Frage an Jens Beeck von Ingo D. bezüglich Familie
Mich interessiert, wie sie die derzeitige Familienpolitik bewerten. Wird den Familien ausreichend geholfen, den alltäglichen Herausforderungen begegnen zu können? Können Sie Defizite bzw. Unterschiede in Familien mit oder ohne des sog. „klassischen Modells“, wenn nur ein Elternteil arbeiten geht (meist ist es der Mann arbeiten und die Frau bleibt hauptsächlich zu Hause) erkennen? Sehen Sie das auch so, dass (minderjährige) Scheidungskinder meistens der Mutter zugesprochen werden? Warum ist das so? Wie sähe Ihre Kritik daran aus? Würden Sie befürworten, dass Kinder grundsätzlich einen Anspruch auf beide Elternteile so oft wie nur irgend möglich haben? Haben Sie eine Idee, warum die Scheidungsrate in Deutschland so hoch ist? Wie sollen sich künftig Kinder (besser) in alleinerziehenden Haushalten und/oder „Homoehen“ sozialisieren?
Sehr geehrter Herr Dr. Kerzel,
vielen Dank für Ihre umfangreichen Fragen zur Familienpolitik. Wir Freien Demokraten setzen bei Fragen der persönlichen Lebensführung auf Zurückhaltung des Staates. Die wichtigsten Entscheidungen sind oft die persönlichsten. Wen wir lieben, wie wir lieben, wie wir leben, wie wir Kinder erziehen und aufziehen – darin müssen alle frei sein. Der Staat und die Gesellschaft können Glück nicht verordnen. Glück kann nur jeder und jede für sich selber finden. Diese Freiheit muss der Staat garantieren, und nicht versuchen den Weg zum persönlichen Glück vorzuzeichnen.
Trotz gebotener Zurückhaltung bei Eingriffen in den persönlichsten Lebensbereich setzt der Staat natürlich wichtige Rahmenbedingungen.
Ich bin überzeugt, dass gute Chancen / bessere Sozialisierung für Kinder nicht von dem Familienmodell determiniert sind, in dem sie aufwachsen, wohl aber von Chancengerechtigkeit. Wir setzen uns deswegen für ein „Kindergeld 2.0“ ein, mit dem Kinder in den Mittelpunkt der familienpolitischen Förderung rücken, indem die bisher den Eltern zustehenden kindesbezogenen Leistungen zu einem eigenständigen Anspruch der Kinder werden. Heute haben Kinder in Deutschland noch ungleiche Startchancen im Leben. Ein Grund dafür ist, dass die familienbezogenen Leistungen wegen der zahlreichen Bedingungen, Berechtigungen, Anrechenbarkeiten zu kompliziert geregelt sind und Kinderarmut nicht ausreichend entgegenwirken. So werden zum Beispiel familienbezogene Leistungen wie Kindergeld, Betreuungsgeld oder Unterhaltsvorschuss auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet. Das wollen wir ändern: Der Strauß der kindesbezogenen Leistungen wird zu einem Leistungspaket gebündelt und von einer zentralen Stelle ausbezahlt. Dem einkommensunabhängigen Grundbetrag, dem einkommensabhängigen Kinder-Bürgergeld (Flexibetrag), das die wirtschaftliche Situation der Eltern berücksichtigt, und den Gutscheinen für Leistungen für Bildung und Teilhabe. Darüber soll zum Beispiel die Mitgliedschaft im Sportverein oder das Erlernen eines Musikinstrumentes in einer Musikschule unbürokratisch möglich sein. Diese Neuregelung des Kindergeldes soll sicherstellen, dass die Leistungen auch bei den Kindern ankommen. Falls Erziehungsberechtigte hier Geld zweckentfremden, ermöglicht der eigenständige Anspruch des Kindes, das Geld anderweitig verwalten zu lassen, zum Beispiel von Verwandten oder dem Jugendamt. Zudem fallen durch die Bündelung der Leistungen unnötige bürokratische Hemmnisse weg.
Als Rechtsanwalt mit einem Schwerpunkt im Familienrecht teile ich Ihre Einschätzung, dass Scheidungskinder zumeist der Mutter zugesprochen werden. Dies ist Lebenswirklichkeit im deutschen Recht, die allerdings nicht in der Rechtslage festgeschrieben ist. Vielmehr steht schon heute das Kindeswohl und die bestmögliche Förderung der Kinder im (alleinigen) Mittelpunkt der Rechtslage, wenn es etwa um Sorgerecht und Umgangsrecht geht. Wir Freien Demokraten wollen deswegen das sog. Wechselmodell noch stärker als den Regelfall in den Gesetzen verankern, um die Rechtsprechung der Familiengerichte hier stärker zu binden, ohne den notwendigen Spielraum für die dem Einzelfall angemessene Entscheidung zu stark einzugrenzen. Gesetze, die für alle denkbaren Konstellationen gleichermassen gelten, müssen die Entscheidung des Einzelfalls im Interesse der Kinder den Familiengerichten überlassen, falls eine Verabredung zwischen den Beteiligten nicht möglich ist.
Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Umstellung der familienpolitischen Leistungen zu einem Kindergeld 2.0 halte ich die Regelungen im Steuerrecht (etwa: Ehegattensplitting) und Sozialversicherungsrecht (etwa: kostenlose Mitversicherung der Familienangehörigen in der Krankenversicherung, Zuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung) für hineichend. Nachzusteuern ist allerdings bei den Leistungen für Alleinerziehende, deren Lebensleistung oft nicht angemessen berücksichtigt wird. Dazu gehört beispielsweise, dass eigene Altersvorsorge nicht voll auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angerechnet werden dürfen. Wer unter schwierigen Bedingungen eigene Vorsorge betreibt muss am Ende mehr erhalten, als diejenigen, die keine Vorsorge betreiben. Hierzu muss die Anrechnung von eigenen Versorgungsansprüchen auf die Grundsicherung im Alter teilweise unterbleiben.