Frage an Ingrid Hönlinger von Brigitte L. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Hönlinger,
wie stehen Sie bzw. die Grünen konkret zu dem Bahnprojekt S21?
Bei einer der letzten Demos gegen S21 wurde von Seiten der Grünen kundgetan, dass bei einer möglichen Koalitionsverhandlung mit der SPD nach der Landtagswahl im März 2011, nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Bahnprojekt S21 gestoppt werden kann.
Damit sind die Grünen für mich nicht wählbar!
Nur wenn die Grünen eine eindeutige Aussage zu K21 abgeben, ohne wenn und aber, werde ich meine Stimme den Grünen geben.
Ansonsten muss ich mir die Partei aussuchen, die eindeutig Stellung zu K21 bezieht.
Es grüßt Sie freundlich
Brigitte Linsenmaier
Sehr geehrte Frau Linsenmaier,
bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort. Ich möchte nun die Gelegenheit nutzen, auf die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Stuttgart 21 einzugehen.
In den letzten Tagen erreichten mich persönlich zahlreiche Schreiben, in denen viele ihren Ärger und ihre Unzufriedenheit mit den Baumaßnahmen im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 zum Ausdruck brachten. Viele beklagten auch, dass sich die Grünen in der Landesregierung, unser grüner Ministerpräsident, aber auch wir als baden-württembergische Bundestagsabgeordnete eher zurückhaltend zu den Baumaßnahmen der Deutschen Bahn AG im Zuge der Realisierung von Stuttgart 21 äußern würden.
Eines vorneweg: auch ich bin sehr unzufrieden! Wir Grünen teilen Ihre Enttäuschung über das Ergebnis der Volksabstimmung und die daraus resultierende Umsetzung des Bahnhofsprojektes Stuttgart 21. Zur Landtagswahl im März des vergangenen Jahres sind wir in Baden-Württemberg mit dem Ziel angetreten, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, eine Alternative zum Projekt Stuttgart 21 zu finden und auch die Befürworter von den Nachteilen dieses Bahnhofsprojektes zu überzeugen. Die einzige Chance hierzu war der Kostendeckel und eine Volksabstimmung über den Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21, das war schon vor der Landtagswahl klar. Von allen vier im Landtag vertretenen Parteien nehmen nach wie vor nur Bündnis 90/Die Grünen eine klar ablehnende Haltung zum Projekt ein. Da unser Koalitionspartner in Bezug auf Stuttgart 21 in weiten Teilen eine andere Auffassung vertrat (und vertritt) als wir, hatten wir gemeinsam entschieden, das Volk im Rahmen einer Volksabstimmung über die Realisierung des Projektes abstimmen zu lassen. Mit der Volksabstimmung über das „S 21-Kündigungsgesetz“ hatten die Bürgerinnen und Bürger zum ersten Mal in der Geschichte Baden-Württembergs die Gelegenheit, jenseits von Wahlen unmittelbar Einfluss auf die Entscheidung in einer Sachfrage zu nehmen.
Leider hat die Volksabstimmung nicht zu dem Ergebnis geführt, das wir uns gewünscht hätten. An der Abstimmung hat sich ein beachtlicher Teil, fast die Hälfte der Abstimmungsberechtigten beteiligt, wobei sich 58,8 Prozent derWählerinnen und Wähler für das Projekt aussprachen. Auch in Stuttgart selbst waren die Befürworter desWeiterbaus eindeutig in der Mehrheit. Das eindeutige Votum ist für uns eine schmerzliche Entscheidung, dennoch haben wir uns daran zu halten und den Willen des Souveräns zu akzeptieren. Denn die Informationen über das Projekt und dessen Risiken waren einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Kaum ein anderes Infrastrukturprojekt wurde so lange und intensiv durch Politik und Öffentlichkeit begleitet. Unsere Aufgabe ist es nun, dafür Sorge zu tragen, den Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern weiter zu befrieden.
Forderungen, den Abriss des Südflügels zu stoppen oder Maßnahmen im Schlossgarten nicht zuzulassen, bevor das gesamte Projekt (also nicht nur die Abschnitte im Bahnhofsareal selbst) planfestgestellt ist, sind nicht umsetzbar. Denn wo ein Baurecht besteht, kann die Deutsche Bahn AG dieses auch einfordern, sofern Gerichtsentscheidungen sie nicht daran hindern. Wir haben uns einen anderen Auftrag durch die Volksabstimmung sehr gewünscht - aber leider nicht bekommen. Deshalb besteht jetzt die Aufgabe der Landesregierung leider darin, den Bau von Stuttgart 21 zu fördern und den Projektverlauf konstruktiv, aber auch kritisch zu begleiten. Die Landesregierung ist durch die Volksabstimmung zum Bau von Stuttgart 21 verpflichtet worden.Wir alle haben weiter dafür Sorge zu tragen, dass die Schwächen des Projekts, die im Rahmen der Schlichtung zu Tage gefördert wurden, behoben werden, die naturschutz- und wasserrechtlichen Bestimmungen eingehalten und der Kostendeckel nicht überschritten wird. Zu den naturschutzrechtlichen Bestimmungen haben wir als Bundestagsfraktion Anfang Januar diesen Jahres eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, deren Beantwortung noch aussteht.Wir lassen die Baumaßnahmen der Deutschen Bahn AG also nicht unbeobachtet und werden das auch in den nächsten Jahren nicht tun.
Die Hauptrolle beim Überwachen der Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften spielt jedoch das Eisenbahnbundesamt als (Bundes-) Fachbehörde. Es ist für die Planfeststellungsverfahren bei Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes zuständig. Die Träger öffentlicher Belange (z.B. die untere Naturschutz- oderWasserbehörde) werden an den Planfeststellungsverfahren nur in Form der Anhörung beteiligt. Daher erhalten die Landesregierung und wir als Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag leider nur einen sehr begrenzten Einblick in das Verfahren. Die mangelnden Auskunftsrechte des Bundestags gegenüber der Deutschen Bahn AG haben uns auch dazu bewogen, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen. Beim Grundwassermanagement hat die Bahn dieses Verfahren missachtet, weshalb der BUND mit seiner Klage beim Verwaltungsgericht Mannheim Erfolg hatte. Das Land und seine Behörden sind nicht am Verfahren beteiligt, auch eine Zustimmung des Landes ist nicht erforderlich. Diese für uns unbefriedigende Regelung kann nur auf Bundesebene für Infrastrukturprojekte von besonderer Bedeutung diskutiert und geändert werden. Das steht jedoch gegenwärtig nicht auf der Agenda der Bundesregierung. Beim Natur- und Artenschutz und beim Schutz des Mineralwassers ist es ebenfalls Aufgabe des Eisenbahnbundesamtes, auf die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen bei den weiteren Bauschritten wie Baumversetzungen, Baumfällungen und Grundwassermanagement im Mittleren Schlossgarten zu achten. Auch hier müssen das Land und seine Behörden nicht direkt am Verfahren beteiligt werden und haben daher keine vorgeschriebenen Mitwirkungsrechte. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg bringt sich hier über Abgeordnete und Mitarbeiter/innen des Arbeitskreises Ländlicher Raum und Verbraucherschutz ein, dem der Naturschutz zugeordnet ist.
Am 26. Januar 2012 hat das Eisenbahnbundesamt die geplanten Baumfällarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 zwar genehmigt, vollständiges Baurecht für alle S-21-Maßnahmen hat die Deutsche Bahn deswegen aber aus unserer Sicht noch nicht. Wir gehen davon aus, dass das Eisenbahnbundesamt alle natur- und artenschutzrechtlichen Aspekte geprüft hat, denn aus unserer Sicht ist deren Einhaltung von entscheidender Bedeutung. Das sollte auch im Interesse der Bahn sein, wenn sie die Spaltung in der Landeshauptstadt überwinden und zu einer Befriedung beitragen möchte. Unabhängig von der Entscheidung des Eisenbahnbundesamtes gilt das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2011, das die Verletzung des Mitwirkungsrechts des BUND bestätigt hat. Für das Grundwassermanagement gilt deshalb weiterhin kein Baurecht. Hier muss die Deutsche Bahn zuerst ein Planänderungsverfahren durchführen, an dem die Naturschutzverbände beteiligt werden müssen. Selbstverständlich dürfen keine rechtswidrigen Maßnahmen von Seiten der Bauherrin getroffen werden, weshalb die Deutsche Bahn AG auch vom Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden- Württembergs nochmals ausdrücklich zur Einhaltung sämtlich öffentlich-rechtlicher, insbesondere der natur- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen, verpflichtet wurde. Die Übergabe der landeseigenen Flächen an die Deutsche Bahn AG soll daher erst dann erfolgen, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind.
Die größte Einflussmöglichkeit der Landesregierung bei der Begleitung des Projekts besteht darin, darauf zu achten, dass der vertraglich vereinbarte Kostendeckel von 4,526 Milliarden Euro eingehalten wird: Denn der Kostendeckel gilt unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung. Hierzu gibt es einen einstimmigen Beschluss des Ministerrats vom 13. September 2011. Wird dieser Kostendeckel überschritten, beteiligt sich das Land nicht an den Mehrkosten.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Hönlinger