Frage an Ismail Ertug von Jürgen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ertug,
die sogenannte Urheberrechtsreform - vorwiegend unterstützt durch ohnehin die Gatekeeper im Internet und der großen Verlage - hat in den Artikeln 11 und 13 erhebliche Defizite, was eine demokratische Entwicklung der Gesellschaft betrifft.
Herr Voss, angehörig einer Partei, von der Sie sich leider nicht absetzen, und der diese "Reform" hauptsächlich mitverantwortet, scheint weder vom Urheberrecht noch von den Chancen des Internets für eine aufgeklärte Gesellschaft Ahnung zu haben oder Kenntnis zu nehmen ( https://www.golem.de/news/eu-urheberrechtsreform-das-absolute-unverstaendnis-des-axel-voss-1902-139511.html ). Das allein spricht Bände.
Wer an dieser Reform offensichtliches Interesse hat, sind jedenfalls nicht die BürgerInnen Europas: Europa habe ich mir anders, offener, kreativer, wirtschaftlicher vorgestellt, denn diese "Reform" verhindert geradezu Offenheit, Diskurs, Kreativität und wirtschaftliche Weiterentwicklung. Orban und andere, die gerne die Hoheit über die veröffentlichte Meinung wünschen (übrigens auch in Deutschland, siehe das "Framing Manual der ARD [ https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2019/02/framing_gutachten_ard.pdf ] u.a.) freuen sich über neue Zensurmöglichkeiten bei der Anwendung und Ausweitung der beiden genannten Artikel 11 und 13.
Meine Frage:
Tragen Sie eine solche Beschneidung einer offenen, kreativen, wirtschaftlichen Entwicklung Europas mit? Und wie sieht es mit der Koalitionsvereinbarung aus, die Sie durchgesetzt haben, nun aber "leider" - wie Frau Barley meint - mittragen? Wie stehen Sie zu diesem Brechen eines Wahlversprechens?
Ihre Antwort wird erhebliche Auswirkungen auf mein Wahlverhalten im Mai haben.
Beste Grüße
J. B.
Sehr geehrter Herr B.,
am Dienstag, den 26. Februar hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments für den aktuellen Kompromiss mit 16 Ja-Stimmen und 9 Nein-Stimmen für die Urheberrechtsreform votiert. Der Vorschlag enthält die Pflicht für Plattformen wie etwa Youtube oder Instagram, jeden Inhalt, der auf diese Plattform hochgeladen wird, zu scannen. Diese Inhalte sind gegebenenfalls zu blockieren, falls urheberrechtsverletzendes Material enthalten ist. Aufgrund der Menge des Materials ist dies meist nur mit automatisierten Uploadfiltern möglich. Nun liegt aber auf der Hand, dass Algorithmen nicht zweifelsfrei dazu fähig sind, eine Urheberrechtsverletzung von einer legalen Verwendung von geschützten Werken zu unterscheiden. Somit haben die Plattformbetreiber die Verpflichtung darüber zu entscheiden, welche Inhalte veröffentlicht werden und welche nicht. Eine Ausnahme von der Filterpflicht gibt es nur für kleine Plattformen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften und weniger als 5 Millionen Besucher pro Monat haben. Dank der Intervention von Bundesjustizministerin Katarina Barley gibt es immerhin eine Ausnahme für junge Plattformen. Weil sich aber kleine, neue Plattformen kaum ein kostenintensives Filtern leisten können, scheint trotz dieser Ausnahme die Regelung ein Konjunkturprogramm für Youtube und Facebook zu werden. Denn diese Unternehmen können teure Filtertechnik entwickeln und dann an kleine Plattformen veräußern. Das stärkt die bereits marktbeherrschenden US-amerikanischen Anbieter weiter.
Aller Voraussicht nach wird das Plenum des Europäischen Parlaments im März über die Richtlinie abstimmen. Meine Meinung hierzu ist klar: Ich werde keinem Kompromiss zustimmen, der Uploadfilter beinhaltet. Auf https://pledge2019.eu/de finden Sie mich unter denjenigen Abgeordneten, die das Versprechen abgegeben haben, gegen Artikel 13 zu stimmen. Außerdem finden Sie unter folgendem Link ein Video-Statement von mir: https://www.youtube.com/watch?v=7Zd8sN1Gtnc .
Grundsätzlich halte ich das Anliegen, die Vergütung von Kreativschaffenden im Digitalen Binnenmarkt zu stärken, für überaus sinnvoll. Doch sind Uploadfilter hierzu meiner Meinung nach das falsche Mittel!
Freundliche Grüße
Ismail Ertug