Frage an Jens Zimmermann von Richard W.
Guten Tag Herr Zimmermann,
Ich habe Ihr Abstimmungsverhalten mit dem von Frau Lips verglichen - es ist ziemlich identisch. Allen Einsätzen der Bundeswehr stimmen Sie wie Frau Lips zu, aber bei der Kennzeichnung von Gen-Honig, Ablehnung von privaten Schiedsgerichten bei TTIP und CETA stimmen Sie, die SPD-Fraktion wie die CDU ab. Nur wenige Gegenstimmen bzw. Enthaltungen. Ich verstehe, es gibt eine Koalition mit der CDU, aber bedeutet dies, dass allem zugestimmt wird. Auch, dass Sie als Neuling im Bundestag nicht gegen Ihre Fraktion stimmen können/sollten. Aber wenn dem so ist, warum sollten die Bürgerinnen und Bürger noch SPD wählen?
Mit freundlichen Grüßen
Richard Wildner
Sehr geehrter Herr Wildner,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 18. November über die Seite von abgeordnetenwatch.de, in der Sie mich zu meinem Abstimmungsverhalten bei Namentlichen Abstimmungen befragen. Lassen Sie mich zu den auf abgeordnetenwatch.de aufgeführten Abstimmungen Folgendes anmerken: In den meisten Debatten mit wichtigen Abstimmungen - so auch in den von Ihnen angesprochenen - gibt es gleichzeitig mehrere Anträge, die von verschiedenen Fraktionen eingebracht werden. Es wird aber nicht zu allen Anträgen auch namentlich abgestimmt. Abgeordnetenwatch.de zeigt lediglich jene Abstimmungen, zu denen auf Antrag einer Fraktion oder von fünf Prozent der anwesenden Abgeordneten eine namentliche Erfassung erfolgt ist.
Eine Nein-Stimme bei einem bestimmten Antrag heißt also noch lange nicht, dass ich und die SPD-Bundestagsfraktion die inhaltliche Stoßrichtung nicht ganz oder teilweise teilen. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass wir innerhalb der Großen Koalition selbst einen Antrag im Rahmen der Debatte eingebracht haben, über den nicht namentlich abgestimmt wurde und der deshalb auf abgeordetenwatch.de nicht aufgelistet ist.
Lassen Sie mich hierzu einige Beispiele nennen: Bei der namentlichen Abstimmung über einen Antrag der Grünen in der Debatte um „Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen“ ist für mein Abstimmungsverhalten auf abgeordnetenwatch.de ein Nein festgehalten. Nicht erwähnt ist, dass sowohl die Große Koalition als auch die Linke jeweils eigene Anträge eingebracht haben, über die nicht namentlich abgestimmt wurde. Angenommen wurde der Antrag der Großen Koalition, bei dem ich mit JA gestimmt habe. Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, im Herbst jeden Jahres einen Zwischenbericht zum Rüstungsexportbericht zu veröffentlichen. Ich bin also – anders als das die Liste auf abgeordnetenwatch.de suggeriert – keineswegs gegen Transparenz bei Rüstungsexporten. Vielmehr habe ich FÜR unseren eigenen Antrag gestimmt, der ganz klar mehr Transparenz bei Rüstungsexporten zum Gegenstand hatte.
Ähnlich hat es sich bei der namentlichen Abstimmung zum Grünen-Antrag zur Kennzeichnungspflicht für Gen-Honig verhalten: Der Antrag der Grünen war ein Schaufenster-Antrag. Die Trilogverhandlungen auf EU-Ebene zwischen Rat, EP und KOM waren abgeschlossen. Das Mandat für die Trilogverhandlungen umfasste zudem keine Verhandlungen um die Kennzeichnungspflicht, da diese bereits entsprechend dem Vorschlag der Europäischen Kommission vom Europäischen Parlament abgelehnt wurde.Die Abgeordneten der S&D Fraktion (die mit Ausnahme der spanischen Delegation ebenso wie die SPD-Bundestagsfraktion FÜR eine Kennzeichnungspflicht sind) haben gegen das Trilogergebnis gestimmt. Aber leider war die Mehrheit anders.
Wir haben deshalb einen Antrag für eine "EU-weite Kennzeichnungspflicht für Erzeugnissen von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden" entworfen, über den wir derzeit mit CDU und CSU verhandeln, um ihn gemeinsam einzubringen. Darin fordern wir eine EU-Kennzeichnungspflicht für tierische Erzeugnisse aus GVO-Fütterung, und klare Kriterien für Imkereiprodukte, die die "ohne Gentechnik"-Kennzeichnung nutzen wollen. Zudem fordern wir bundesweit einheitliche Regelungen für den Schutz der Imkerei vor GVO-Verunreinigungen ihres Honigs, und die Möglichkeit für die Bundesländer, über die in der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung festgelegten Vorgaben hinaus Regelungen wie größere Mindestabstände zum Schutz vor Verunreinigungen mit GVO festlegen zu können.
Auch hier gilt also: Wir als SPD-Bundestagsfraktion sind keinesfalls gegen eine Kennzeichnungspflicht für Gen-Honig, sondern ausdrücklich DAFÜR.
Ein weiteres Beispiel ist das Thema TTIP, das die Gemüter bewegt und das auch Sie in Ihrer Anfrage ansprechen. Die SPD-Bundestagsfraktion vertritt in der Debatte eine differenzierte Position, mit der wir uns übrigens nicht nur von der Union, sondern von allen anderen Bundestagsfraktionen unterscheiden. Als Sozialdemokraten erkennen wir die Möglichkeiten dieses Abkommens an. Gleichzeitig stellt die SPD-Fraktion jedoch wesentliche Forderungen an dieses Abkommen. Einen Vertrag um jeden Preis wird es mit uns nicht geben. Wir haben als Sozialdemokraten innerhalb der Bundesregierung Zielkriterien für ein gelungenes Transatlantisches Freihandelsabkommen entwickelt. Für die deutsche Sozialdemokratie gibt es rote Linien: Wir begleiten die Verhandlungen aktiv, um Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz, ökologische Nachhaltigkeit und öffentliche Daseinsvorsorge zu sichern und zugleich unnötige Handelsbarrieren sowie kostspielige bürokratische Verfahren abzubauen.
Die Erfüllung unserer Forderungen wird bei der Analyse des endgültigen Textes als Grundlage für die Entscheidung dienen, ob unsere Fraktion ihre Zustimmung zum Abkommen geben kann.
Sie fragen, ob es überhaupt noch einen Unterschied zwischen der Union und der SPD gibt.
Klar ist: In einer Großen Koalition müssen von allen Seiten Kompromisse gemacht werden. Die inhaltlichen Absprachen innerhalb einer Regierungskoalition finden nicht erst in der Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundestages statt. Zu einer vernünftigen, gemeinsamen Regierungsarbeit gehört es, strittige Fragen innerhalb der Facharbeitsgruppen zu klären, bevor es zu einem gemeinsamen Antrag kommt. Es ist deshalb richtig, dass ich bei den Namentlichen Abstimmungen, die auf abgeordnetenwatch.de aufgeführt sind, ähnlich abgestimmt habe wie meine Wahlkreiskollegin von der Union.
Für uns waren aber nicht nur die Koalitionsverhandlungen, sondern auch das Jahr in der Regierung politisch ein Erfolg. Denn gerade die SPD hat in den ersten Monaten der Großen Koalition viele Maßnahmen durchgesetzt, die unser Land gerechter und sozialer gemacht haben und machen werden. Als Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion bin ich deshalb stolz auf unsere Arbeit im ersten Jahr. Damit haben wir die Bundesregierung nach vielen schwarz-gelben Jahren wieder sozial ausgerichtet.
Lassen Sie mich hierzu nur einige Maßnahmen aufzählen: Wir haben den flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt, der ab 1. Januar 2015 gilt. Damit sorgen wir für gerechten Lohn und für gute Arbeit, für fairen Wettbewerb statt Lohndumping. Das hilft nicht nur den Arbeitnehmern, sondern stärkt auch die Kaufkraft und damit die Konjunktur.
Außerdem haben wir das Rentenpaket durchgesetzt. Für alle, die 45 Jahre schwer geschuftet haben, schafft es mehr Gerechtigkeit und sorgt für konkrete Verbesserungen. Denn diejenigen, die 45 Jahre Beiträge gezahlt haben, können zwei Jahre früher ohne Abschläge in Rente gehen. Durch die Mütterrente erhöht sich auch die Rente für alle Mütter und Väter für jedes vor 1992 geborene Kind. Dem Rentenpaket hat meine Kollegin von der Union in der Namentlichen Abstimmung am 23. Mai 2014 übrigens nicht zugestimmt.
Wir setzen mit dem ElterngeldPlus, das am 1. Juli 2015 in Kraft tritt, ein wichtiges familienpolitisches Ziel des Koalitionsvertrags um. Wir möchten Eltern mehr Zeit für die Familie geben und eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus sowie die Flexibilisierung der Elternzeit vor.
Neben all diesen Maßnahmen, die unsere Gesellschaft gerechter machen, haben wir auch noch die doppelte Staatsbürgerschaft für Menschen mit Migrationshintergrund erleichtert, wir werden die Mietpreisbremse einführen und wir haben mit der Reform der Energiewende ein weiteres großes gesellschaftliches Projekt zukunftsfähig gemacht.
All diese Änderungen wären ohne die SPD in der Regierung sicher nicht durchgesetzt worden. Das ist und bleibt der Unterschied zwischen der Union und der SPD.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Jens Zimmermann