Frage an Jens Ehrlinger von Franz P. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Ehrlinger,
ich arbeite als Heilerziehungspfleger im Einrichtungsverbund Betrreuungszentrum Steinhöring, nachfolgend EVBZ genannt. Unsere Einrichtung betreut in den Landkreisen Erding, Ebersberg und Rosenheim derzeit ca. 1600 Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen in allen Altersstufen. Wir beschäftigen momentan um die 720 Mitarbeiter, die zum Teil durchaus anspruchsvollen körperlichen Belastungen ausgesetzt sind.
In meiner Rolle als Mitarbeitervertreter (gleichzusetzen mit Betriebsräten in Nicht-kirchlichen Einrichtungen) befasse ich mich immer wieder mit folgender Frage:
Wie kann man altgediente Mitarbeiter weiterbeschäftigen, die aufgrund jahrzehntelanger körperlicher und/ oder pflegerischer Tätigkeit einen bleibenden Rückenschaden haben?
Hierbei handelt es sich meist um KollegInnen mit pflegerischer Ausbildung, die täglich zu betreuende Personen heben und tragen müssen. Meist ist die langjährige Beanspruchung der Grund für einen Bandscheibenvorfall oder ähnliches.
Wir sehen für diese Personen nur schlechte berufliche Perspektiven, da sie eine Beschäftigung benötigen, die:
A) nicht erlaubt, mehr als 5 Kg zu heben
B) abwechselnd im stehen, sitzen und gehen stattfinden muss
C) für einen Personenkreis sein muss, der meistens noch zehn bis fünfzehn Jahre zur Rente hat
Für eine Rückmeldung bis zehn Tage vor der Wahl wäre ich Ihnen dankbar, um Ihre Antwort innerbetrieblich weitergeben zu können.
Ich stelle meine Frage auch die anderen Bewerber der konkurrierenden Parteien.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Rückmeldung,
mit freundlichen Grüßen,
Franz Pointner
P.S.: Diese Frage stellt sich natürlich auch für viele Bedienstete im Krankenhaus- und Seniorenbereich
Sehr geehrter Herr Pointner,
vielen Dank für Ihre Frage und den geschilderten Sachverhalt, der sehr transparent zeigt, mit welchen Problemen wir Arbeitnehmervertreter/-innen in den Betrieben zu kämpfen haben und aufgrund des zunehmenden durchschnittlichen Alters unserer Gesellschaft künftig noch mehr konfrontiert sein werden. Aus diesem Grunde bin ich auch ein vehementer Gegner des schleichenden Anstiegs des Rentenalters, da Kolleginnen und Kollegen, die über Jahrzehnte ihren Körper durch körperliche Tätigkeiten zerschlissen haben, ihrer Arbeit einfach nicht mehr nachkommen können. Letzteres war insbesondere von Kolleginnen und Kollegen aus den Sozialberufen schon des öfteren Thema bei von mir besuchten Verdi-Seminaren.
Ich schreibe an dieser Stelle ganz bewußt in der "wir"-Form, weil ich selbst im Betriebsrat einer großen Firma bin und zusätzlich als Schwerbehindertenvertreter und Konzernschwerbehindertenvertreter, sowie in meinen Funktionen bei der Gewerkschaft Verdi mit der mitunter schwierigen und vorallem eher Arbeitgeberlastigen Rechtssprechung zu kämpfen habe.
Als Gewerkschaftler, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertreter ist das Thema Arbeitsmarktpolitik und das weite Feld soziale Gerechtigkeit eines meiner persönlichen politischen Hauptthemen.
Aufgrund der zunehmend älter werdenden Gesellschaft, wird es in den nächsten Jahren eines der wichtigsten Themen der Parlamente sein, Gesetze, wie das BetrVG, dem PersVG für den öffentlichen Dienst und die Sozialgesetze, wie die Bücher des SGB, auf die Bedürfnisse der Menschen, in diesem Falle der Kolleginnen und Kollegen zu reformieren. Gesetzesnovellierungen der letzten Jahre, bspw. im SGB IX, die alle zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgrund des massiven Drucks aus der Wirtschaft liefen, sollten rückgängig gemacht werden und im Gegenteil zu Gunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert werden. Um allerdings hier entsprechenden Druck auf die Politik ausüben zu können, wäre eine Stärkung der Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften bitter notwenig. Hier wäre es erste und wichtigste Aufgabe der Gewerkschaften dem Mitgliederschwund entgegen zu treten und im Gegenteil mehr Mitglieder zu bekommen, sowie den Schulterschluß mit Politikern, die hier auf ihrer Seite stehen, zu üben.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben hierzu im übrigen in unserem Parteiprogramm Themen wie Mindestlohn, Ächtung von Tarifflucht, etc. stehen und vertreten hier durchaus gewerkschaftskonforme Thesen.
Nun konkreter zu Ihrem Fall:
Einen ersten sehr wichtigen Schritt haben die Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Betrieb ja schon getan; sie haben sich einen Betriebsrat gewählt, der für ihre Interessen eintritt (dies erwähne ich explizit, weil dies leider keine Selbstverständlichkeit ist).
Organisatorisch kann ich zusätzlich allen Kolleginnen und Kollegen Ihres Betriebes nur ans Herz legen, in die Gewerkschaft einzutreten. Neben der damit bestehenden Solidargemeinschaft, haben Kolleginnen und Kollegen damit die Möglichkeit, neben der Hilfe durch Sie als Betriebsrat, mit rechtlichen Fragen auch auf den zuständigen Gewerkschaftssekretär zuzugehen und beispielsweise im Falle von Kündigungsdrohungen den Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
Nun zum Sachverhalt selbst und der derzeit bestehenden Rechtssprechung:
a) Prävention
Als Arbeitnehmervertreter würde ich den Kollegen/innen, die in solchen Tätigkeiten beschäftigt sind, zuerstmal raten mehr auf sich und ihre Gesundheit zu achten. Dies mag im ersten Schritt banal klingen, ist aber der erste Schritt gesundheitliche Probleme möglichst weit rauszuschieben. Hierzu gehört neben Sport und Ernährung, evtl. auch , daß die Arbeitnehmervertretung z.B. eine Betriebsvereinbarung oder eine Integrationsvereinbarung mit dem Arbeitgeber über zusätzliche Pausen, vielleicht Sport und Gymnastikprogramme und entsprechende Arbeitshilfen vereinbart. Auch sollten die Kollegen/innen versuchen Kuren wahrzunehmen, um ihre Arbeitskraft und Gesundheit möglichst lange zu erhalten.
Ansprüche auf Kuren ergeben sich, wie Sie ja sicher wissen, aus dem SGB VI. Dies ist zwar ein Bundesgesetz, das Land Bayern hat aber selbstverständlich über den Bundesrat die Möglichkeit des Einbringens eines Gesetzesentwurfs.
Aufgrund der bereits angesprochenen älter werdenden Gesellschaft wird es Aufgabe der Politik werden, Möglichkeiten der weitergehende Gesundheitsprävention anzubieten und Ansprüche darauf im Gesetz zu verankern. Hierfür würde ich mich sehr gerne im Falle einer Wahl in den Landtag einsetzen.,
b) Was tun, wenn der/die Kollege/in nun bereits Schäden davon getragen hat?
Selbstverständlich muß man sich hier jeden Fall einzeln betrachten und schauen, was man machen kann.
Die erste Frage lautet, ob die Schäden reparabel sind. Dann wäre zu prüfen, ob der/die betroffene Kollege/in in einem anderen Bereich Ihrer Firma untergebracht werden kann (ggf. auch mit entsprechenden Schulungsmaßnahmen; das Arbeitsspektrum in Ihrem Betrieb ist ja laut Organigramm doch relativ groß), wenn er/sie aufgrund der Schädigung seine/ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Gerne würde ich mich dafür einsetzen, daß an dieser Stelle eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetz (und analog des PersVG) zu Stande käme, die auch Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Versetzungsmöglichkeiten, Weiterbildung, Umschulungen und vor allem Weiterbeschäftigung festlegen, die ihre Krankheiten und Leiden aufgrund ihres Berufes erlangt haben.
Hier handelt es sich zwar auch wieder um ein Bundesgesetz, doch Gesetzesinitiativen des Landes wären auch hier wieder möglich.
Desweiteren sollte der Betroffene gegebenenfalls einen Grad der Behinderung (GdB) über das zuständige Integrationsamt in Erwägung ziehen, der bei Rücken und Wirbelsäulengeschichten, je nach Einschränkung zwischen GdB 0 und 100 gewährt wird. Zusätzlich wäre bei einem gewährten GdB zwischen 30 und 50 eine Gleichstellung über die Bundesanstalt für Arbeit anzustreben, wenn die Gefahr des Arbeitsplatzes droht. Durch diese Maßnahmen, würde der/die Kollege/in in den zusätzlichen Kündigungsschutz nach SGB IX geraten. Wie Sie als Betriebsrat sicher wissen, könnte der Arbeitgeber einem als schwerbehindert (GdB >=50 oder GdB 30-50 mit Gleichstellung) definierten Kollegen nur mit Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes kündigen; was durchaus eine Hürde sein kann, gerade dann, wenn der Grund der Kündigung seine Ursache in der Behinderung hat. Leider hat meines Erachtens auch hier der Gesetzgeber die Hürde nicht hoch genug gemacht. Auch in diesem Fall gilt wieder, daß es sich hier um ein Bundesgesetz handelt. Gerne würde ich mich aber auch hier dafür einsetzen, im Falle des Einzugs in den bayerischen Landtag eine Gesetzesinitiative anzuschieben.
Ich hoffe, daß ich Ihnen meine Gedankengänge zu diesem Thema gut rüber gebracht habe.
Gerne stehe ich Ihnen für weitere Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen an Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen,
Jens Ehrlinger