Frage an Jens Neuling von Gerd S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Hallo Herr Neuling,
Der Berliner PDS-Landesverband hat am vergangenen Sonnabend nicht an der Demonstration in Berlin gegen den Nahost-Krieg teilgenommen, weil der Aufruf zur Demonstration nicht ausdrücklich das Existenzrecht Israels beinhaltete, so war es jdenfalls zu lesen.
Die Berliner WASG gehörte aber zu den Unterstützern der Demonstration? Warum? Wie steht ihre Partei zum Existenzrecht Israels und welche Position nehmen ganz konkret Sie persönlich ein?
Mit freundlichem Gruß!
Gerd Schulz
Sehr geehrter Herr Schulz,
der Bundes- und der Berliner Landesvorstand der WASG hatten zur Teilnahme an der Demonstration am Sonnabend in Berlin im Rahmen des "Internationalen Tages des Protestes und der Solidarität" aufgerufen.
Die Demonstration unter dem Motto "Für einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand – gegen den Krieg in Libanon und Palästina“ als deutliches Zeichen gegen den Nahost-Krieg wurde durch unsere Partei unterstützt; im Aufruf zur Unterstützung wurde gefordert:
- " einen sofortigen, bedingungslose Waffenstillstand, der den vollständigen Rückzug der israelischen Truppen aus Libanon und dem Gaza-Streifen sowie die sofortige Einstellung jeglicher Kampfhandlungen aller Seiten beinhalten muss
- keine NATO-Truppen in den Libanon
- die unverzügliche Einleitung eines politischen Verhandlungsprozesses zwischen allen Beteiligten für einen gerechten, dauerhaften und umfassenden Frieden auf der Grundlage aller diesbezüglichen UNO-Resolutionen".
Außerdem umfassten die Forderungen
- "den unverzüglicher Stopp aller Waffenlieferungen in die Region des Nahen Osten einschließlich der deutschen Waffenlieferungen an Israel
- die Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre angestammten Orte im Südlibanon und ihre Entschädigung sowie
- eine umfassende humanitäre Hilfe einschließlich der Aufnahme von Verletzten und Kranken in Deutschland".
Die von mir an dieser Stelle zuletzt genannte Forderung (nicht so im Aufruf, aber wegen Ihrer Frage nenne ich sie erst jetzt) betraf
- "die Gewährleistung der friedlichen Koexistenz eines unabhängigen und lebensfähigen Staates Palästina an der Seite des Staates Israel in sicheren Grenzen und ohne Bedrohung durch andere".
Diesem Aufruf in seiner Gesamtheit und auch konkret der letzten Formulierung kann ich uneingeschränkt zustimmen - wobei wir bei meinem persönlichen Standpunkt wären, den ich Ihnen noch etwas ausführlicher darlegen möchte, da ich glaube, Sie interessiert nicht vorrangig beim "Kandidaten-Watching" die Parteienrhetorik.
Für mich ist im Zusammenhang mit der aufgeworfenen Frage zur expliziten Benennung des Existenzrechtes Israels an allererster Stelle entscheidend, dass im Text des Aufrufes eine Zwei-Staaten-Lösung sowie ein gerechter Frieden gefordert wird - das ist gleichzusetzen mit einer Forderung nach Anerkennung des Existenzrechtes Israels u n d Palästinas in den Grenzen von 1967.
Ansonsten verurteile ich auf `s Schärfste die aggressiven Handlungen der israelischen Armee gegen den Libanon und fordere die endgültige Beendigung aller Angriffe. Die israelische Armee hat sich aus allen seit 1967 besetzten Gebiete zurückzuziehen, die israelischen Siedlungen auf den Gebieten sind vollständig abzubauen. Die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge muss auf der Grundlage der Resolution 194 des UN-Sicherheitsrates und weiterer UNO-Resolutionen erfolgen.
Die wiederholten Drohungen und Anschuldigungen der Regierungen der USA und Israels an die Adresse Syriens und des Irans machen für mich deutlich, dass die Atomwaffen-Macht Israel - ermutigt durch die USA - die eigentliche aggressive und expansionistische Kraft in der Region ist. Israels Regierung ignoriert demonstrativ Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates und verletzt nicht nur Vereinbarungen mit der PLO sondern auch die Genfer Konvention, die völkerrechtlich kollektive Bestrafungen, "gezielte" Tötungen und die Zerstörung der Infrastrukturen in einem besetzten Gebiet verbietet.
Ich freue mich natürlich, dass am Wochenende eine Entwicklung im Libanon in Gang gekommen ist, die das Blutvergießen beenden und die große Not der Menschen in der Region einschl. der Gefahren für Leib und Leben der libanesischen und israelischen Zivilbevölkerung lindern könnte.
Wichtigstes Ziel bleibt aber nach wie vor ein gerechter und dauerhafter Frieden zur Schaffung eines palästinensischen Staates (Gazastreifen und Westjordanland) mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Staat Israel.
Weshalb der Landesverband der Linkspartei.PDS sich nun entschieden hat, nicht zu der Demonstration aufzurufen, entzieht sich im einzelnen meiner Kenntnis. Zu vermuten, dass auch in dieser Frage, also in der Propagierung der Politik des "gleichen Abstandes", ein Verblassen der linken Konturen der Berliner PDS-Führung hin zum sozial-liberalen oder gar bürgerlichen Lager festzustellen sei, halte ich für einen geeigneten Erklärungsversuch. Auch insofern ist die Berliner Linkspartei.PDS im parlamentarischen System "angekommen", wo genau auch immer, sei dahingestellt.
Jedenfalls hat sie es verpasst, durch den Aufruf und die Teilnahme an der Demonstration unmissverständlich klar zu machen, dass die Linke Krieg als "Politik mit anderen Mitteln" stets und konsequent verurteilt. (Im übrigen hat nach meiner Kenntnis auch die Linkspartei.PDS als Bundespartei die Berliner Protest-Demonstration unterstützt.)
Was die bügerlichen Medien aus dieser zwiespältigen Haltung der "Linken" macht, war - glaube ich - vorhersehbar: "Weil im Aufruf zum Protest das Existenzrecht Israels fehlte, hatten nur extrem linke deutsche Gruppen die Aktion unterstützt.", schreibt beispielsweise heute die wie immer gut informierte und gut informierende "Berliner Zeitung".
Nun denn - ist die WASG eben eine "extrem linke deutsche Gruppe".
Solch eine Bezeichnung kann mitunter auch adeln.
Ich hoffe abschließend, Ihnen meinen Standpunkt und den der Mehrheit meiner Berliner WASG-KollegInnen ausreichend dargelegt zu haben. Sollte Sie weitere Fragen und noch Nachfragen zu diesem Thema haben, können Sie sie an dieser Stelle an mich richten, Oder Sie treffen mich persönlich zu den Wahlkampfterminen, die auch auf dieser Seite einsehbar sind.
Ich bin mir ziemlich sicher, Sie als politisch Interessierter werden am 17. September wählen gehen - Wählen sie d i e s m a l richtig, Herr Schulz!
Mit freundlichen Grüßen
Jens Neuling