ein deutsches Gericht die rituelle Beschneidung, die für Muslime und Juden von essenzieller religiöser Bedeutung ist, in Frage gestellt. In Deutschland war die Beschneidung bisher stets erlaubt. Nach dem Urteil fürchteten Juden und Muslime um die Zukunft ihres religiösen Lebens in Deutschland. Deshalb hatte sich der Bundestag schon am 19. Juli mit großer Mehrheit für eine gesetzliche Regelung ausgesprochen, die in verfassungskonformer Weise die Beschneidung von Jungen auch weiterhin zulässt. Mit dem Gesetzentwurf hatten sich der Zentralrat der Juden und muslimische Verbände zufrieden gezeigt, weil er für Rechtssicherheit sorge.
Ich bin der Auffassung, dass das Gesetz eine ethisch überzeugende und verfassungskonforme Antwort auf die Fragen gibt, die das Urteil des Landgerichts Köln aufgeworfen hat.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Johann Wadephul