Jens Neuling
WASG
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Frage von Friedrich K. G. •

Frage an Jens Neuling von Friedrich K. G. bezüglich Wirtschaft

Werter Herr Neuling, wie stehen Sie zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe und meinen Sie, es lassen sich darüber, also mit Zwang wirklich neue Ausbildungsplätze in Berlin schaffen?

Freundlichst
F. K. Grassheim

Antwort von
WASG

Sehr geehrter Herr Grassheim,

unstrittig bei uns beiden ist wohl, dass es derzeit auch in unserer Stadt zu wenig Ausbildungsplatzangebote gibt. Es fehlen derzeit in Berlin über 13.000 Ausbildungsplätze. Auf 15.200 gemeldete Stellen kommen über 25.000 Bewerber. Auch im öffentlichen Dienst und in öffentlichen Unternehmen wurden in den letzten vier Jahren über 1.800 Ausbildungsplätze abgebaut. Erfolglose Lehrstellenbewerber, die aus den Vorjahren erneut auf den Ausbildungsmarkt drängen, werden zum Teil in "perspektivlose Warteschleifen" oder fragwürdige "Weiterbildungsmaßnahmen" abgeschoben.

Selbst die Wirtschaftsverbände müssen einräumen, dass ein großer Teil der angebotenen Ausbildungsplätze nur anderswo wegfallende Stellen ersetzt. Der DIHK-Präsident forderte sogar unlängst, die Absenkung der Ausbildungsvergütung auf nur 270 Euro pro Azubi zu begrenzen, damit Ausbildung für die Unternehmen angeblich wieder "bezahlbar" sei.

Es ist ein gesellschaftlicher Skandal, dass immer mehr Jugendliche am Anfang ihres Berufslebens keine Lehrstelle angeboten bekommen.
Der so genannte freiwillige Ausbildungspakt mit dem Ziel, "das Ausbildungsangebot zu steigern und allen ausbildungsfähigen und -willigen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen", ist gescheitert und hatte nur den einen Erfolg: die Arbeitgeber von jeglicher Ausbildungsverpflichtung zu befreien. Es wurde kein einziger zusätzlicher Ausbildungsplatz geschaffen, im Gegenteil.
Das ist unverantwortlich und führt zu einer untragbaren Situation in der Berliner Ausbildungspolitik.

Deshalb fordert die WASG einen grundlegenden Kurswechsel in der Bildungs- und Ausbildungspolitik.
Sie will erreichen, dass alle Jugendlichen nach der Schule eine berufliche Erstausbildung erhalten. Dazu bedarf es einer solidarischen Bildungsfinanzierung (Ausbildungsplatzumlage), durch die genügend Ausbildungsplätze geschaffen werden können.
Durch Umlagefinanzierung sollen die privaten und öffentlichen Arbeitgeber, die nicht oder nur unzureichend ausbilden, dazu beitragen, eine qualifizierte Ausbildung für "alle" sicher zu stellen. Wer ausbildet, wird entlastet, wer nicht ausbildet, wird belastet, damit andere ausbilden können!
Mit einer Ausbildungsumlage würde zudem die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen, nämlich in unser Ausbildungssystem zu investieren, wieder gefordert werden.

Die Arbeitgeber sollten sich verpflichten, ausgehend von der Mitarbeiteranzahl, 10 % an Ausbildungsplätzen anzubieten.
Auch die öffentliche Hand ist aufgefordert, einen erheblichen Beitrag zur Schließung der Lücke auf dem Lehrstellenmarkt zu leisten.
Das wichtigste Ziel in der Ausbildungspolitik muss jedoch sein, die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Berlin schnellstmöglich zu erhöhen.
Dazu sind klare und verbindliche Gesetzesregelungen notwendig, wie sie die WASG und auch Teile der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern. Es muss einen Rechtsanspruch auf eine qualifizierte Erstausbildung für jeden Jugendlichen geben, die individuelle Wahlfreiheit des Ausbildungsplatzes muss gewährleistet sein und eine verpflichtende Ausbildungsplatzumlage muss eingeführt werden.

Im Berliner Abgeordnetenhaus wird sich die WASG für ein überparteiliches Bündnis gegen Ausbildungs- und Bildungsnotstand sowie für verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen einsetzen.

Damit Jugendliche wieder eine berufliche Perspektive haben, muss gewährleistet werden:
- ein flächendeckendes Ausbildungsplatzangebot
- ein gesetzlich verankertes Recht auf Ausbildung
- die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage
- qualifizierte Ausbildungsplätze nach Wahl
- eine 10%ige Ausbildungsquote nach Anzahl der Beschäftigten
- die Bereitstellung außerbetrieblicher Ausbildungsangebote
- keine ausbildungsfremden Tätigkeiten von Lehrlingen
- eine Ausbildungsvergütung, die eine eigenständige Lebensführung gewährleistet
- eine unbefristete Übernahme im Lehrberuf.

Eine solide Berufsausbildung ist Grundlage für jeglichen beruflichen Erfolg, schafft Perspektiven und eine Chance im ersten Arbeitsmarkt.
Ausbildung sollte nicht als Kostenbelastung, sondern als Zukunftsinvestition angesehen werden.
Eine qualifizierte Berufsausbildung ist der beste Schutz vor Fachkräftemangel. Das müsste Unternehmen eigentlich dazu motivieren, verstärkt in eine gute Ausbildung ihres Nachwuchses zu investieren.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Neuling