Frage an Ingrid Hönlinger von Wolfgang S. bezüglich Wirtschaft
ESM 29.06.2012 16:52 Uhr
Sehr geehrte Frau Hönlinger,
bevor Sie über den Fiskalpakt und den ESM abstimmen, lesen Sie bitte unbedingt
Art. 9 Abs. 3 und insbesondere Art. 25 Abs. 2 des ESM Vertrages. Nach meinem Verständnis haftet Deutschland, wenn andere Länder ihre Einzahlungsverpflichtungen nicht erfüllen können mit dem vollen Betrag, d.h. Deutschland müsste im Zweifel die gesamten Zahlungen für sämtliche Mitglieder des ESM übernehmen, wenn diese - was wahrscheinlich ist - ausfallen.
Können Sie die Übernahme von Schulden in Höhe von über 700 Milliarden Euro durch Ihre Wähler mit Ihrem Gewissen verantworten?
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Sibold
Sehr geehrter Herr Sibold,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe dem ESM zugestimmt, da es mir ein wichtiges Anliegen ist, dass der Euro und somit die Europäische Union dauerhaft stabilisiert werden.
Der ESM beinhaltet ein zentrales Prinzip: Es gibt grundsätzlich nur Hilfe gegen Auflagen oder wenn ein Land die Vorgaben aus dem Europäischen Semester, dem Stabilitäts- und Wachstums-Pakts und dem Verfahren bei übermäßigen Ungleichgewichten einhält. Das bedeutet, der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten die vorab getroffenen Vereinbarungen bzw. die Vorgaben innerhalb des Europäischen Überwachungsverfahrens auch sicher einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft.
Die Summe der deutschen Gewährleistungen ist klar begrenzt. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden. Vereinbarungen, durch die dauerhafte vertragliche Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, wären nicht verfassungsgemäß. Das gilt vor allem, wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung am 07. September 2011 fest. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden.
Die Finanzminister im ESM-Gouverneursrat können nicht ohne die vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages eine Aufstockung des ESM beschließen. Bevor der deutsche Finanzminister im Gouverneursrat einer Erhöhung des Rettungsschirmvolumens zustimmt, muss der Deutsche Bundestag hierzu einen zustimmenden Beschluss fassen. Sagt der Bundestag "Nein", so ist der deutsche Finanzminister gesetzlich verpflichtet, im Gouverneursrat die Aufstockung abzulehnen. Und dadurch, dass eine Aufstockung nur im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen werden kann, würde an nur einer Ablehnung eine geplante Aufstockung scheitern. Anders stellt es sich jedoch dar, wenn der Gouverneursrat genehmigtes nicht eingezahltes Kapital abruft und den Mitgliedern eine angemessene Frist für die Einzahlung setzt. Diese Situation kommt zum Tragen, wenn ein Land die Kredite an den ESM nicht zurückzahlt und dieser somit bei seinen Gläubigern in der Schuld steht. In einem solchen Moment muss der ESM dann auf seine Bareinlage zurückgreifen, um die Verluste aufzufangen. Das ist wichtig, damit der ESM als verlässlich gilt und ein gutes Rating erhält. Die Bareinlage muss der ESM dann auffüllen, indem er einen höheren Anteil des zugesagten Kapitals abruft. Der Bundestag entscheidet nachträglich über die Einzahlung innerhalb eines Nachtragshaushalts.
Der ESM hilft, den Weg für mehr europäische Integration zu bereiteten. Das kostet Geld. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre. Und politisch brauchen wir eine starke und handlungsfähige EU, um den globalen Herausforderungen begegnen zu können. Der ESM kann nur ein Element der finanzpolitischen Zusammenarbeit in Europa sein. Gleichzeitig brauchen wir eine Wirtschafts- und Solidarunion, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten und somit wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten frühzeitig erkennt, sowie eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dazu bedarf es noch intensiver weiterer Verhandlungen, bei denen wir Grünen uns auch weiterhin einbringen und uns für eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestages einsetzen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Hönlinger