Frage an Jan Korte von Thomas K. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Korte!
Mit Befremden habe ich soeben im Heute-Journal Ihr Statement zur Vorratsdatenspeicherung gehört. Dort sprechen Sie unter anderem von "einer Massenüberwachung unbescholtener Bürger". Unter dem Eindruck gezielter Desinformation und/oder Unwissenheit, wird während der gesamten Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung der Anschein erweckt, dass hierdurch den Strafverfolgungsorganen ein uneingeschränktes Datenzugriff ermöglicht wird.
Richtig jedoch ist: Telekommunikationsanbieter speichern entsprechend der vorgegebenen Frist die Daten und sind nur nach richterlichen Beschluss zur Herausgabe verpflichtet, und auch hier nur bei konkret definierten (schweren) Straftaten. Die Speicherung der infrage kommenden Daten geschieht durch die Anbieter schon jeher, nämlich zu Abrechnungszwecken und nach eigener Fristbemessung.
Man kann sich nur wünschen, dass sich Parteien und Abgeordnete der Sachlichkeit stellen, aber auch der Sinnhaftigkeit der VDS. Als Abgrenzung zu Gesetzesinitiativen der Regierung und Profilierung unter dem Mantel falscher Tatsachen ist dieses Instrument nicht geeignet.
Mit freundlichen Grüßen
A. Korbacher
Sehr geehrter Herr Korbacher,
entschuldigen Sie bitte die späte Antwort auf Ihre Anfrage. Der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung widerspricht nach meiner Auffassung eindeutig europäischem Recht und dem Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung. Dem Gesetzentwurf nach, sollen ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Abgeordneten, Beratungsstellen usw.) von 80 Millionen Menschen in Deutschland gesammelt werden. Damit höhlt eine Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten das Berufsgeheimnis aus, bringt das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich und schreckt Bürger*innen von vertraulicher Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze ab.
Indem die höchst umstrittene und von einer großen Mehrheit der Bevölkerung zu Recht abgelehnte Vorratsdatenspeicherung mit immer neuen Namen (erst Mindestspeicherfrist und nun „Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist“) betitelt wird, betreiben seit vielen Jahren nicht die Kritiker, sondern die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung eine gezielte Desinformation. Denn die Vorratsdatenspeicherung ist auch in der vorgeschlagenen Form, wie oben geschildert, ein massiver Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, die alle Bürgerinnen und Bürger einem Generalverdacht unterstellt. Denn eine anlasslose Speicherung macht nur Sinn, wenn allen unterstellt wird, in gleichem Maße in Zukunft schwere und schwerste Verbrechen zu begehen. Die Vorratsdatenspeicherung ist demokratiegefährdend: Bürgerinnen und Bürger vermeiden ein Verhalten, was sie mutmaßlich ins Visier von Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten rücken könnte. Sie sind ja nicht nur mit der Vorratsdatenspeicherung konfrontiert, sondern noch mit weiteren Eingriffen in ihre informationelle Selbstbestimmung, z.B. durch Kontodatenabfragen bei Empfängern von Sozialleistungen und Funkzellenabfragen bei Demonstrationen. Hinzu kommt das unbefugte Erfassen, Auswerten und Weiterleiten von Telekommunikationsdaten durch Geheimdienste, ob nun mit oder ohne Rechtsgrundlage. Schließlich ist der Nutzen der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für Strafverfolgung noch nirgendwo erbracht worden.
Ihre Annahme, dass auf die Vorratsdaten nur nach einer richterlichen Zustimmung zugegriffen werden darf, ist leider nicht richtig. Im Zuge der Bestandsdatenauskunft, für die § 100j StPO gerade keinen Richtervorbehalt vorsieht, wird auf Vorratsdaten unbegrenzt zugegriffen werden können. Dies liegt daran, dass der Provider intern Vorratsdaten nutzen muss, um die zu einer IP-Adresse passenden Bestandsdaten herauszufinden. Nur für Bestandsdatenabfragen der Abmahn-Industrie gilt bisher noch ein Richtervorbehalt (§ 101 Abs. 9 Urheberrechtsgesetz).
Ihre Feststellung, dass die Telekommunikationsanbieter überdies schon von jeher und nach freier Fristbemessung die Daten ihrer Kunden speichern, trifft zu. Die Kommunikationsanbieter dürfen nach § 100 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz die Daten zu Zwecken der Abrechnung und der Störungsbeseitigung speichern. Die im Telekommunikationsgesetz gewählten Formulierungen sind allerdings unbestimmt und damit auslegungsfähig, da sie hauptsächlich auf den Begriff der Erforderlichkeit abstellen. Inwieweit diese vorliegt, wird von den Kommunikationsanbietern unterschiedlich und willkürlich bewertet, wie sich aus der Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Speicherdauern der verschiedenen Mobilfunkanbieter ergibt. Während einige wenige gar nicht speichern, halten die meisten TK-Anbieter die Daten über Monate bis hin zu einem ganzen Jahr auf Vorrat fest.
Nach meiner Auffassung verfehlt daher § 100 Abs. 1 TKG die verfassungsrechtlichen Anforderungen, nicht zuletzt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, bei weitem: Denn eine automatisierte Datenerfassung darf „nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden“. Begriffe wie „erforderlich“ oder „sachdienlich“ stellen keine hinreichende Eingriffsschwelle dar (BVerfG, MMR 2008, 308, 308; BVerfG, NVwZ 2007, 688, 691). Das „strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat“ ist zu gewährleisten (BVerfG, MMR 2006, 531). Eine „enge und konkrete Zweckbindung“ muss gesetzlich angeordnet werden (BVerfGE 100, 313, 385 f.). Dem Bundesverfassungsgericht liegt aktuell eine Verfassungsbeschwerde wegen § 100 TKG vor: http://www.ndr.de/nachrichten/Klage-gegen-Daten-Sammelwut-der-Telekom,telekom236.html
Auch schon der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar plädierte dafür, die Speicherdauer stärker am Maßstab der Erforderlichkeit auszurichten. Passiert ist jedoch nichts!
Und dies, obwohl eine mehrmonatige Speicherung von Verkehrsdaten den Anforderungen des TKG widerspricht und aus meiner Sicht eine zu ahndende Ordnungswidrigkeit darstellt. Sowohl die Bundesnetzagentur, als auch der zuständige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel lehnen jedoch bis zum heutigen Tag die Einleitung von Bußgeldverfahren ab. Zwar erarbeitete die Bundesnetzagentur zusammen mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten einen Leitfaden „für eine datenschutzgerechte Speicherung von Verkehrsdaten“, aber an der Praxis der TK-Anbieter hat sich kaum etwas geändert. Dies kann aber meiner Meinung nach kein Argument für die Vorratsdatenspeicherung, sondern nur eines für einen konsequenteren Datenschutz sein.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Korte