Ingrid Nestle sitzend vor einer grünen Hecke in einem orangefarbenen Blazer
Ingrid Nestle
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wilfried T. •

Warum wird die Kraftwerksstrategie des BMWK für den Einsatz fossiler Energie bei 10 Gaskraftwerken von den Grünen mitgetragen?

Biogas war vor einiger Zeit, speziell von den nordeutschen Grünen, durchaus als Option für Back-Up vorgesehen. Allgemeiner Konsens ist die hierfür erforderliche Änderung der Vergütung. Jetzt behauptet der "Lobbyverband Biogas" nicht einmal in der vorab Diskussion berücksichtigt worden zu sein. Gleichzeitig stellt es bei YouTube zusammen mit dem grünen Urgestein Hans-Josef Fell eine Strategie vor, die völlig ohne diese 10 Gaskraftwerke auskommt.
https://youtu.be/eSrzOJTIrfk?si=5jAdBAA0pZ1vrqy7
Warum verfolgt man nicht konsequent diese dezentral Back-Up Option? Gleichzeitig erhöht es die lokale Wertschöpfung.
Der Hinweis auf den zukünftigen Einsatz von Wasserstoff kann, selbst wenn verfügbar, wirtschaftlich nicht mithalten. Wo bleibt zumindest die technische Auseinandersetzung mit der Biogas Lobby? Den aktuellen Konflikten mit der Agrarindustrie könnte man auch wirtschaftliche Perspektiven bieten.

Ingrid Nestle sitzend vor einer grünen Hecke in einem orangefarbenen Blazer
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr T.,

Vor ein paar Jahren habe ich mich schon einmal intensiv mit Filmen von Herrn Farenski auseinandergesetzt, die ich leider für unseriös halte. Eine ganze Reihe der Behauptungen sind fachlich nicht haltbar, die Unterstellungen schlicht dreist. Interessieren würde mich, wer diesmal die Produktion finanziert hat und welche Lobbyinteressen dahinter stehen. Soweit ich erkennen kann, wird das nicht transparent gemacht - oder haben Sie einen Hinweis gesehen?

Auch in diesem Film stimmt Verschiedenes nicht. Ein paar Beispiele.

- Es wird behauptet, die Bundesregierung habe mit der Kraftwerksstrategie "ein Element herausgegriffen“ um mit der Wetterabhängigkeit von Wind und Sonne umzugehen und den Rest ignoriert. Das ist schlicht falsch. Die Bundesregierung und wir im Parlament haben schon zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, und zwar zu allen 4 im Film genannten Bereichen. Z.B. bessere Nutzung Biogasanlagen, Förderung Speicher über Eigenstrom und Verlängerung der Netzentgeltbefreiung, Ermöglichung der Neufassung von §19 (2) StromNEV zur Verbesserung der Nachfrageflexibilität, zahlreiche Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus auf Übertragungsnetz- und Verteilnetzebene. In der Kraftwerksstrategie wird der zusätzlich notwendige Zubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken adressiert. Wir packen niemals alle notwendigen Maßnahmen in ein Gesetzgebungspaket, weil das nicht sinnvoll zu bearbeiten wäre und viel zu lange dauern würde. Es ist ja vielmehr so, dass wir zu den vier von Herrn Fell benannten Elementen zuerst Gesetzgebung auf den Weg gebracht haben und jetzt Regeln für die wasserstofffähigen Kraftwerke dringend notwendig sind.

- Als Beweis, dass die 10 GW nicht notwendig seien, wird angeführt, man könne 4 GW Biogas auch auf 10-12 GW hochskalieren. Diese werden aber zusätzlich gebraucht. Es ist klar, dass die 10 GW bei weitem nicht reichen werden und es laufen schon die Diskussionen in der Regierung, wie der weitere Zubau organisiert werden soll. Dabei spielen ebenso eine stärkere Flexibilisierung der Biogasanlagen eine Rolle, wie auch die zum Beispiel von der FDP oft benannten Kapazitätsmärkte. Tatsächlich zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien in bemerkenswerter Übereinstimmung, dass für 100% Erneuerbare ca 60-70 GW Gaskraftwerke sinnvoll sind. Natürlich werden diese am Ende mit Wasserstoff betrieben und nur sehr selten eingesetzt, da Wasserstoff absehbar teuer bleiben wird. Deshalb sind die anderen Elemente der Flexibilisierung auch so wichtig und werden von der Ampel entschieden vorangetrieben.

- Eine ganz banale Sache: in der Kraftwerksstrategie geht es gar nicht um 4 Gaskraftwerke, wie im Film und dem Text behauptet, sondern um 4 Ausschreibungsrunden in denen jeweils mehrere Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 2,5 GW bezuschlagt werden sollen. Das werden kleinere Kraftwerke sein, die so auch verteilter an strategisch wichtigen Punkten im Stromnetz angesiedelt werden können.

- Herr Farenski erweckt den Eindruck, die Elemente der 4 Stufen-Strategie wären quasi sofort da. Das ist falsch. Für alle 4 sind deutliche Investitionen und teils tiefgreifende Reformen des Strommarktes notwendig, die alle über Jahre begleitet und aufgebaut werden müssen. Auch deshalb haben wir längst mit der Arbeit an diesen Themen begonnen, nichts davon wird aber über Nacht fertig.

- Herr Fell behauptet, nur die fossilen Konzerne hätten Zugang zu Ministerien und Parlamentariern. Diese Einschätzung teile ich nicht. Inzwischen ist auch die Erneuerbaren Lobby finanzkräftig und weiß sich bei manchen Themen sehr wohl Gehör zu verschaffen. Auch hier steht manchmal der kurzfristige Profit mehr im Mittelpunkt als die langfristig optimale Entwicklung des Zubaus. Bei mir persönlich gehen die Hauptkontakte zum Thema Energiewirtschaft in die Wissenschaft. Von dort habe ich auch die klare Erkenntnis, dass wir wasserstofffähige Gaskraftwerke bauchen, um 100% Erneuerbare zu erreichen. Dass sie zunächst mit fossilem Gas betrieben werden, ist kaum zu vermeiden, da grüner Wasserstoff schlicht noch nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. Würden die Gaskraftwerke in dieser Übergangszeit mit grauem Wasserstoff aus fossilem Gas betrieben, wäre das deutlich klimaschädlicher als die direkte Verwendung von Erdgas.

Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich nur die Hälfte des Films geschaut habe. Es bleibt sehr viel zu tun und der Film hilft nicht bei den anstehenden großen Herausforderungen. Vielen Dank, dass Sie bei mir nachgefragt haben und ich so die Gelegenheit habe, meine Wahrnehmung der Situation zu schildern.

Und noch kurz zu Ihrer Frage nach der Auseinandersetzung mit der Biogas-Lobby: In der Tat finde ich den Gedanken einer deutlich flexibleren Fahrweise der Biogasanlagen sehr interessant. Es gibt ein spannendes Konzept, laut dem die Anlagen statt 8000 Stunden im Jahr nur noch 1000 Stunden laufen würden, dann natürlich mit viel höherer Leistung. Zugleich könnten sie Wärmenetze über Wärmespeicher zuverlässig versorgen. Ich habe es nicht selbst durchgerechnet, aber ich nehme wahr, dass auch verschiedene andere grüne Akteure Interesse daran haben. Sollte es finanziell und technisch wie präsentiert umsetzbar sein, werde ich mich gerne weiter dafür einsetzen. Zu Bedenken ist nur auch immer, dass wir eine hohe Flächenkonkurrenz haben. Mit einer Kombination aus Solar-Freifläche und Elektrolyseuren kann auch grünes Gas produziert werden, und für den gleichen Energiegehalt braucht man nur ein Fünftel der Fläche. Deshalb geht es auch darum, diese Entwicklung in Zukunft zu stärken.

Mit besten Grüßen

Ingrid Nestle

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