Sie lehnten die Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 ab. Was werden Sie tun, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern? Wie werden Sie vulnerable Mitmenschen schützen, alte, immungeschwächte?
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Frage, zu deren Beantwortung ich leider erst jetzt gekommen bin. Ich hatte bei der Abstimmung am 7.4. keinem Antrag für oder gegen die Impfpflicht zugestimmt. Grundsätzlich halte ich in einer weltweiten Pandemie wie dieser die Impfpflicht für ein legitimes und verhältnismäßiges Mittel, wenn alle Informations- und Aufklärungsversuche scheitern und der Staat seinerseits alles für ein resilientes Gesundheitssystem tut. Das war vor anderthalb Monaten aber nicht der Fall und ist es auch heute nicht.
Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat auf dem Höhepunkt der Infektionszahlen ihren „Freedom Day“ gefeiert und selbst einfachste Schutzmaßnahmen, zum Beispiel das Maske-Tragen in öffentlichen Räumen, abgeschafft. Wäre der Bundesgesundheitsminister vorgestern in einer Talkshow nicht zurückgerudert, gäbe es ab Mai nicht einmal eine Isolationspflicht für Corona-Infizierte, mit der Begründung, dass die Gesundheitsämter, staatliche Behörden, die Einhaltung ohnehin nicht kontrollieren könnten.
Vor dem Hintergrund dieser leichtsinnigen und verantwortungslosen Öffnungspolitik ist eine Impfpflicht weder verhältnismäßig, noch ist sie offensichtlich mit unseren kaputtgesparten Behörden durchsetzbar.
Selbstverständlich teile ich Ihr Anliegen, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden und vulnerable Mitmenschen besonders geschützt werden müssen.
Wir brauchen daher dringend mehr und besser bezahltes Personal in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, das hoch motiviert ist und sich nicht kaputtschuften muss. Stattdessen denkt dort aktuell ein großer Teil der Beschäftigten an Kündigung. Ein erster Schritt wäre es, wenn der Irrweg der Privatisierung der Krankenhäuser sofort gestoppt würde. Wir brauchen einen Ausstiegsplan aus dem neoliberalen Abbau des Staates, aus der Privatisierung, aus der Kommerzialisierung unserer Gesundheit. Wir brauchen eine Neuaufstellung des Staats an sich, seiner elementarsten Funktionen. Nur 18 Prozent der deutschen Intensivstationen haben laut einer Studie 2018 funktioniert, wie sie sollten. Für ein Drittel der Tätigkeiten in Pflegeheimen fehlte schon vor Corona das Personal. Im Bildungsbereich sieht es nicht viel besser aus: An den Schulen sind die Klassen so groß wie sie immer waren, nur in Zügen und im ÖPNV sind die Menschen noch enger zusammen. Die Bundesregierung bietet keinen einzigen eigenen Beitrag, diese Probleme schnell und dauerhaft zu lösen. Es liegt nicht an einer fehlenden Impfpflicht, wenn es im Herbst erneut Einschränkungen geben muss, sondern am Versagen der ersten und der zweiten Corona-Bundesregierung, die sich alle paar Monate wieder – und spätestens im Herbst wird es wieder soweit sein – von der Pandemieentwicklung überraschen lässt und weder mit Sondervermögen noch grundlegenden Umbauplänen darauf reagiert.
Aktuell schützt die Impfung incl. Booster vor schweren Verläufen, das ist Fakt und nachprüfbar. Es wäre gut, wenn sich möglichst alle Menschen nicht nur gegen Corona schützen würden, sondern auch könnten. Aber 90 Prozent der Menschen in Subsahara-Afrika haben noch keine Covid-Impfung bekommen, unter anderem, weil sich Regierungsmitglieder wie Wirtschaftsminister Habeck von der Pharmalobby einwickeln lassen, statt die Patente auf Impfstoffe endlich freizugeben. Das ist nicht nur menschlich ein Skandal und steht dem moralinschweren Anspruch der Grünen hart diametral gegenüber, sondern es macht auch die Bildung gefährlicher Mutanten wahrscheinlich und unsere Impfungen, ob nun verpflichtend verabreicht oder freiwillig, im schlimmsten Fall wirkungslos.
Die Impfpflicht wird schon heute von Teilen der Bundesregierung vorgeschoben, um von der eigenen Untätigkeit abzulenken. Ich hoffe, dass hier endlich ein Umdenken einsetzt und die Koalition die nahende Sommerpause nutzt, um unser Gesundheitssystem zu entprivatisieren, eine neue Impfkampagne (insbesondere in sozialen Brennpunktgebieten!) zu starten und die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen besser zu schützen. Aber ehrlich gesagt: Besonders groß ist meine Hoffnung diesbezüglich nicht.
Freundliche Grüße
Jan Korte