Frage an Isabel Mackensen-Geis von Patrick D. bezüglich Bundestag
Sehr geehrte Frau Mackensen,
zweifelsohne stellt die Corona-Pandemie alle - auch unsere Verfassungsorgane, samt Regierung und Parlament - vor enorme Herausforderungen.
Zu Beginn der epidemischen Lage - als nur wenig bis keine verwertbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse über das SARS-CoV-2 Virus vorlagen - war es nachvollziehbar, im Rahmen der durch das Infektionsschutzgesetz bestehenden Ermächtigungsgrundlage, zügig und unmittelbar Schutzmaßnahmen zu verordnen, um etwaige Gefahren für die Bevölkerung bestmöglich abzuwehren. In Anbedracht der üblichen zeitlichen Länge parlamentarischen Handelns scheint dies angemessen.
Nun - über ein halbes Jahr nach Ausbruch der epidemischen Lage - ist es leider nach wie vor so, dass das Instrument der Rechtsverordnung - mittlerweile zwar durch einige wenige weitere generische Ermächtigungsgrundlagen gestützt - das "Mittel der Wahl" zur Durchsetzung von Corona-Bekämpfungsmaßnahmen sind, ohne hierbei das Parlament einzubinden und Grundrechtseinschränkungen zu legitimieren.
Als Repräsentant unseres Wahlkreises im Bundestag möchte ich Sie fragen:
1) Wie bewerten Sie die Einbindung des Bundestages bzw. des Landtags in Rheinland-Pfalz in den - sehr dynamischen - Erlass von Rechtsverordnungen durch die Regierungen? Kommt das Parlament ihrer Auffassung nach Ihren verfassungmäßigen Pflichten nach?
2) Inwieweit bewerten Sie persönlich das Ausstellen gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen - verglichen mit der Vielzahl durch diverse Rechtsverordnungen konkretisierter und z.T. massiver Grundrechtseinschränkungen im Einzelnen - als verfassungskonform und der Verantwortung und Rolle der Parlamente gerecht?
3) Durch welche Aktivitäten tragen Sie persönlich und Ihre Fraktion dazu bei, dass wir - unabhängig von der sehr aufgeheizten Stimmung und entsprechender epidemiologischer Betrachtungen - unsere Gewaltenteilung nicht zum unbeachteten Mauerblümchen werden lassen?
Für Ihre Antwort danke ich Ihnen sehr!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Drechsel,
vielen Dank für Ihre Anfrage über das Portal „Abgeordnetenwatch“.
Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres betrachte ich die Ausnahmeregelungen sehr kritisch und wäge stets ab, ob ich den Entscheidungsfindungsprozess und die Tragweite der Entscheidungen für richtig halte oder nicht.
Ich bin ganz bei Ihnen, wenn Sie eine Unterscheidung zwischen den Zeiträumen der Corona-Pandemie vornehmen. Auch ich bin der Meinung, dass die getroffenen Entscheidungen zu Beginn der Pandemie aufgrund fehlender wissenschaftlicher Forschung schwierig zu treffen waren und sofortige Reaktionen notwendig waren, um die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite – die im Übrigen vom Bundestag vollzogen wurde, zeitlich befristet ist und vor Ablauf der Frist einzig vom Bundestag wieder aufgehoben werden kann – wurde nicht zuletzt als Schutzmechanismus getätigt, da man die Handlungsfähigkeit des Bundes im Ernstfall, also wenn der Bundestag nicht mehr tagungsfähig gewesen wäre, sicherstellen wollte. Man wusste zu Beginn der Pandemie noch nicht, wie sie sich entwickeln wird und mit welchen Auswirkungen wir zu rechnen haben.
Das wissen wir auch heute noch nicht genau. Aber der Bundestag hat durchgängig getagt und die parlamentarische Rückkopplung war jederzeit möglich. Ich kann Ihnen versichern, dass wir Abgeordneten zu jedem Zeitpunkt über die Maßnahmen informiert und aktiv beteiligt wurden.
Aufgrund der Arbeitsteilung im Bundestag berichte ich von meinem Ressort, Ernährung und Landwirtschaft: Bei jeder Ausschusssitzung seit Beginn der Pandemie stand das Thema Corona auf der Tagesordnung. Wir diskutierten beispielsweise über die Sicherstellung der Lebensmittelversorgung oder die Arbeitsbedingungen von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft. Bei akuten, in der Corona-Pandemie aufgetretenen Problemen, haben wir von parlamentarischer Seite stets reagiert. Ein Beispiel ist der von der Seite des Gesundheitsministers vorgeschlagene Immunitätsausweis: Hier haben wir als SPD-Bundestagsfraktion sofort eingegriffen und konnten dessen Einführung verhindern.
Auch das dem Parlament eigene Haushaltsrecht wurde und wird zu jeder Zeit ausgeübt. Die Entscheidungen über staatliche Unterstützungsleistungen wie Kurzarbeitergeld oder Überbrückungshilfen wurden stets vom Bundestag abgestimmt und dadurch legitimiert.
Ich halte die Trennung von exekutiven Aufgaben und legislativen Entscheidungsinstrumenten für zwingend erforderlich. Sie hat auch bereits zu Beginn der Pandemie stattgefunden und wird auch nach, dem hoffentlich baldigen Ende, fortgesetzt werden.
Nun, einige Monate später, werden die Ausschüsse fortgesetzt eingebunden und ich bin froh darüber, dass keine Bundesministerin und kein Bundesminister eigenmächtig und im Alleingang weitreichende Entscheidungen trifft.
Dennoch sehe ich bei der Beteiligung des Deutschen Bundestages noch Ausbaubedarf. Gerade bei Grundrechtseinschränkungen, wie sie jüngst leider wieder beschlossen werden mussten und ab Montag in Kraft treten, ist eine Beteiligung des direkt vom Volk legitimierten Organs unerlässlich. Klar ist aber auch, man darf die Geschwindigkeit, mit der sich die Pandemie entwickelt nicht außer Acht lassen. Schnelligkeit in den Entscheidungen über Eindämmungsmaßnahmen ist gerade in sich beschleunigenden Situationen das Gebot der Stunde und so kommt es dazu, dass nicht direkt legitimierte Gremien, wie die Konferenz der Kanzlerin mit den MinisterpräsidentInnen, Leitlinien für das tägliche Handeln in der Pandemie beschließen. Allerdings handelt es sich dabei „lediglich“ um einen groben Fahrplan, den dieses Gremium beschließt. Die konkrete und rechtverbindliche Ausgestaltung obliegt weiterhin den direkt legitimierten Landesparlamenten.
So ist die Kritik an der parlamentarischen Beteiligung differenziert zu betrachten: Ja, auf Bundesebene wurde das Parlament in der Vergangenheit zu wenig in Entscheidungen während der Corona-Pandemie eingebunden, die die Menschen beeinträchtigen und deren Grundrechte beschneiden. Dies ist ein Kritikpunkt, den ich weiterhin äußern werde. Ich hoffe, dass wir im Bundestag in Zukunft aktiv über alle Corona-Maßnahmen entscheiden dürfen.
Auf Landesebene hingehen beobachte ich in Rheinland-Pfalz glücklicherweise eine enge Zusammenarbeit der Regierung von Malu Dreyer und dem Landtag. Bei den Rechtsverordnungen, die die rechtlichen Grundlagen für uns Bürgerinnen und Bürger bilden, wurde der Landtag stets mit einbezogen. Die rheinland-pfälzischen ParlamentarierInnen überprüfen ständig die Angemessenheit der geltenden Verordnung, passen sie gegebenenfalls weiter an und stimmen final darüber ab.
Ich hoffe es wurde deutlich, dass ich die politischen Entwicklungen und Entscheidungen im Rahmen der Corona-Pandemie stets prüfend betrachtet habe und dies auch weiterhin tun werde. Bei jeder meiner parlamentarischen Entscheidungen bedenke ich die Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Während den letzten Wochen und Monaten stand ich in engem Austausch mit Zuständigen vor Ort, sodass ich stets über die regionalen und individuellen Probleme der Bürgerinnen und Bürger informiert war. Auf Bundesebene werde ich weiterhin für die Rechte der ParlamentarierInnen eintreten und eine aktive Beteiligung an das Volk betreffenden Entscheidungen fordern.
Treten sie gerne weiterhin in einen Austausch mit mir. Ich stehe Ihnen auch persönlich in meinem Wahlkreisbüro in Speyer (Gutenbergstr. 11, Telefon: 06232/6766866) zur Verfügung oder schreiben Sie mir eine Mail an isabel.mackensen@bundestag.de. Ich freue mich darauf, auch weiterhin mit Ihnen in Kontakt zu bleiben und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Isabel Mackensen, MdB