Meine politische Überzeugung, meine Ziele.
Manchmal hilft es, lebenslaufbedingt schon etwas länger zurückschauen zu können. Meine Kindheit und Jugend habe ich in den 50ern und 60er Jahren erlebt. Und da konnte es schon passieren, dass einem als Langhaarigen zugerufen wurde, Hitler habe wohl vergessen, einen zu vergasen, oder man solle doch nach „drüben“ (gemeint war Ulbrichts DDR) gehen, wenn es einem „hier“ (in Westdeutschland) nicht passe. Als Kriegsdienstverweigerer stand ich vor einem Tribunal von verkniffenen Kleinbürgern und Verwaltungsmenschen, die auch mir die Frage stellten, was ich denn täte, wenn ich bewaffnet und mit Freundin im Wald unterwegs auf den bösen Russen – sprich Vergewaltiger - träfe. So war die Zeit. Viel Hass auf alles, was als fremd und anders betrachtet wurde, autoritäre und patriarchalische Strukturen, Sehnsucht nach dem starken Mann, Leugnung der Verbrechen Nazideutschlands, antidemokratische Grundhaltung, zwischen 1966 und 1968 Einzug der NPD in verschiedene Landtage. Vielleicht schon damals auch eine Abwehr von als bedrohlich empfundenen Folgen einer sich modernisierenden und globalisierenden Gesellschaft.
Mit zunehmender Wucht entfalteten sich dagegen aber in vielen Ländern Emanzipationsbewegungen für mehr Demokratie und Partizipation, Entkolonialisierung, Feminismus, Schutz der Umwelt und Demilitarisierung, die eine glaubwürdige und anziehende, auf den Werten der Aufklärung und der universellen Menschenrechte fußende Alternative zum Nationalismus, zum Kapitalismus, zum Totalitarismus anboten.
Dort und in der Bürgerrechtsbewegung der DDR, die ja - unter sehr viel schwierigeren Bedingungen als in Westdeutschland – ebenfalls ein Teil dieser Befreiungsgeschichte ist, liegen unsere Wurzeln als BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN. Und aus der Erkenntnis heraus, dass es darauf ankommt, über das Sich-Abarbeiten an den Folgen politischer Entscheidungen und problemverursachenden Strukturen hinaus direkt Einfluß zu nehmen, haben wir alle uns für das Engagement in unserer Partei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN entschieden. Und wir waren und sind gerade mit unseren MandatsträgerInnen in den Räten und Parlamenten sehr erfolgreich – was die nachhaltige Wirkung angeht.
Ohne uns und die beharrliche Arbeit der uns tragenden, uns gelegentlich auch mit kritischer Sympathie begleitenden Bewegungen, Initiativen, Projekte und Verbände, hätte unser Land – auch was sein Ansehen in der Völkergemeinschaft angeht – auf vielen Gebieten weniger aufzuweisen: in der Umwelt- und Energiepolitik und beim Klimaschutz, in der Geschlechterpolitik, in einem umfassenden Verständnis davon, was Sicherheitspolitik angeht, in der Europapolitik, in der Entwicklung von Zivilgesellschaften nicht nur bei uns, in dem Beharren darauf, dass Menschenrechte den Vorrang haben, in der Flüchtlingspolitik.
Dass dies immer nur zusammen mit anderen Parteien ging und geht, ist klar. Aber das zeichnet uns ja gerade gegenüber konkurrierenden Parteien aus: wir fordern nicht nur oder mahnen und skandalisieren mit dem selbstgerechten Hinweis darauf, dass „die Anderen“ ja nicht wollen. Wir sind ausdauernd und standfest, an der richtigen Stelle auch kompromissfähig und erstaunlich gut darin, Mehrheiten zu organisieren.
Es gab und gibt unbestreitbaren Veränderungen zum Besseren auf vielen Gebieten seit Ende der 60er Jahre. Das Ansehen, dass wir Deutschen uns in der Völkergemeinschaft erarbeitet haben ist gestiegen. Nicht wenige in unserer Partei (gerade die Älteren mit Biographien in diversen linken Parteien und Sekten) befanden sich noch zu „Wiedervereinigungszeiten“ in einer ausgesprochen kritischen und ablehnenden Haltung gegenüber „dem Staat“, „der Nation“ oder einem Begriff wie „Heimat“. Und das aus guten Gründen angesichts der deutschen Geschichte und wegen der latent vorhandenen und zum Teil auch manifest werdenden Unterströmungen des nazistischen Ungeistes.
Diese Haltung hat sich bei denen, die uns treu geblieben sind, ausdifferenziert bis hin zu der Bereitschaft, Regierungsverantwortung und hohe Staatsämter zu übernehmen. Wenn man so will, sind wir Bündnisgrünen Teil des Establishments, der Machteliten also. Und das ist gut so, so lange es eine aufgeklärte, progressive, dem Gemeinwohl, dem Grundgesetz und den allgemeinen Menschenrechten verpflichtete Elite ist. Insofern können wir dem von der reaktionären Rechten gebrauchten Kampfbegriff einer vorgeblichen Establishment-Kritik selbstbewusst und ohne schlechtes Gewissen entgegentreten. Es gibt genug Anlass, dieses Land nicht zur Beute der Höckes, Petrys, Gaulands, Poggenburgs, Pretzells, Kubitscheks, Elsässers usw. werden zu lassen.
Und damit komme ich zu den aktuellen Aufgaben, die sich uns stellen.
Es schien lange so – und daran konnten NPD und andere Rechtsparteien, Wehrsportgruppen, das Oktoberfestattentat, selbst der viel zu spät öffentlich bekannte Terror des so genannten NSU nichts ändern – als gäbe es nur eine Richtung in der deutschen Nachkriegspolitik: Friedfertigkeit nach innen und außen, Demokratisierung und starke Zivilgesellschaft, zunehmende Toleranz für Verschiedenartigkeit von Lebensmodellen, Solidarität, zunehmende Einbindung in eine europäische Union oder ein „Weltbürgertum“, verantwortlicherer Umgang mit Ressourcen, mit der Umwelt. Und nach dem Zerfall des von der Sowjetunion beherrschten Ostblocks waren auch die äußeren Bedrohungen und Feinde dieses Lebensmodells abhanden gekommen. Wir lebten im Kerneuropa lange auf der Insel der Seeligen. Erste Risse bekam dieses Bild sicher mit den Kriegen im auseinanderbrechendem Jugoslawien und später dann durch die Kriege in Afghanistan, im Irak, Libyen, in Syrien mit all deren Folgen auch für uns. Die Nachkriegswelt war nie friedlich, irgendwo war immer Krieg. Aber es war für uns alles weit weg. Ohne Bedeutung für unser Alltagsleben. Das hat sich geändert.
Es gibt Angriffe auf unser Lebensmodell von außen – durch einen sich religiös maskierenden Totalitarismus, der sich terroristischer Akte bedient. Das ist schlimm genug. Die wahre Bedrohung kommt aber von innen. Und wir sehen zudem mit Schrecken, dass sich in Europa und darüber hinaus eine Internationale von nationalistischen, xenophoben Autokraten zusammenrottet, die mit Horst Seehofer bereits einen unsicheren Kantonisten in deutscher Regierungsverantwortung gefunden hat. Er sieht offenbar in Viktor Orban einen angenehmen Tagungsgast und wartet vermutlich sehnsüchtig auf eine Einladung von Donald Trump. Die Rolle, die das Paar Pretzell/Petry in dieser reaktionären Internationale spielt, ist bekannt. Unlängst traf sich nach Presseberichten Petry mit dem Putin-Vertrauten Schirinowski. Der Front National erhielt angeblich einen 40-Millionen-Euro-Kredit „aus Moskau“. Laut FAZ-Artikel vom27.11.2014 begründete Marine Le Pen das so: Putin sei der letzte Verteidiger christlicher Werte in Europa und habe sich nicht von der homosexuellen Lobby unterjochen lassen.
Wenn Höcke in Dresden ruft „"Wir holen uns Deutschland wieder zurück! Stück für Stück!" – was er übrigens schon im August 2016 auf einer Kundgebung in Braunschweig tat – so ist das als Drohung zu verstehen. Weil man unschwer ahnen kann, was er und große Teile der so genannten AfD darunter verstehen. Das scheint mir – was Innenpolitik und Europapolitik angeht – die zentrale Herausforderung für uns Bündnisgrüne im Wahlkampf und darüber hinaus für die nächste Zeit zu sein: die Verteidigung einer freiheitlichen und sozial- und rechtsstaatlichen Zivilgesellschaft und Demokratie in einem den Nationalismus über-windenden solidarischen, sozial gerechten und weltoffenen Europa.
Darüber hinaus würde ich mir selbst folgende Schwerpunkte setzen – wie bereits oben angeführt: Energiepolitik/Klimaschutz, Demokratisierung/Bürgerbeteiligung, Regional- und Stadtentwicklung, Kulturpolitik/Soziokultur.