Frage an Joachim Bischoff von Julius A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Herr Bischoff,
was versteht "Die Linke" unter einer "demokratischen Kontrolle" der Medien?
Mit freundlichen Grüßen
Julius Andrews
Hallo Herr Andrews,
leider musste ich die Beantwortung Ihrer o.a. Anfrage wegen verschiedener Belastungen (Haushaltsberatungen) einige Tage aufschieben.
Sie müssen sich vor Augen führen, dass ich in den sechziger Jahren in West-Berlin studiert und mitbekommen habe, wie insbesondere die Springer-Presse die Aktionen der StudentInnen-, SchülerInnen- und Lehrlingsbewegung verteufelte. Gerade die „BILD“ hatte maßgeblich zu einer Hasswelle beigetragen, die dann auch in einem Attentat auf Rudi Dutschke, der damals schwer verletzt wurde, mündete. Ich schreibe Ihnen das, weil die Medienmacht für mich ein hochbrisantes und -sensibles Thema ist, ganz abgesehen davon, dass ich selbst seit Jahrzehnten publiziere und Vorstellungen davon entwickeln musste, wie es mit der Pressefreiheit beschaffen ist, einer Pressefreiheit, die nach dem konservativen Journalisten Paul Sethe in unserem Land vor allem „die Freiheit von 200 reichen Leuten“ ist.
Medien sind für mich zentraler Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Ihre Unabhängigkeit ist dabei einer der Dollpunkte für das Bewusstsein, den Aufklärungsgrad und das Engagement der Bevölkerung. Ohne eine solche Medienlandschaft ist ein offener Diskurs in der Gesellschaft oder gar ihre Veränderung nicht denkbar. Dabei beherzige ich nicht zuletzt die Erfahrungen der linken- und Arbeiterbewegung, die wahrlich nicht immer sorgsam mit dem hohen Gut der Pressefreiheit umgegangen ist. Für mich ist klar, dass Einschränkungen dieses Grundrechts nur noch bei wenigen Ausnahme- und Tatbeständen vorstellbar sind: Bei faschistischer, rassistischer und militaristischer Hetze muss meines Erachtens der demokratische Staat eingreifen. Keinesfalls intervenierten aber darf er jemals (wieder), wenn es um die kritische Betrachtung von Gesellschaft, Wirtschaft, Staat usw. geht, auch und gerade über die bestehenden Zustände hinaus. Da befinde ich mich ganz in der Tradition der klassischen Aufklärung.
Sie fragen konkret danach, was DIE LINKE unter einer „demokratischen Kontrolle“ der Medien versteht. Persönlich verbinde ich mit dem Begriff vor allem, dass die Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien- und vor allem auch Presselandschaft gewährleistet werden muss, was in unserem Lande durchaus seine Grenzen hat, worauf ich durch meine einleitenden Bemerkungen hinweisen wollte. Wer beispielsweise wie ich in Hamburg lebt und über das hiesige Geschehen umfassend informiert sein will, ist darauf angewiesen, regelmäßig das „Hamburger Abendblatt“ und ggfs. auch noch „Die Welt“ zu lesen, von der auflagenstarken „Bild“ einmal ganz abgesehen, alles aus dem Hause Springer. Klar, es gibt daneben noch das Boulevardblatt „Morgenpost“ und die „taz“ mit ihrer wirklich überschaubaren Hamburg-Seite, das ist es aber auch schon, ausgerechnet in dieser deutschen „Pressehauptstadt“. Die Medienkonzentration in den Händen dieses wirklich meinungsmachenden, sicher eher konservativ einzustufenden Unternehmens bekomme ich als Parlamentarier täglich mit, denn vielfältige Initiativen, Anfragen, Anträge etc. der Linksfraktion - übrigens auch auf Bundesebene - bleiben ohne jede Berücksichtigung. Ich will es mir nicht zu einfach machen und Fehler auf meiner resp. unserer „Seite“ ausschließen, aber ich behaupte, dass das Gros der Menschen keine klaren, halbwegs zutreffenden Vorstellungen hat von dem, was z.B. die Abgeordneten der LINKEN eigentlich so treiben und in welcher Weise und wie sie konkret versuchen, an einer sozial-ökologischen Wende in Hamburg oder der Bundesrepublik zu arbeiten.
Doch welche Instrumente gibt es, um eine solche demokratische Kontrolle auszuüben? Ich verstehe diesen Begriff so, dass die allzu große (Über-) Macht in Händen weniger MeinungsmacherInnen und Medienunternehmen verhindert werden muss, denn dies geht auf Kosten der Vielfalt und Breite. Dafür haben wir u.a. das Kartellgesetz (das leider kaum noch angewendet wird), dafür haben wir die „demokratisch kontrollierten“ öffentlich-rechtlichen Medien (die sich leider zunehmend der privaten Konkurrenz ergeben haben und bisweilen nur noch eine ebenso anspruchslose Kopie sind), dafür gibt es auch Vorstellungen einer stärkeren Beteiligung von Belegschaften, Redaktionen etc. in solchen Medienkonzernen (was auch nicht gerade sonderlich im Schwange ist). Sie sehen, dass es mit der „Kontrolle“ nicht so weit her ist und ich mir da einen offenen Diskurs wünsche, wie die Vielfalt noch zu verbreitern wäre.
Der Dreh- und Angelpunkt bleibt wahrscheinlich, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse „voranbewegen“ müssen, dann reagiert auch die Medienlandschaft oder gar ein konservativer Zeitungskonzern. Da möge man sich nur einmal an die Auseinandersetzungen um das Hamburger Gängeviertel erinnern. Eine Besetzung von Räumen wäre für die Abendblatt-Redaktion wohl so ziemlich das Letzte gewesen, aber durch die Breite des Protests und positive Reaktionen bis weit in bürgerliche Schichten hinein („Die retten das letzte Stück des alten Hamburgs“) gab es plötzlich eine wirklich beeindruckende, affirmative Befürwortung der Aktivitäten, wochenlang wurde seitenlang berichtet. Das war in Stuttgart nicht anders, und das wird auch in Zukunft bei bestimmten Entwicklungen so sein. Und gerade solche gesellschaftlichen Aufbruchsszenarien eröffnen ja die Perspektive für das Entstehen und Erstarken einer anderen, alternativen Presse- und Medienlandschaft in all ihren Schattierungen.
Vielleicht ist deswegen so vielen Menschen das Internet mit all seinen Facetten inzwischen näher, als die Tageszeitung, Radio- oder Fernsehberichterstattung? Hier jedenfalls bieten sich völlig neue Möglichkeiten der breiten Nutzung durch die Menschen (ich denke da z.B. an Online-Petitionen), weswegen ich aber auch sehr sensibel auf Einschränkungen im Netz reagiere und gleichzeitig - vor allem - dafür plädiere, dass alle Menschen den Zugang zu diesem Medium erhalten und den Umgang damit auch regelrecht erlernen. Hier sehe ich meine Kontrollfunktion als Abgeordneter sozusagen darin, den möglichst breiten Zugang zu diesem Medium abzusichern, sei es durch Unterstützung schulischer Angebote oder kostenfreie Netzzugangsmöglichkeiten etc.
Ich habe nachfolgend einen Abschnitt aus dem aktuellen Entwurf des Grundsatzprogrammes der LINKEN in dieses Schreiben eingebunden, woraus Sie vielleicht noch einige weitere Aspekte entnehmen können.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Bischoff