Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU
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Frage von Michael U. •

Frage an Inge Gräßle von Michael U. bezüglich Finanzen

Demnächst entscheiden Sie als Mitglied im Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments über die Ernennung beziehungsweise die Wiederernennung von Mitgliedern des Europäischen Rechnungshofes.

Laut EG-Vertrag werden die Mitglieder des Rechnungshofes auf sechs Jahre ernannt.

In seiner Entschließung A3-0345/92 zum Verfahren der Konsultation des Europäischen Parlaments bei der Ernennung der Mitglieder des Rechnungshofs hat das Parlament erklärt, es erscheine „nicht wünschenswert, dass ein Mitglied mehr als zwei Mandate ausüben darf.“ (siehe Ziffer 4 g) der Entschließung).

Der von der niederländischen Regierung vorgeschlagene Kandidat, Herr Maarten B. Engwirda, ist seit Januar 1996 im Rechnungshof, hat also bereits zwei Mandate absolviert.

Trotzdem ist er jetzt wieder Kandidat für eine Erneuerung seines Mandats. In einer Erklärung, die dem Berichtsentwurf über seine Ernennung beigefügt ist (Berichterstatterin Ines Ayala Sender, 2007/0815CNS vom 17. Oktober 2007), schreibt Herr Engwirda: „Ich habe die Regierung meines Landes informiert, dass ich nur noch eine halbe Amtszeit anstrebe, d.h. 3 Jahre anstatt der vollen Amtszeit von 6 Jahren. Die niederländische Regierung hat diese Bitte akzeptiert.“

Herr Engwirda hat also offenbar mit seiner Regierung eine Vereinbarung getroffen, sich über die Bestimmungen des EG-Vertrages hinwegzusetzen. Vielleicht war eine solche Vereinbarung auch die Voraussetzung, um überhaupt noch einmal vorgeschlagen zu werden.

Werden Sie einem solchen Deal zustimmen?

Wird es über die Kandidaten im Parlament eine namentliche Abstimmung geben?

Dr. Inge Gräßle
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Urnau,

vielen Dank für Ihre Mail. Die Ernennung der Mitglieder des Europäischen Rechnungshofs ist geregelt in Art. 246 ff EG-Vertrag. Vorschriften für Mitglieder werden dort nur in Fragen der Unabhängigkeit und der Qualifikation der Mitglieder gemacht; für die Ernennung sind einzig die Mitgliedstaaten verantwortlich. Das Parlament hat nur ein Anhörungsrecht. Eine Wiederernennung ist zulässig, auch eine mehrmalige Wiederernennung. Ein 3. Mandat verstößt also nicht, wie Sie schreiben, gegen den EG-Vertrag (ein solches 3. Mandat hatte übrigens bereits der Vorgänger des aktuellen holländischen Mitglieds, Middelhoeck, der als einer der fünf "Weißen" bei der Reform der EU-Kommission nach dem Rücktritt der Santer-Kommission eine wirklich bemerkenswerte, verdienstvolle Arbeit geleistet hat).
Die Resolution des EP hat keine rechtliche Wirkung, sondern einen rein politischen Charakter: Es ist eine Empfehlung der europäischen Volksvertreter und -innen an die Mitgliedstaaten. Hier ist das EP gut beraten, genau zu überlegen, wie es mit Vestößen gegen seine Empfehlungen umgeht.

Die Anhörung der Kandidaten zum Rechnungshof beginnt am kommenden Dienstag um 9 Uhr vor dem Haushaltskontrollausschuss in Brüssel. Nicht nur der holländische Kandidat, sondern gleich mehrere andere entsprechen nicht den in der Resolution niedergelegten allgemeinen Empfehlungen, die auch das Höchstalter bei 65 Jahren sieht sowie eine angemessene Vertretung von Frauen will. Auch der österreichische Kandidat und aktuelle Präsident des ERH bewirbt sich 68jährig um ein drittes Mandat, der französische Kandidat bewirbt sich 65jährig zum ersten Mal; 2005 hat das EP trotz seiner Resolution den italienischen Kandidaten mit 68 akzeptiert, den spanischen mit 62. Die Zahl der Frauen sinkt durch das Handeln der Mitgliedstaaten von 4 auf 3 von 27. Alles in allem waren die Mitgliedstaaten bei ihrer Kandidatenauswahl sehr einseitig unterwegs; ich gehe davon aus, dass das Europäische Parlament dies auch zum Ausdruck bringen wird. Wir werden die Auswahl der Kandidaten auch gegenüber dem Rat der Mitgliedstaaten zum Thema machen. Was soll das EP also machen in dieser schwachen Rechtsposition? Die Kandidaten ablehnen und sie hinterher in Amt und Würden sehen, wie bereits 2004. als es zwei Kandidaten die Zustimmung versagte, von denen immerhin einer zurückzog, der andere aber heute Rechnungshofmitglied ist?

Als Obfrau der Europäischen Volkspartei empfehle ich meiner Fraktion, sich auf den EG-Vertrag zurückzuziehen: Im Mittelpunkt meiner Wahlempfehlung an die Kolleginnen und Kollegen wird die Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten stehen, ihre Unabhängigkeit und ihre Bereitschaft, das EP bei seiner Kontrollaufgabe zu unterstützen. Der Europäische Rechnungshof ist der wichtigste Partner des Haushaltskontrollausschusses: Die vielfältigen Aufgaben der EU, der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und die gemeinsame Strategie, zu besseren Ergebnissen als bisher zu kommen, werden meine Wahlempfehlung und -entscheidung prägen.
Das Votum im Plenum selbst ist eines der wenigen geheimen Voten im EP aus Respekt vor der besonderen Bedeutung des Hofes; eine namentliche Abstimmung ist deshalb nicht möglich.
Das EP hat in der Auseinandersetzung zwischen EU-Kommission und Rechnungshof im vergangenen Jahr über Wiedereinziehung von EU-Mitteln und das Management von EU-Programmen gezeigt, dass es die Methoden und Vorgehensweisen des Hofes verteidigt und hat ihn in seiner Unabhängigkeit gestärkt. Wir werden diesen Weg weiter gehen. Und der Rat hat wieder einmal gezeigt, dass er im institutionellen Gefüge der EU die eigentliche Schwachstelle ist.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen gedient zu haben; für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung und bin

mit freundlichem Gruß

Dr. Inge Gräßle MdEP
Obfrau der EVP-Fraktion im Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments
Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Gruppe

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