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Jan Korte
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Frage von Thomas F. •

Frage an Jan Korte von Thomas F. bezüglich Soziale Sicherung

Arbeitspflicht für Hartz4 Empfänger

Hallo
Ich möchte mal einige Fragen zu den Äußerungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch stellen. Der Inhalt der Äußerungen des Herrn Koch dürfte ja bekannt sein,deshalb werd ich es auch hier nicht noch einmal suggerieren. Aber ist es nicht so das es in Deutschland ca.3,5 Mio bis 5 Mio Hartz4 Empfänger gibt,so genaue Zahlen hab ich gar nicht gefunden,aber glauben sie nicht wenn es die Arbeit geben würde das 95% der ALG2 Bezieher dann auf staatliche Sozialzahlungen angewiesen wäre?Ich glaube das wohl nicht.Ist es dann nicht so egal wo ob öffentlicher Dienst oder auch sonst wo sich Hartz4 Empfänger zum "Wohle der Allgemeinheit" oder wie sie sonst verpflichtet werden sollen Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abgebaut werden,Beispiel Ein-Euro-Jobs? Kann unsere Bundesregierung das so genannte "Wachstumsbeschleunigungsgestz" nicht wieder zurücknehmen und diese Millarden zum Beispiel in Kombilohnmodelle oder andere Duale Beschäftigungssysteme zu schaffen?Weil Wachstum ist irgendwann mal nicht mehr möglich um Wachstum zu schaffen müßten die Menschen wieder Kaufkraft erlangen um den Binnenmarkt wieder zu stärken denn ein Staat kann sein "Wachstum" nicht nur auf den Export aufbauen.

Vielen Dank und freue mich auf Antwort
Liebe Grüße
Thomas Friebel

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Friebel,

vielen Dank für Ihre Fragen zu Hartz IV und „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“.

Im Volksmund heißt es „zu viele Köche verderben den Brei“ – manchmal genügt schon ein einziger Koch, um einem den Appetit zu verderben. Beim hessischen Ministerpräsidenten scheinen mir schon lange Hopfen und Malz verloren. Seine jüngsten Angriffe auf Hartz IV-Betroffene belegen dies eindrucksvoll. Zitat: "Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung".

So ganz nebenbei koppelt Koch damit die soziale Grundsicherung an Zwangsarbeit. Wieso soll jemand, der „niederwertiger Arbeit“ nachgeht, eigentlich Arbeitslosengeld II anstatt eines ordentlichen Lohns bekommen? Es stellt sich auch die Frage was " niederwertige Arbeit " eigentlich ist? Doch wohl Arbeit, die keiner machen möchte. Und wenn man es wirklich marktwirtschaftlich betrachtet, müsste man diese Arbeit nicht eigentlich hoch bezahlen, wenn dafür kaum jemand zu finden ist? Hier wird das Verhältnis zwischen Nachfrage und Preis – sonst ganz selbstverständlich bestimmendes Moment der Marktwirtschaft – vollends auf den Kopf gestellt. Mit anderen Worten: Herr Koch sucht Arbeitskräfte, die für die Erhaltung ihrer Arbeitskraft das Lebensnotwendige gestellt bekommen und im Falle von Aufsässigkeit mit Sanktionen rechnen müssen. Koch fordert nichts weiter, als die Wiedereinführung der Leibeigenschaft.

Viel schlimmer ist allerdings, dass Koch damit nur ausspricht, was in den Regierungsparteien viele denken. Westerwelles krudes Geschwafel hat längst den Tatbestand der üblen Nachrede gegenüber den Millionen Hartz IV-Beziehenden erreicht. So deutlich wie Westerwelle und Koch sagen es allerdings nur wenige den Geringverdienenden: Damit ihr Euch mit Euren Dumpinglöhnen nicht ganz so unwohl fühlt, nehmen wir die Hartz IV-Beziehenden härter an die Kandare. Es ist Irrsinn zu behaupten, die Sozialleistungen müssten niedrig bleiben, damit Erwerbstätige im Vergleich dazu ein höheres Einkommen hätten. Und es ist der Gipfel der Unverschämtheit, dass diese Forderung nun ausgerechnet von jenen erhoben wird, die die Niedriglohnpolitik der vergangenen Jahre maßgeblich zu verantworten haben.

Die Debatte muss endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Nicht Hartz IV ist zu hoch, die Löhne sind zu niedrig.

Im Bundestag geht es jetzt in die ersten Haushaltsrunden. Selbstverständlich werden dabei im Sozialbereich enorme Einsparungen gefordert werden, um die Steuerversprechen von Union und FDP an ihre Wählerklientel erfüllen zu können. Und eben so selbstverständlich werden wir als LINKE dagegen halten.

Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist in Wahrheit ein Umverteilungsbeschleunigungsgesetz. Die Bundesregierung will mehr als 8,3 Milliarden Euro umschichten. Trotz einer katastrophalen Steuerschätzung und einer gigantischen Neuverschuldung will die Bundesregierung ihren Umverteilungskurs beschleunigt fortsetzen. Die Unternehmen müssen weniger Steuern zahlen, Groß-Erben werden weiter entlastet und wohlhabende Familien werden besser gestellt als Hartz-IV-Familien, die keine Kindergelderhöhung bekommen. Die Hotelübernachtungen werden nur noch mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belastet, Kinderbedarfsartikel und Medikamente dagegen weiter mit 19 Prozent besteuert. Das Umverteilungsbeschleunigungsgesetz wird die Konjunktur nicht beleben, da sind sich alle Experten einig. Eine Koalition von Lobbyisten hat durchgesetzt, dass Unternehmen und Groß-Erben entlastet werden und reiche Eltern besser gestellt werden als arme.

Alle Versprechungen, die die Kanzlerin den Ländern im Gegenzug für deren Zustimmung im Bundesrat gemacht hat, sind in Anbetracht der Haushaltsnotlage des Bundes keinen Pfifferling wert. Vernünftig wäre es, jetzt endlich einmal die zur Kasse zu bitten, die die Krise verursacht haben. Doch dazu fehlt der Regierung der Mut.

DIE LINKE warnt die Bundesregierung vor einer weiteren Umverteilung von unten nach oben. Wir wollen eine gerechte Besteuerung der Vermögen. Diese Mehreinnahmen brauchen wir dringend, um das weitere Auseinanderdriften unserer Gesellschaft zu verhindern.

Ohne gesetzlichen Mindestlohn sind die beschlossenen oder geplanten Maßnahmen nichts anderes als eine Ausweitung des Kombilohns. Arbeitgeber, die Hungerlöhne zahlen, werden indirekt durch Zuschüsse an die betroffenen Arbeitnehmer subventioniert. Die Anreize sind einfach falsch gesetzt. DIE LINKE fordert stattdessen ein umfangreiches Zukunftsprogramm, um gute Arbeit für alle zu ermöglichen. Für uns bleibt es dabei, dass Hartz IV weg muss. Sofort brauchen wir eine deutliche Anhebung der Regelsätze für alle Hartz-IV-Bezieher. Die Zumutbarkeitsregeln müssen entschärft werden, damit Arbeitslose nicht mehr jeden Job annehmen müssen. Damit sich Arbeit für alle wieder lohnt, brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn nach französischem Vorbild. DIE LINKE fordert schon seit Jahren ein Programm zur Entwicklung eines Öffentlichen Beschäftigungs Sektors (ÖBS).
Beschäftigungsfähige und -bereite Personen, die auf längere Sicht am Arbeitsmarkt keine Chance haben, könnten dadurch eine öffentlich geförderte Beschäftigung einschließlich beruflicher Weiterbildung annehmen. Klar ist aber auch, dass nur langfristige sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden dürften, die tariflich bzw. branchen- oder ortsüblich, entlohnt werden und einen nahtlosen Übergang in die Rente ab dem 60. Lebensjahr sicherstellen.
Die benötigten Mittel für ein solches Programm in Höhe von ca. 19 Milliarden € könnten aus einer Umwidmung der Mittel genommen werden, die ohnehin für das Arbeitslosengeld II, für die Kosten der Unterkunft sowie für Sozialbeiträge und die Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Jobs) vorgesehen sind. Hinzu kämen Landes- und EU-Mittel. So könnten 500 000 neue Arbeitsplätze in Bereichen entstehen, die die Gesellschaft dringend braucht, die sich für Privatunternehmen jedoch „nicht rechnen“, z.B. in der Schulsozialarbeit oder bei der Betreuung Älterer und die keine bestehenden sozialversicherungspflichtigen Jobs vernichten.

Mit freundlichen Grüßen,

Jan Korte

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