Frage an Jan van Aken von Thomas S. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr van Aken,
seit einigen Jahren entnehme ich der Presse sowie diversen Urteilen (z.B. BGH AZ XI ZR 56/05 oder BGH AZ XI ZR 262/10), dass es als nicht rechtskonform angesehen werden muss, wenn Finanzmakler/ Anlagevermittler den Kunden nicht über die ihnen aus der Vermittlung zustehende Vermittlungsprovision aufklären.
Ich halte dieses Rechtsverständnis, obwohl ich nicht von der Vermittlung von Finanzprodukten lebe, für grundsätzlich falsch. Zu behaupten, tatsächlich bei Abschluss der Versicherung/ Fondsbeteiligung/ was-auch-immer geglaubt zu haben, der Vermittler hätte völlig selbstlos seine Zeit geopfert, um mir etwas Gutes zu tun, bewegt sich fern jeder Lebenswirklichkeit.
Ich habe dies jedoch für eine Modeerscheinung insbesondere nach der Lehman-Pleite gehalten. Niemand würde wohl auf die Idee kommen, einen Bäcker oder gar seinen Gebrauchtwagenhändler vor Gericht zu ziehen, weil ihm nicht klar gesagt wurde, wie viel Gewinn der Bäcker oder Gebrauchtwagenhändler aus dem Geschäft einstreicht. Bei den mir bekannten Finanzprodukten waren die Vermittlungsprovisionen – wenn auch im Kleingedruckten – immer irgendwo erwähnt.
Nunmehr nehme ich zur Kenntnis, dass es wohl im Bereich der medizinischen Versorgung so ist, dass ich als Versicherter einer gesetzlichen Krankenkasse nicht nur die Abrechnung meines Arztes gegenüber meiner Kasse nicht kenne und daher nicht beurteilen kann, ob diese Leistung überhaupt so wie abgerechnet erbracht wurde, sondern es darüber hinaus zumindest nicht strafbar ist, wenn mein Arzt weitere Zahlungen von den Pharmaunternehmen annimmt. ( http://www.stern.de/panorama/bgh-urteil-zu-bestechung-aerzte-duerfen-geldgeschenke-von-pharmafirmen-annehmen-1844700.html ).
Ich glaube, dass die Rechte von Verbrauchern im Bereich von Finanzdienstleistungen zu Lasten der Industrie deutlich überbewertet wurden, im Bereich der Gesundheitsindustrie jedoch deutlich zu kurz kommen. Wie sehen Sie das?
Sehr geehrter Herr Schreiber,
vielen Dank für Ihre Frage! Ich bin zwar in erster Linie zuständig für Außen- und Friedenspolitik, deswegen kein Experte was Finanzmarktprodukte, Verbraucherschutz und Gesundheitswesen angeht. Trotzdem fällt mir auf, dass Sie in Ihrer Frage ein bischen den Blick auf das große Ganze auszublenden scheinen, das erst zu den vielen abgezockten und reingelegten Kleinanleger_innen und Sparer_innen geführt hat.
Denn bereits im Koalitionsvertrag 2005 kündigten Union und SPD ihre Ziele im Bereich Finanzmarktpolitik an: „Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden“, wozu insbesondere „der Ausbau des Verbriefungsmarktes“ gehöre. Eine Finanzmarktaufsicht „mit Augenmaß“ wurde angestrebt und überflüssige Regulierungen sollten abgebaut werden. Die Wertlosigkeit von Kreditforderungen konnte durch Verbriefungen verschleiert werden. Diese Verbriefungen wurden Millionen von Menschen als zuverlässige Anlageformen verkauft - dass sich da viele auch naiv angestellt haben mögen ist vielleicht gar nicht zu leugnen. Aber ursächlich ist nicht diese Naivität sondern eine jahrelange Deregulierungspolitik, die noch die giftigsten Spekulationsmittelchen zur normalen Kapitalanlage für Rentner_innen und kleine Sparer_innen emporgehoben hat. Und da muss ich wirklich sagen: Um so weiter die Eindämmung dieser Produkte geht, desto besser - für die Sparer, aber auch für die Gesamtheit der Volkswirtschaften! Die Finanzkrise kann nur durch Reregulierung der Finanzmärkte überwunden werden: Zulassungspflicht für bestehende und neu entwickelte Finanzprodukte durch einen Finanz-TÜV, drastische Beschränkung und wo nötig Verbot von riskanten Finanzinstrumenten und Kreditverbriefungen, Rücknahme der Zulassung von Hedge-Fonds, Einführung von Transaktionssteuern auf den Handel mit Wertpapieren und Devisen, Vergesellschaftung von Banken.
Ich denke, dass wir bei Ihrer Kritik am heutigen Zustand des Gesundheitswesens nicht so weit voneinander weg sind. Denn der heutige Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung führt dazu, dass viele Akteure nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten, sondern im eigenen Interesse handeln. Krankenkassen beginnen, medizinisch notwendige Behandlungen abzulehnen (Beispiel Mutter-/Vater-Kind-Kuren). Ärztinnen und Ärzte verkaufen dagegen verstärkt Leistungen, die überwiegend medizinisch nicht sinnvoll sind (sog. Individuelle Gesundheitsleistungen, IGeL). Dieser Wettbewerb führt nicht zu einer höheren Versorgungsqualität – im Gegenteil! Der Gesundheitssektor wird als lukrativer Markt angesehen, auf dem private Investoren neue Geschäftsfelder für sich und ihre Aktionäre aufbauen. Patientinnen und Patienten werden so zu Kundinnen und Kunden, Gesundheit zu einer Ware, das Gesundheitssystem zu einem Markt. Die Fraktion DIE LINKE bekämpft die Bestrebungen zur Rationierung und Kommerzialisierung im Gesundheitssystem. Wir wollen den solidarischen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten und ausbauen. Alle medizinisch notwendigen Leistungen müssen wieder von der Krankenkasse bezahlt werden. Jeder Mensch muss in seiner Umgebung medizinische und pflegerische Betreuung vorfinden. Krankenhäuser und Arztpraxen sind Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie müssen in ausreichendem Maße vorgehalten und finanziert werden. Insbesondere bei Arzneimitteln treten wir für eine effektive Begrenzung der Preise ein.
Die Patientinnen und Patienten müssen wieder in den Mittelpunkt des Gesundheitswesens gestellt werden - und dazu wird es ganz sicher gehören, die Menschen auch als mündige, aufgeklärte Patient_innen zu behandeln. Ich würde aber nicht den einen Bereich des gesellschaftlichen Lebens gegen einen anderen ausspielen und sagen "Hier benötigen wir mehr Transparenz - und da sind die Menschen eben selber schuld, wenn sie sich nicht minutiös durch das Kleingedruckte wühlen können". Denn viele Menschen schaffen das heute auch zeitlich einfach nicht mehr bei Doppelbelastungen in der Familie oder mehreren Jobs!
Für uns zählt hier wirklich „Wissen ist Macht“ – nur durch Transparenz und Informationen können Verbraucherinnen und Verbraucher dem Wissensvorsprung von Herstellern über die „Zutaten“ ihrer Produkte und Dienstleistungen begegnen. Das gilt gleichermaßen für Finanzdienstleistungen wie Kreditverträge oder für Produkte wie Spielzeug und Lebensmittel. Die Fraktion DIE LINKE vertritt die Auffassung, dass nur gut und umfassend informierte Verbraucherinnen und Verbraucher eine Chance auf einem globalisierten, liberalisierten und undurchsichtigen Markt haben.
Mit besten Grüßen
Jan van Aken