Frage an Jan van Aken von Kirsten P. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Herr van Aken,
zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass Sie an der Podiumsdiskussion der VHS am Sonntag
geladen sind.Das Thema ist mit "100 Tage Bundestag und...?" Ja bewusst recht offen gehalten.
Ihnen ist sicherlich bekannt, dass sich die Kursleitenden der VHS-Hamburg in einer sehr schlechten finanziellen Situation befinden und zur Zeit versuchen höhere Honorare durchzusetzen. Es werden 90 Jahre VHS gefeiert aber uns ist nach 15 Jahren ohne Honorarerhöhung eigentlich nicht zum Feiern zumute. Da die Inflationsrate über den Zeitraum 23% beträgt, kann man sich vorstellen, dass wir kaum von unserem Honorar leben können. Auch unsere sozialrechtliche Stellung ist höchst seltsam. Einerseits werden wir als Selbständige betrachtet, andererseits werden uns aber Kursinhalte vorgeschrieben, können wir keine eigenen Verträge aushandeln und müssen in die öffentliche Rentenkasse einzahlen. Leider müssen wir sowohl die Beiträge zur Krankenversicherung als auch zur Rentenversicherung allein tragen. Nun zu meiner Frage: Finden Sie es nicht auch ungerrecht, dass wir, obwohl wir ja für die Stadt Hamburg arbeiten, so wenig Unterstützung durch diese erfahren? Wäre es nicht sinnvoll und fair als Pondon zur "Künstlersozialkasse" eine Art "Freie-Lehrer-Kasse" einzuführen? Ist ein Nettostundenlohn von etwa 8 Euro für hoch qualifizierte Lehrkräfte angemessen?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Situation der VHS-Kursleitenden als Thema in der Podiumsdiskussion berücksichtigen könnten.
Mit freundlichen Grüßen,
Kirsten Ploog (seit 6 Jahren VHS-Kursleiterin für Englisch)
Sehr geehrte Frau Ploog,
vielen Dank für Ihre Frage, auf die zu antworten ich ja bereits im Rahmen der Veranstaltung kurz Gelegenheit hatte. Da das angesprochene Problem nicht nur die Beschäftigten der VHS Hamburg betrifft, auch hier noch einmal in Kürze meine Sicht.
Das Problem, als „arbeitnehmerähnliche Selbstständige“ unverhältnismäßig hohe Beiträge in die Sozialkassen einzahlen zu müssen, betrifft nicht nur bis zu 150.000 Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung, sondern auch immer mehr Menschen in anderen Branchen. Eine branchenweise Ausdehnung des KSK-Modells erscheint vordergründig zwar attraktiv, würde m. E. aber ähnliche Probleme aufwerfen wie ein Flickenteppich von Branchen-Mindestlöhnen - es wird immer Löcher in diesem Flickenteppich geben, Ungleichmäßigkeiten und Ungerechtigkeiten: Warum eine Lehrkraft in das KSK-Modell aufnehmen, IT-Dienstleister oder Journalisten aber nicht? Was ist mit Betroffenen, in deren Branche arbeitnehmerähnliche Selbstständige selten sind und die der Radar des Gesetzgebers deshalb nicht erreicht?
Eine gerechtere Lösung bestünde m. E. aus mehreren Bausteinen:
Zum einen brauchen wir einheitliche gesetzliche Kriterien zur Feststellung von Scheinselbstständigkeit, damit der Arbeitnehmerstatus von Scheinselbstständigen leichter anerkannt wird und sie als ArbeitnehmerInnen auch nur Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung leisten müssen.
Zweitens müssen die Eingangstarife für niedrige Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit drastisch abgesenkt und an das tatsächlich erzielte Einkommen angepasst werden. Das wäre bei einer Einführung der von uns geforderten Bürgerversicherung (die alle Einkommen, auch solche aus Kapitaleinkünften oder Mieten, ohne Beitragsbemessungsgrenze nach oben, gleichermaßen einbezieht) ohne weiteres finanzierbar.
Drittens, im Hinblick auf die Weiterbildungsbranche: Deren Situation hat sich seit Inkrafttreten der Hartz-Gesetze extrem verschlechtert - bis zu 30.000 Arbeitsplätze gingen verloren, die Löhne und Honorare sanken um bis zu 30 %. Eine Hauptursache liegt in der Ausschreibungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit und anderer öffentlicher Haushalte, die sich nicht an der Qualität, sondern einseitig am Preis von Bildungsangeboten orientieren und damit eine Dumpingspirale vorantreiben. Hinzu kommt eine absurde Verknappung der Nachfrage z. B. durch Bildungsverbote für Erwerbslose (denen beispielsweise das Nachholen von Schulabschlüssen verweigert wird mit der Begründung, es schränke ihre Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ein) und durch die abnehmende Bereitschaft von Unternehmen, ihren Beschäftigten Weiterbildung zu ermöglichen.
Unsere Vorschläge zielen deshalb darauf, den Weiterbildungssektor insgesamt auszuweiten, finanziell besser auszustatten und verantwortungsbewusster zu regulieren:
- Unternehmen wollen wir für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten in die Pflicht nehmen: durch die Einrichtung eines Branchenfonds, in die Betriebe je nach Leistungsfähigkeit einzahlen;
- ein Bundesweiterbildungsgesetz muss Weiterbildung als öffentliche Aufgabe definieren und einen individuellen Rechtsanspruch sichern;
- Förderlücken müssen systematisch geschlossen, Weiterbildungsangebote und Fördermöglichkeiten transparenter werden
- eine vielfältige Trägerstruktur soll erhalten bleiben - mit verbindlichem Mindestlohn und wirksamer Qualitätssicherung;
- qualitätsorientierte Ausschreibungspolitik aller öffentlichen Haushalte.
Das Ziel ist ein doppeltes: Mehr und bessere Weiterbildung für alle Bürgerinnen und Bürger – bessere Arbeitsbedingungen, Entlohnung und soziale Absicherung für Lehrkräfte. Mehr Informationen finden Sie in unserem Antrag aus der letzten Legislaturperiode: http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7786827385_1611374.pdf
Mit den besten Grüßen
Jan van Aken