Frage an Ise Thomas von Stephan-Dieter R. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Thomas,
wie stehen sie zur modifizierten Strahlenschutzverordnung, welche die rot-grüne Bundesregierung im August 2001 auf den Weg brachte? Warum wurde den Betreibern von AKWs die Möglichkeit eingeräumt, bei deren Stillegung und Abriss den anfallenden radioaktiv verseuchten Bauschutt auf Hausmülldeponien zu entsorgen? Wie wollen Sie verhindern, dass sich aufgrund der laxen Gesetzeslage ein Atommüll-Tourismus nach Deutschland etabliert? Halten Sie die Einschätzung der "Gesellschaft für Strahlenschutz", die mit tausenden Strahlentoten infolge der aktuellen Gesetzeslage rechnet, für realistisch? War die Änderung der Strahlenschutzverordnung Teil des "Atomkompromisses" mit den AKW-Betreibern?
Mit freundlichen Grüssen
Stephan-Dieter Rothe
Sehr geehrter Herr Rothe,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 21. März 2006 zum Thema Umwelt. Gestatten Sie mir zunächst folgende Vorbemerkung. Nach dem Regierungswechsel von Rot-Grün auf Schwarz-Rot im Bund sind wir aktuell mit einer gesellschaftlichen Diskussion konfrontiert, die von den Befürwortern der Atomkraft mit dem Ziel geführt wird, diese aus unserer Sicht unhaltbare Risikotechnologie erneut auszubauen. Demgegenüber wollen wir an dem so genannten Atomkompromiss festhalten, der mittelfristig den kompletten Ausstieg aus der Atomtechnologie bis etwa 2021 vorsieht.
Ihre Fragen beziehen sich demgegenüber auf eine gesellschaftliche Diskussion, die in den Jahren 2000 bis 2002 stattgefunden hat, zu der von uns Grünen in damaliger Regierungsverantwortung auf Bundesebene mitgetragenen Novellierung der Strahlenschutzverordnung. Unsere damalige wie heutige Grundposition zum Schutz vor radiaktiver Strahlung hat sich nicht verändert. Sie lautet: Es gibt keine für den menschlichen Organismus unbedenkliche Strahlendosis, deshalb können wir nur rechtliche Regelungen treffen, die ein möglichst hohes Maß an Minimierung der Strahlenbelastung bedeutet. Gleichwohl spiegelt die Strahlenschutzverordnung in ihrer Fassung vom 18. Juni 2002 auch einen Kompromiss zwischen unterschiedlichsten Interessen dar. Der überwiegende Teil der Neufassung findet auch heute noch unsere Zustimmung.
Zu ihren Fragen:
Auf der Grundlage der Strahlenschutzverordnung gelangt kein "radioaktiv verseuchter Bauschutt" auf Hausmülldeponien, der bei Stilllegung und Abriss von Atomkraftwerken anfällt. Obwohl im Detail, insbesondere was die Freimessung und Zuordnung einzelner unterschiedlich stark belasteter Abrisschargen anlangt (Vermischungsverbot), Konkretisierungsbedarf besteht, tragen wir das "10 Mikrosievert - Freigabekonzept" mit. Wenn man stillgelegte Atomkraftwerke rückbauen will, muss man generell eine Grenze ziehen. Abrissmaterial aus Atomkraftwerken darf dann auf die Deponie, wenn es nachgemessen 240mal geringer strahlt, als die durchschnittliche "natürliche Umgebungsbelastung" in Deutschland, die 2.400 Mikrosievert beträgt.
Die Strahlenschutzverordnung von 2002 diente explizit dazu europäisches Atomrecht aus mehreren EU-Richtlinien umzusetzen. Die von Ihnen formulierte "laxe Gesetzeslage" die "Atommüll-Tourismus nach Deutschland etabliert" vermag ich nirgends zu erkennen.
Die Ihnen sicherlich bekannten beispielsweise in den "Detmolder Leitlinien" der "Gesellschaft für Strahlenschutz" vorgebrachten Argumente haben nach meiner Beobachtung nicht zuletzt daran Anteil, dass der "Grenzwert" für beruflich strahlenexponierte Personen von 50 auf 20 Millisievert in der novellierten Strahlenschutzverordnung herabgesenkt wurde.
Die Änderung der Strahlenschutzverordnung hat nur sehr indirekt etwas mit dem Atomkompromiss zu tun. Erstmals und europa- bzw. sogar weltweit beachtet ist die atomrechtliche Regelung für die Stilllegung und den Rückbau von AKWs. Hier denke ich, dass gerade der hier in Rheinland-Pfalz von den Grünen maßgeblich erzwungene Abriss des AKW Mülheim-Kärlich zu weiteren Erkenntnissen und gegebenenfalls Verschärfung der Strahlenschutzverordnung führen kann. Wir lassen da nicht locker. Dafür stehe ich.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Ise Thomas