Frage an Ismail Ertug von Heribert K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Herr Ertug,
ich richte mich mit folgenden Fragen an Sie:
1. Sind Sie für den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA?
2. Sind Sie dafür, dass im Rahmen des Abkommens nicht ordentliche Gerichte mit Rechtstreitigkeiten befasst werden, sondern Schiedsgerichte der WTO?
3. Finden Sie es richtig, in Vertragsverhandlungen einzutreten, bei denen die Auswirkungen des Vertrages (Implications)beispielsweise im landwirtschaftlichen Bereich (Stichwort "Genfood") gutachtlich noch nicht bekannt sind und voraussichtlich erst im November 2014 - möglicherweise erst nach Vertragsabschluss - bekannt werden?
4. Finden Sie es richtig, dass die EU die Krümmung der Gurke, die Lagerung von Käse und ähnliche Dinge reglementiert und mit dem Freihandelsabkommen möglicherweise einen Scheunentor für den Import von Genprodukten öffnet?
5. Finden Sie es auch richtig, dass die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen?
Da Sie sich sicherlich in anstrengenden Wahlkampfvorbereitungen befinden, würde mir ein einfaches Ja oder Nein zu den gestellten Fragen genügen. Die gleichen Fragen habe ich auch an Ihre bayerischen Kollegen und Kolleginnen gestellt. Ich darf mich für Ihre Antworten bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Karsch
Sehr geehrter Herr Karsch,
hier zunächst die einfachen ja/nein-Antworten auf ihre Fragen:
1. Nein
2. Nein
3. Nein
4. Nein. Hierzu nur kurz: die viel zitierte "Gurkenkrümmung" ist auf Wunsch der Händler so normiert worden, damit diese leichter abschätzen können, wie viele Gurken in einer Standardkiste verpackt sind. Es ist also keineswegs eine Initiative der EU-Organe gewesen.
5. Nein
Und nun zum Hintergrund dieser Antworten:
Die Artikel 207 und 218 des Vertrags von Lissabon (AEUV) regeln das auswärtige Handeln der Union in den Fragen der gemeinsamen Handelspolitik. Sie legen unter anderem fest, dass Europäischer Rat und Europäische Kommission die Verantwortung für die Verhandlungen und deren Ausgestaltung tragen. Die Europäische Kommission, durch den Handelskommissar vertreten, führt die Verhandlungen, wenn sie vom Europäischen Rat dafür ein Mandat erhält. Sie ist an Weisungen des Rates gebunden und wird von einem Ausschuss dabei unterstützt. Das Parlament soll während der Verhandlungen unterrichtet werden und ist bei Freihandelsabkommen erst nach Abschluss der Verhandlungen in den Gesetzgebungsprozess einbezogen.
Das seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags bestehende Recht des Parlaments, über die Verhandlungsrunden informiert zu werden und im Zweifelsfall am Ende auch gegen ein Abkommen stimmen zu können, darf vor allem seit dem Scheitern des ACTA-Abkommens 2012 jedoch nicht unterschätzt werden. Trotz der erweiterten Kompetenzen des Europäischen Parlaments würde ich mir natürlich eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Verhandlungen wünschen.
Die Europäische Kommission hat aus dieser Erfahrung gelernt und dem Parlament zugesichert, dass Verhandlungsdokumente Großteils auch ins Internet gestellt werden (siehe hier: http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/resources/ ). Darüber hinaus erarbeitet die Kommission auf Initiative des Parlaments an der Institutionalisierung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft durch den Aufbau einer permanenten Beratungsgruppe um 15 Experten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden und Unternehmen. Somit würde ich schon den Schluss ziehen, dass die Tage der Geheimverhandlungen hinter verschlossenen Türen gezählt sind.
Zudem erfolgt ein Austausch zwischen Abgeordneten des INTA-Ausschusses und den anderen Fachpolitikern über die vorliegenden Informationen zum Stand der Verhandlungen. So steht die Position des Europäischen Parlaments bereits im Vorfeld der jeweiligen Verhandlungsrunden fest und wird von den Verhandlungsführern der Europäischen Kommission sowie den Mitgliedstaaten im Rat, welche die Verhandlungsmandate erteilen, wahrgenommen.
Dadurch haben sich bereits im Vorfeld der Verhandlungen mehrere rote Linien gezeigt, deren Überschreitung die Zustimmung des Parlaments gefährden könnte. Hierzu gehörte bereits vor Beginn der Verhandlungen der Ausschluss audiovisueller und kultureller Dienstleistungen vom TTIP-Abkommen, welcher als sozialdemokratischer Erfolg gefeiert werden kann. Des Weiteren ist für uns nicht verhandelbar, dass das Abkommen europäische Verbraucherschutz, Produkt- und Lebensmittelsicherheit antasten könnte. Zwar können Standards, wie die roten Blinklichter an US-amerikanischen Autos ohne negativen Einfluss auf Sicherheit und Umwelt anerkannt werden - Hormon-, Gen- oder Chlorfleisch darf jedoch nicht auf europäischen Tellern landen.
Mit freundlichen Grüßen
Ismail Ertug