Frage an Irmingard Schewe-Gerigk von Sabine M. bezüglich Frauen
Sehr geehrte Frau Schewe-Gerigk,
wie finden Sie als Feministin denn die Möglichkeit, dass in Deutschland eine Kanzlerin gewählt wird? Das ist bei den eher links angesiedelten Parteien doch noch nicht gelungen. Ist das nicht ein Erfolg der Frauenbewegung?
Viele Grüße
Sabine Müller
Sehr geehrte Frau Müller,
auf der einen Seite freue ich mich natürlich, dass Deutschland nun erstmals eine Kanzlerkandidatin hat. Das ist meines Erachtens schon ein frauenpolitischer Erfolg, der auch auf die rot-grüne Frauenpolitik zurückzuführen ist. In den vergangenen sieben Jahren haben wir viele Diskussionsprozesse angestoßen, die für das gesellschaftliche Klima wichtig waren. Wir haben heute ein deutlich höheres Maß an Gleichberechtigung in Politik, Beruf, Gesellschaft als 1998. Wir haben es geschafft, dass eine Bundesregierung und eine Parlamentsmehrheit ernsthaft an der Verwirklichung des Gleichstellungsgedankens gearbeitet haben. In dieser Regierung, in diesem Bundestag sitzen mehr Frauen als jemals zuvor in der deutschen Geschichte. Dies ist vor allem auf die Grünen zurückzuführen. Damit haben wir der Kanzlerkandidatin aus den konservativen Reihen durchaus den Weg geebnet. Insofern ist das ein Erfolg der Frauenbewegung.
Bedauernswerterweise ist ausgerechnet unsere erste Kanzlerkandidatin eine Frau, die auf diese frauenpolitischen Erfolge keinen Wert legt. Zwar weiß sie von dem nach wie vor steinigen Weg der Frauen in die Machtpositionen von Wirtschaft und Politik – aus persönlichen Erfahrungen ebenso wie aus ihrem Wissen als Ministerin. Sie verleiht dem Thema Frauenpolitik aber keinerlei politische Relevanz. In der Politik ihrer Partei spielt es weiterhin keine Rolle. Das zeigt sich bereits im Wahlkampf an vielen verschiedenen Stellen: Da ist das Wahlprogramm, in dem Frauen beinahe nicht vorkommen. Von den großspurig angekündigten Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist im Programm leider auch nichts übrig geblieben. Statt Ausbau der Kinderbetreuung gibt es jetzt materielle Förderung – die Union ist damit wieder bei ihrer alten Zuhause-Bleib-Prämie für Mütter angekommen. Da ist das Kompetenzteam, in dem für Frauenpolitik niemand zuständig ist. Stattdessen macht sich der zukünftige Finanzminister für die klassische Rollenverteilung von Hausfrau und Familienernährer stark. Und dann ist da noch Frau Merkel, die zu diesen und anderen, frauenfeindlichen Aussprüchen ihrer Parteikollegen einfach nur schweigt. Solange in dieser männlich geprägten Partei der Ruf nach einem modernen Frauenbild nicht ausdrücklich eingefordert wird, wird sich auch nichts ändern. Eine Schwalbe allein macht eben noch keinen Sommer – und eine Kanzlerkandidatin allein keinen Erfolg der Frauenbewegung.
Nina Katzemich
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Irmingard Schewe-Gerigk MdB
Parlamentarische Geschäftsführerin
Sprecherin für Frauen- und Altenpolitik