Frage an Irmingard Schewe-Gerigk von Axel V. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Perspektiven für die Generation Praktikum" vom 22.11.2006 wurde festgestellt: "Praktika können und sollen eine sinnvolle Ergänzung vor und während der Ausbildung, nicht aber eine billige Beschäftigungsform danach sein."
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderte u.a. die Stärkung der
Ansprüche von Praktikanten, verpflichtende Praktika im Studium, zeitliche Begrenzung und ein Einsetzen für die "tarifliche Aufwandsentschädigung für Praktikantinnen und Praktikanten". Die aktuelle Ankündigung einer
Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion zeigt den gesetzlichen Handlungsbedarf.
Je nach Ausbildung ist der berufliche Einstieg ohne Praktikum unmöglich. Dies gilt z.B. für Geisteswissenschaftler im journalistischen Bereich. Kleine Betriebe können keine Vergütung für Praktikanten gewähren.
Da ich mich derzeit in dieser Situation befinde und in den nächsten Tagen ein unbezahltes Praktikum antrete, fragte ich bei der Arbeitsagentur nach, ob für den Zeitraum eine Beantragung von ALG II möglich sei. Mir wurde mitgeteilt, dass eine Beantragung nur möglich sei, wenn ich dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung stehe. Unverständlich ist für mich, dass der Antragsteller dann meist in einen Ein-Euro-Job vermittelt wird.
Statt der Möglichkeit einer beruflichen Weiterqualifikation wird die Tätigkeit ohne Qualifikation bevorzugt? Meine Frage lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Warum kann unter bestimmten Bedingungen nicht auf diese rigide Maßnahmen verzichtet werden? Ist die Annahme eines Praktikumsplatzes nicht einer Tätigkeit als Ein-Euro-Jobber vorzuziehen?
Um einem Missbrauch zuvorzukommen müssten die Bedingungen natürlich entsprechend festgelegt werden: Vorlage eines Praktikumsvertrags, Praktikumsvergütungspflicht je nach Betriebsgröße, zeitliche Befristung (max. 3 Monate) und Festlegung der Praktikumsinhalte.
Über eine Antwort Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Voigt
Sehr geehrter Herr Voigt,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben, das mich über www.abgeordnetenwatch.de erreicht hat.
Wie Sie richtigerweise feststellen, setzt sich die grüne Bundestagsfraktion intensiv gegen Ausnutzung in Praktika und unfaire Praktikumsbedingungen ein. Unsere Leitlinien dabei lauten: Wo Praktikum drauf steht, muss Fairness drin sein. Und: Praktika und Praxisanteile in Studium und Ausbildung stärken, damit Praktika danach überflüssig sind.
Natürlich wollen wir niemandem ein Praktikum nach dem Studium verbieten. Doch vermeintliche Zwangslagen, in denen ein „Berufseinstieg ohne Praktikum (von AbsolventInnen) unmöglich“ sei – wie von Ihnen geschildert – akzeptieren wir nicht ohne weiteres. Vor allem dann nicht, wenn kleinere Betriebe auch noch von einer Vergütungspflicht für PraktikantInnen freigesprochen werden sollen.
Studium und Ausbildung müssen durch Praktika und Praxisanteile gestärkt werden, damit sie auch de facto das bieten, was sie de jure verkünden: einen berufsqualifizierenden Abschluss. Und wenn junge Menschen nach Studium oder Ausbildung dennoch ein Praktikum absolvieren wollen – sei es zur beruflichen Orientierung oder zur Weiterqualifizierung – dann muss dieses Praktikum klaren Mindeststandards genügen – und zwar unabhängig von der Betriebsgröße. Zu einem fairen Praktikum gehören für uns Grüne u. a. eine Aufwandsentschädigung, eine Höchstdauer von vier Monaten und ein schriftlicher Vertrag.
Grundsätzlich ist eine Weiterqualifizierung in einem fairen Praktikum einem nicht-qualifizierenden Ein-Euro-Job vorzuziehen. Allerdings darf die Förderung eines solchen Praktikums durch die Arbeitsagentur nicht dazu führen, dass unentgeltliche AbsolventInnenpraktika von Unternehmen durch den Staat subventioniert werden. In erster Linie sind die Praktikumsgeber für eine Aufwandsentschädigung zur Sicherung des Lebensunterhalts zuständig.
Mit freundlichen Grüßen
Irmingard Schewe-Gerigk