Frage an Joachim Bischoff von Christian W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bischoff,
Sie und Ihre Partei haben bei uns im Wahlkreis einen waschechten Kommunisten zum Spitzenkandidaten der LINKEN gemacht. Der Herr ist kein Mitglied der LINKEN, sondern Vorsitzender der DKP in Hamburg. Wie ist Ihre Meinung zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Sehr geehrter Herr Wiese,
fast habe ich eine solche Frage erwartet, denn es mag für den einen oder die andere ein Problem aufwerfen, dass ein „waschechter Kommunist“ aus den Reihen der DKP – übrigens der einzige – auf einer der Listen der LINKEN zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen in Hamburg kandidiert. Ich will Ihnen dazu in zweierlei Hinsicht antworten, einmal mit Blick auf mein Verständnis der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes, zum anderen hinsichtlich der Kandidatur eines DKP-Mitglieds auf der Liste der LINKEN im Wahlkreis II.
Wie Sie sicherlich wissen, ist das Grundgesetz in den ersten Nachkriegsjahren diskutiert und 1949 beschlossen worden. Mit Prof. Wolfgang Abendroth vertrete ich die Auffassung, dass das Grundgesetz mit seinen darin fixierten freiheitlichen und demokratischen Rechten eine Errungenschaft ist, die es in den darauffolgenden Jahrzehnten so manches Mal gegen seine Einschränkungen zu verteidigen galt. Ich erinnere da nur an die – nachträgliche – Einführung der Wehrpflicht und die bis heute gültige, dem Grundgesetz angehängte Notstandsverfassung. Mir würden da auch eine Reihe weiterer Konfliktpunkte einfallen, z.B. hinsichtlich der Berufsverbote (wovon ich in früher Zeit selbst einmal betroffen war) und des Kriegseinsatzes im Kosovo. Immer gab es Auseinandersetzungen, in wieweit bestimmte Maßnahmen und Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Ich jedenfalls habe diese Maßnahmen abgelehnt und bin überzeugt, mich dabei auch auf das Grundgesetz berufen zu können.
Grundsätzlich, und dies ist eben der Kern der Abendroth’schen Position, sieht das Grundgesetz keine eindeutige Gesellschaftsformation vor. Sie ist damals bewusst offen gehalten worden, was auch kein Wunder ist, weil nach 1945 der weitere Entwicklungsweg der deutschen Gesellschaft zunächst offen war. Selbst die CDU hat in ihrem Ahlener Programm von 1947 ausdrücklich die Sozialisierung der Schwerindustrie und des Bergbaus gefordert. Davon, und auch von den offenen Seiten des Grundgesetzes in Richtung eines demokratischen Sozialismus, hat sich nicht nur die CDU in den darauffolgenden Jahren weit entfernt, es herrschte lange Zeit die Auffassung vor, dass das Grundgesetz die ehernen Eigentumsverhältnisse festschreibt. Doch dies ist eben nicht der Fall, und so sehe ich mich damals wie heute in der Position, das Grundgesetz und die darin enthaltenen Entwicklungsmöglichkeiten hochzuhalten und wiederholt positiv darauf zu verweisen.
Insofern stehe ich dem Grundgesetz außerordentlich positiv gegenüber, kritisiere aber – oder vielleicht auch gerade deswegen – die sozialen und politischen Verhältnisse in unserem Land und auch in der Freien und Hansestadt Hamburg. Ich kann es eben nicht billigen, dass wir Millionen Erwerbslose haben, dass Menschen zu Ein-Euro-Jobs „verdonnert“ werden, dass die Arm-Reich-Schere immer weiter aufgeht. Oder was halten Sie davon, dass von rund 10.000 Einkommensmillionären in Hamburg deutlich weniger als 1 % pro Jahr steuerlich geprüft werden? Ich berufe mich da wiederum und nicht zuletzt auf das Grundgesetz, dass diesen wichtigen Satz beinhaltet: Eigentum verpflichtet. Aber doch nicht zu Steuerflucht und –hinterziehung, zu Spekulantentum und Börsenzockerei!
Kurzum, der von mir und meiner Partei verfochtene demokratische Sozialismus ist eine Gesellschaftsvorstellung, in der selbstverständlich die individuellen, aber eben auch die sozialen Rechte der Menschen gewährleistet werden. Im Übrigen, nehmen Sie mir das bitte ab, kritisiere ich viele Seiten des parlamentarischen Systems (wovon ich beispielsweise vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen im Untersuchungsausschuss zu den skandalösen Verhältnissen in der HSH Nordbank oder auch bezüglich des Ausschlusses der LINKEN aus der zentralen
Bodenkommission – sie ist zuständig für die Vergabe städtischer Liegenschaften – mehr als ein Lied singen könnte), aber ich weiß sehr wohl auch die Bedeutung, ja, die historische Errungenschaft der freien Meinungsäußerung, der Anerkennung der Opposition und vieler anderer demokratischer Rechte zu schätzen.
Zum zweiten Punkt. Die Linke in Deutschland ist spätestens nach 1949 lange Zeit an den Rand gedrängt worden, aufkeimender Widerstand z.B. gegen die Remilitarisierung in den 1950er Jahren, gar alternative gesellschaftliche Ansätze wurden mit polizeilicher und richterlicher Gewalt – von den konservativ dominierten Medien ganz zu schweigen – teilweise verfolgt und ins gesellschaftliche Abseits gestellt. Die Geschichte der Linken in Deutschland – und ich lasse hier die Betrachtung der Entwicklung in der DDR zunächst außen vor – ist über Jahrzehnte eine der Zersplitterung und Marginalisierung gewesen. Da ich seit den 1960er Jahren diesen Prozess miterlebe und im Rahmen meiner Möglichkeiten auch mitgestaltet habe, konnte ich lebhafte Vorstellungen davon entwickeln, wie schwer es zeitweilig war (und ist), gesellschaftliche Alternativen bisweilen auch nur zu diskutieren.
Damit kritische, alternative Vorstellungen überhaupt eine Chance haben, hat sich in den westdeutschen Bundesländern im Jahre 2004 die „Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ (WASG) gebildet und ein Jahr später als Partei konstituiert. Diese wiederum hat sich nach einem intensiven Diskussionsprozess im März 2007 mit der vor allem in Ostdeutschland präsenten Linkspartei.PDS fusioniert. Für mich persönlich bedeutet dieser Zusammenschluss einen wichtigen Schritt, um die ehemals zersplitterte, aber doch noch immer geteilte Linke in der Bundesrepublik zusammenzuführen. In diesem Zusammenhang will ich anmerken, dass die aus dem Untergang der SED hervorgegangene PDS seit Anfang der 1990er Jahre einen schwierigen Prozess der innerparteilichen Debatte durchlaufen hat, in der mit großer Mehrheit, so meine Einschätzung, Abschied genommen wurde von kritikwürdigen und abzulehnenden Erscheinungen und Herangehensweisen zu Zeiten des so genannten Realen Sozialismus in der DDR. Ich habe zeitweilig als Vorstandsmitglied diese innerparteiliche Abrechnung mit dem Stalinismus und die Entwicklung einer Konzeption des Sozialismus des 21. Jahrhunderts mit getragen. Das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus, die innerparteiliche Demokratie und das Bekenntnis zum Grundgesetz meiner ostdeutschen GenossInnen haben mich darin bestärkt, zunächst die Kooperation und dann den Zusammenschluss zu befördern. Selbstverständlich ist diese Auseinandersetzung nicht abgeschlossen, aber dies empfinde ich als eine Stärke der LINKEN. Nicht zuletzt auch das Modell einer pluralen Partei, in der – ganz anders als in früheren Zeiten der SED oder auch westdeutscher K-Gruppen – verschiedene Strömungen miteinander verzahnt sind, gemeinsam streiten und wirken, um Verbesserungen über außerparlamentarische und parlamentarische Initiativen für die Menschen in unserem Land zu erreichen.
Diese lange „Vorrede“ ist mir wichtig, um letztlich auch zu begreifen, warum DIE LINKE heute nicht nur nach innen, sondern auch darüber hinaus nach außen plurale Vorstellungen im Vor- und Zusammengehen der linken Kräfte in Deutschland entwickelt und praktiziert. Und zu den linken Kräften innerhalb der BRD zählt natürlich auch die DKP, die in den vergangenen 20 Jahren einen enormen Mitgliederverlust erlitten, aber nach meiner Beobachtung z.T. auch einen politischen Entwicklungsprozess durchlaufen hat. Die Positionen der DKP sind in so manchem Zusammenhang nicht meine Positionen, aber es handelt sich in dieser Partei doch zum großen Teil um Menschen, die – trotz großer politischer Erblast – Engagement für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse an den Tag legen. So begegnen mir vereinzelt DKP-Mitglieder auf Veranstaltungen und in Initiativen, deren Aufrichtigkeit und Einsatz ich sehr wohl zu schätzen weiß, ohne deswegen gleich die ganze Partei und deren Progrmmatik zu bejahen. Aber dies ist eine Lehre der Linken in Deutschland und auch meine persönliche Konsequenz, statt der Differenzen zunächst die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu rücken und dabei genau im Auge zu behalten, welche Wege da bei den anderen Organisationen, in diesem Falle der DKP, eingeschlagen werden. Das Zusammengehen in bestimmten inhaltlichen Fragen und in den gesellschaftlichen Bewegungen in der Stadt oder vor Ort enthebt weder DIE LINKE noch mich, die Kontroverse um unterschiedliche Positionierungen fortzusetzen.
Und lassen Sie mich noch ein Wort zu Olaf Harms sagen. Er ist mir seit vielen Jahren bekannt, auch in seiner Funktion als DKP-Bezirksvorsitzender. In den vergangenen Jahren hat er in der Fraktion der LINKEN innerhalb der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte mitgewirkt und eine aus meiner Sicht verlässliche und gute Arbeit geleistet. Olaf Harms hat sich mit den Zielen des Bezirks-Wahlprogrammes der LINKEN einverstanden erklärt und zu keinem Zeitpunkt, soweit ich das übersehe, von diesen Orientierungen und Vorstellungen Abstand genommen. Im Gegenteil, er hat sich als konsequenter Interessenvertreter erwiesen und innerhalb der Fraktion Anerkennung verschafft. Insofern gab und gibt es für mich keinen Grund, seine Aufstellung auf der Wahlkreisliste der LINKEN in Frage zu stellen. Entscheidend ist für mich, welchen Beitrag einzelne Menschen – in vorliegenden Zusammenhang auch ein DKP-Bezirksvorsitzender – leisten, um die programmatischen Ziele der LINKEN umzusetzen helfen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen auf Ihre Frage eine ausreichende Antwort geben. Ich habe sie auch deswegen etwas ausführlicher abgefasst, weil in den vergangenen Wochen das Interview der Vorsitzenden der Linkspartei Gesine Lötzsch, aber auch die Kandidatur von Olaf Harms, für erheblichen Wirbel und Verunsicherung in der Öffentlichkeit gesorgt hat. Dass es sich dabei zumindest auch um eine leicht durchschaubare Kampagne einmal mehr gegen die Linke und soziale Veränderungen in Deutschland insgesamt handelte, eigene Fehler und Fehleinschätzungen dabei gar nicht ausschließend, will ich aus meiner Warte nicht unerwähnt lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Bischoff