Frage an Ismail Ertug von Marcus K. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Ertug,
im Artikel von LobbyControl mit dem Titel „Sozialdemokraten torpedieren Verbraucherschutz – zugunsten der Banken“ wird behauptet, dass auf mündlichen Antrag der SPD-Fraktion im EU-Parlament im Gesetzentwurf zur Mifid2 die Formulierung „dass Provisionen offen gelegt werden *und* an die Kunden weitergeleitet werden müssen“ in „dass Provisionen offen gelegt werden *oder* an die Kunden weitergeleitet werden müssen“ geändert wurde.
Hierzu folgende Fragen:
1. Ist diese Schilderung zutreffend, konkret dass die Formulierung wie beschrieben geändert wurde? Haben Sie als Mitglied der SPD-Fraktion der neuen Formulierung zugestimmt?
2. Was ist mit „Provisionen an die Kunden weitergeleitet“ gemeint: Erhält der Kunde Informationen? Oder erhält er eine Geldzahlung? Falls beides nicht: Was ist damit gemeint?
3. Falls Sie der neuen Formulierung zugestimmt haben: Aus welchen Gründen sind Sie der Meinung, dass durch die neue Formulierung eine provisionsgetriebene Beratung („Produktverkauf“) verhindert wird?
4. Wurden Sie oder andere Mitglieder der SPD-Fraktion im EU-Parlament von direkten oder indirekten Vertretern der Finanzindustrie (Banken; Versicherungen; sonstige Unternehmen, die Finanzdienstleistungen anbieten, etc.) gedrängt / gebeten / aufgefordert / ermuntert, die Formulierung wie dargestellt abzuändern?
Mit freundlichen Grüßen,
Marcus Kaiser
Sehr geehrter Herr Kaiser,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Provisionsregelung im Gesetzentwurf zu MIFID II.
Der ECON-Ausschuss des Europäischen Parlaments hat am 26. September 2012 in Brüssel über die MiFID II-Gesetzgebung abgestimmt. Die geänderte Formulierung in der Richtlinie ermöglicht europaweit die Zahlung von Provisionen in der Anlageberatung für Finanzprodukte nur in drei Fällen: wenn Provisionen in Gänze an den Kunden weitergereicht werden; oder Provisionen dienen allein zur Deckung der bei Beratung und Anlage entstandenen Kosten und Gebühren; oder Provisionen werden bei Geschäftsabschluss an den verkaufenden Berater oder das verkaufende Institut entrichtet, der Kunde wird aber umfassend über Art und Höhe der Provisionen und wer diese erhält informiert.
Zudem verpflichtet eine Revisionsklausel die Europäische Kommission dazu, nach dreieinhalb Jahren sowohl das Modell der Provisionsberatung als auch das der Honorarberatung kritisch auf Funktionsweise und Verbraucherfreundlichkeit hin zu überprüfen. Damit verschärft die MiFID II-Gesetzgebung jenes MiFID I-Paket, das sich in der Vergangenheit als unzureichend erwiesen hat. Gleichzeitig bleibt jeder Anlegerin und jedem Anleger die Wahlfreiheit zwischen kostenfreier Provisionsberatung und kostenpflichtiger Honorarberatung erhalten. MiFID II stellt außerdem jedem Mitgliedstaat frei, ein umfassendes Verbot von Provisionszahlungen durch nationale Gesetzgebung zu beschließen. Gerade dieser letzte Punkt ist in der medialen Berichterstattung der letzten Tage und Woche nur unzureichend berücksichtigt worden.
Laut meinen Kollegen im ECON-Ausschuss ist die Berichterstattung nicht korrekt, da zu den Beratungen über das MiFID II-Paket und der Frage des Provisionsverbots von Mitbewerbern vereinzelt auch der Eindruck erweckt worden ist, die sozialdemokratische Fraktion habe sich in letzter Minute wider besseres Wissen gegen eine Neuregulierung der Anlagemärkte für Finanzprodukte gewendet und einer nur allzu halbherzigen Reform zur Durchsetzung verholfen. Dieser Darstellung ist dezidiert zu widersprechen. Für die sozialdemokratische Fraktion sind die Verhandlungen, wie dies im Europaparlament angesichts der Fülle von Gesetzgebungsverfahren üblich ist, von unserem Schattenberichterstatter Robert Goebbels geführt worden. Die Berichterstatter haben bis zuletzt nach einem möglichst kundenfreundlichen, in der Praxis wirkungsvollen Kompromiss gesucht, der nicht in einer ausschließlichen Elitenberatung endet. Der Kompromissantrag hierzu wurde vom EVP-Berichterstatter mit den Schattenberichterstattern von S&D sowie Liberalen verhandelt und technisch durch den S&D Schattenberichterstatter eingebracht. Zwischenzeitliche, am britischen Modell der Honorarberatung orientierte Übereinkünfte zwischen britischen Konservativen und Grünen wurden leider vielfach als bereits abgeschlossene Positionsbestimmung des ECON-Ausschusses missverstanden. Sie wurden von britischen Abgeordneten und grünen Vertretern als Abschaffung des Provisionsmodells gefeiert. Dabei wird jedoch verschwiegen, dass eine Umstellung auf reine Honorarberatung ohne erhebliche sozialstaatliche Begleitung und Ausweitung öffentlicher oder öffentlich garantierter Beratungsleistungen zum Zwangshonorar für alle führt, insbesondere für Kleinsparer, unabhängig davon ob sie ein Produkt abschließend erwerben oder nicht. Tatsächlich gab es unter den Berichterstattern der Fraktionen im Ausschuss keine Mehrheit für einen solchen sofortigen Systemwechsel.
Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1. Ich bin selbst nicht Mitglied des Ausschusses, konnte daher auch nicht über die Änderung und den Entwurf abstimmen. Im Plenum habe ich für den Entwurf gestimmt.
2. Mit „werden Provisionen an den Kunden weitergeleitet“ ist gemeint, dass die Provision an den Kunden ausgezahlt wird.
3. Ich konnte nur dem fertigen Antrag, nicht aber der einzelnen Formulierung zustimmen, da ich kein Mitglied des zuständigen Ausschusses bin. Allerdings soll die neue Regelung Transparenz schaffen, ob Provisionen gezahlt werden und wenn ja, an wen. Wie bereits erwähnt, habe ich im Plenum für die Richtlinie gestimmt.
4. Ich kann nur für mich sprechen: Ich wurde nicht gedrängt / gebeten / aufgefordert / ermuntert, die Formulierung zu ändern.
Mit freundlichen Grüßen
Ismail Ertug