Frage an Joachim Bischoff von Gordon M. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Bischoff,
Gestern fand ich in einem ellenlangen Artikel des Hamburger Abendblatts erneut beschrieben, das auf die alte "Trichter-Scholle" mit der Bowlingbahn nun zwei, grosse Bürotürme gebaut werden dürfen.
Dabei ist doch der Büroenleerstand am Millerntor und im Astraturmviertel noch gar nicht abgebaut. Ist dass wirklich wahr? Muss man da nicht einen Riegel vorschieben, wie modern soll es denn noch werden am Kiez?!
Wäre es nicht viel ratsamer einen Parkplatz oder noch besser, vielleicht sogar eine Moschee auf diesem Gelände zu genehmigen.
Wollen GAL und CDU sich hier in Hamburg vielleicht mit einem nächsten 11.9. profilieren? -Also mich terrorisiert dieser Gedanke mit diesen perfiden Therani-Türmen zutiefst.
Mit freundlichen Grüssen
Gordon Müllenbach
Sehr Herr Müllenbach,
entschuldigen Sie zunächst die verspätete Antwort, aber die Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche und einige Erkundigungen zum aktuellen Stand des Projekts der „Tanzenden Türme“ haben einige Zeit verschlungen. Noch einmal zum Stand der Angelegenheit. Im Jahre 2004 hat der oft so titulierte „Stararchitekt“ Hadi Teherani einen Wettbewerb zur Neugestaltung der Ecke Reeperbahn/Zirkusweg gewonnen, der Entwurf wurde sogar preisgekrönt. Die beiden „Tanzenden Türme“ sollen voraussichtlich 24geschossig ausfallen und eine Höhe von ca. 85 m erreichen. Der Bau erfordert die stolze Summe von 150 Mio. Euro, Baubeginn soll im Sommer 2009 sein, mit der Fertigstellung wird Anfang 2012 kalkuliert. Investor des gigantischen Vorhabens ist die Baufirma „Strabag", die mit ihrer Verwaltung selbst in den Komplex einziehen und etwa zwei Drittel der Fläche für sich beanspruchen will. Darüber hinaus laufen im Moment Verhandlungen mit einem hier früher schon angesiedelten Musikveranstalter, dem nahezu legendären und alljährlich von bis zu 100.000 Menschen besuchten „Mojo Club“. Unklar war zuletzt noch die Fassadengestaltung, aber auch in dieser Hinsicht sind jüngst neue Entwürfe vorgelegt worden. Soweit zu den Planungen.
Aus meiner Sicht handelt es sich bei den „Tanzenden Türmen“ um ein weiteres Leuchtturmprojekt der Stadt Hamburg, das zwar privat gebaut wird, für das der zuständige Bezirk Mitte aber alles tut, um es baldmöglichst zu verwirklichen. Mit Leuchtturmprojekten habe ich so meine Probleme, dienen sie doch zuvorderst dem architektonischen Ruf der Stadt, der mehr TouristInnen und hippes, reiches Publikum anlocken soll. Die Menschen in der Umgebung, und damit meine ich die BewohnerInnen und die (kleinen) Gewerbetreibenden, spielen bei dieser Art von Planung nur eine ungeordnete Rolle. Das aber wünsche ich keinem Viertel und schon gar nicht den Menschen, die von solchen Projekten dann tagein, tagaus betroffen sind. Denn was sind die absehbaren Folgen des Komplexes?
-Die Bürofläche an der Reeperbahn wird in erheblichem Umfang erweitert, obwohl – und da haben Sie völlig Recht – in Hamburg ein Büroleerstand in der Größenordnung von einigen Hunderttausend qm besteht. In der näheren Umgebung sind schon in der jüngsten Vergangenheit einige große Hotel- und Bürobauten entstanden, die bereits für eine massive Erhöhung der Grundstückspreise und der Mieten gesorgt haben. Für mich ist es nicht akzeptabel, den Druck auf die Wohnbevölkerung durch immer neue und edlere Projekte zu erhöhen und die traditionell gemischte und in Teilen eben immer noch einkommensärmere Bewohnerschaft zu verdrängen. So verwundert es mich auch nicht, dass die „Strabag“ gleich neben den Türmen zudem noch ein weiteres (aus meiner Sicht überflüssiges) Vier-Sterne-Hotel bauen will.
-Der rund 85 m hohe Doppelturm wird eine nicht unerhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen beinhalten, d.h., dass auch tagsüber mit noch mehr Individualverkehr und Parkplatzproblemen zu rechnen ist. Es kommt angesichts der Höhe hinzu, dass sich sowohl das Kleinklima bzw. die Windverhältnisse als auch die Sonneneinstrahlung am Eingang der Reeperbahn nachhaltig verändern, lies: verschlechtern werden. Wie ungemütlich z.B. die pfeifenden Winde sein können, erlebe ich beispielsweise, wenn ich an den neu gebauten Hochhäusern in den Straßen Steindamm und Beim Strohhause in St. Georg vorbei gehe.
-Was mich den „Tanzenden Türmen“ auch noch skeptisch gegenüber sein lässt, ist der Umstand, dass darin weitestgehend Büroraum geschaffen werden soll, denn von neuen Wohnungen (die wir in Hamburg viel dringender benötigen als noch so modernistisch daher kommende Bürogebäude) ist nicht die Rede. Den „Mojo-Club“ zu erhalten, ist sicher eine gute Sache, zumal er eine lange Geschichte in St. Pauli hat. Aber ansonsten muss es darum gehen, wenn schon eine Fläche neu bebaut werden soll, mehr Wohnungen zu errichten. Wie wäre es denn beispielsweise, wenn die SAGA GWG genau an dieser Ecke neue Sozialwohnungen angehen würde? Wie wäre es zumindest mit dem Gedanken, den Wohnanteil in einem Neubau auf 50 % zu bemessen? Dies würde den Faktor Wohnen in St. Pauli stärken, und im Übrigen haben die auf Bezirksebene regierenden Parteien SPD und GAL in ihrem Koalitionsprogramm großspurig verkündet, vor allem den Wohnungsbau voranbringen zu wollen.
Ich stelle mich in der Stadtentwicklung keineswegs gegen neue Bauten und auch nicht gegen unkonventionelle Entwürfe. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass in den Stadtteilen die vor Ort betroffenen BürgerInnen beteiligt sein müssen. Dafür stehe ich gegenwärtig in Wilhelmsburg hinsichtlich der Verhinderung neuer Autobahnen wie auch in Altona bei der vom Senat evozierten Entscheidung in Sachen A7-Deckelung bzw. dem damit zusammenhängenden Verkauf von Hunderten Kleingartengrundstücken.
Angesichts der Leuchtturm-Politik in unserer Stadt – nicht nur auf Senats-, sondern auch auf SPD-GAL-dominierter Bezirksebene – habe ich allerdings wenig Hoffnung, dass die „Tanzenden Türme“ noch verhindert werden. Wir können seitens der LINKEN zwar daran Kritik üben, womöglich auch noch den einen oder anderen Vorschlag zur Fassadengestaltung einbringen, ich selbst kann und werde das Thema in meinem „BürgerInnenbrief“ aufnehmen und an anderer Stelle auf die o.a. Einwände aufmerksam machen, aber das wird letztlich am Gesamtvorhaben wenig ändern. Es sei denn, es entwickelt sich noch eine heftige Gegenwehr in St. Pauli, was ich sehr befürworte. Auf jeden Fall begrüße ich im Interesse der BürgerInnen vor Ort, dass voraussichtlich am 6. April eine öffentliche Anhörung resp. Plandiskussion zum Thema „Leuchtende Türme“ stattfinden soll. Das ist wohl noch eine Chance, das Projekt noch mehr oder weniger stark zu beeinflussen. Denn immerhin muss der Bezirk einem Bauantrag zustimmen, damit das Gebäude wie vorgesehen realisiert werden kann. Oder der Bezirk sagt unter dem Druck der Initiativen aus St. Pauli und der Opposition „NEIN!“. Da können wir also noch tätig werden.
Zum Abschluss danke ich für Ihre Anfrage, die eine ähnliche Skepsis anklingen lässt, wie ich sie für mich formulieren würde.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Bischoff