Portrait von Jan van Aken
Jan van Aken
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Jan van Aken zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Corinna P. •

Frage an Jan van Aken von Corinna P. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr van Aken,

meine Frage an Sie bezieht sich auf den vorgezogenen Einsatz des ESM. Wie die Medien ja berichten, haben sich die EU-Finanzminister darauf geeinigt, diesen bereits im Juli dieses Jahres zu unterzeichnen.
Ist dieses Thema bereits im Bundestag abschließend behandelt bzw. Herr Schäuble bereits legitimiert, diesen Vertrag für Deutschland zu unterzeichnen?
Nach meinen Infos haben die Fraktionen eine breitere Beteiligung des Parlaments zu Fragen Europas gefordert und das Bundesverfassungsgericht durchaus Bedenken schon hinsichtlich der Erweiterung des EFSF geäußert.
Wie viele andere auch möchte ich in einem demokratischen Europa leben und frage mich, warum die Zäsur ESM so wenig Widerhall findet. Steht eine parlamentarische Debatte bzw. Abstimmung zum ESM bis zum Juli auf der Agenda?
Sie haben mit Sicherheit einen besseren Kenntnisstand über den ESM-Vertrag als ich, die Infos die mir zur Verfügung stehen, lassen mich einen massiven Abbau demokratischer Rechte und Strukturen befürchten.

Vielen Dank im voraus für Ihre Antwort!

Mit freundlichen Grüßen

Corinna Poppendieker
Hamburg

Portrait von Jan van Aken
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Poppendieker,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich denke, mir geht es ebenso wie Ihnen (und der Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa): Dass die immer zahlreicher gewordenen EU-Krisengipfel dauerhafte Entscheidungen treffen, die das Wohl von hunderten Millionen betreffen und dabei oft keine oder wenig parlamentarische Kontrolle stattfindet, macht auch mir Angst. Es kann einfach nicht sein, dass diese grundlegenden Entscheidungen stattfinden unter den "alternativlosen" Zwängen der Finanzmärkte, letztlich die Börse diktiert, was passiert - während etwa der Bundestag das dann im besten Fall noch abnicken darf.

Das krasseste Beispiel der Aushebelung der Demokratie durch die jetzige Krisenpolitik von Merkel und Sarkozy ist Griechenland: Der dortige Premierminister wollte ja eine Volksbefragung durchführen, um die GriechInnen darüber entscheiden zu lassen, ob Ihnen die Rettung der europäischen Banken die Preisgabe des eigenen Sozialstaats wert ist. Das passte niemandem in Brüssel - und deswegen musste man es beleibenlassen. Diese Missachtung der europäischen Bevölkerung ist beispielhaft - und kein Einzelfall.

Ich bin inhaltlich nicht mit Finanz- und Europolitik beschäftigt, bei Details müssen Sie da unsere Expertinnen (Wagenknecht/Schlecht/Troost) noch mal kontaktieren, sorry. So weit ich aber weiß werden wir hier im Plenum darüber debattieren dürfen, wenn Schäuble die Aufstockung des EFSF in Brüssel mit seinen Ministerkollegen schon längst beschlossen hat - und auch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen haben erst dann volle Kenntnisse der Beschlüsse. Für sie lautet es dann eben auch wieder "friss oder stirb". Die LINKE fordert, dass sich Europa ganz entschieden demokratisieren muss, sonst wird es - so unsere große Befürchtung - keine Zukunft haben. Mehr direkte Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung, eine ganz entschiedene Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments, damit dieses einen wirklichen, gewählten Gegenpool zu Kommission und Rat spielen kann. Mindestens so lange dieses Europäische Parlament keine Befugnisse besitzt wie die nationalen Parlamente, müssen diese bei gravierenden Entscheidungen auf EU-Ebene unbedingt mehr Mitspracherechte bekommen. Das klagt meine Fraktion seit Jahren ein, auch vor Gerichten.

Aber auch dann müssen wir über einen grundlegenden Kurswechsel in der Krisenpolitik streiten - Transparenz oder eine demokratischere Legitimierung der falschen Politik reichen bei weitem nicht aus. Die Kürzungsdiktate müssen sofort beendet werden: die öffentlichen Haushalte müssen aus der Abhängigkeit von den Kapitalmärkten befreit werden. Die Staatsschulden müssen durch einen harten Schuldenschnitt und eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre drastisch gesenket werden. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte muss durch eine höhere Besteuerung von Reichen und großen Konzernen dauerhaft auf eine solide Grundlage gestellt werden.

Mit besten Grüßen
Jan van Aken