Frage an Inge Gräßle von Martin S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Dr. Grässle,
zu Ihrer Antwort vom 4 Juni 2013 auf die Frage, wie es trotz des um ca. 50 % geringeren Mittelabrufs durch die Mitgliedstaaten in den Jahren 2012 und 2013 zu einem Defizit von 9 bzw. 8 Mrd. Euro im EU-Haushalt kommen konnte, habe ich noch folgende Fragen:
1. In welchem Prozentsatz übersteigen jährlich die im EU-Haushalt ausgewiesenen Verpflichtungen die ausgewiesenen jährlichen Ausgaben?
2. Erfahrungsgemäß melden die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausgabenplanung eher mehr als weniger Ausgaben an. In welchem Prozentsatz übersteigen die jährlichen Meldungen der Mitgliedstaaten zum geplanten Mittelabfluss den tatsächlichen Mittelabfluss?
3. Wer ist für die Entscheidung für über- bzw. außerplanmäßige Ausgaben verantwortlich?
Der Europäische Rat, die Kommission, das Parlament oder ein Parlamentsausschuss?
Welche Aufgaben hat der Haushaltskontrollausschuss im Blick auf Budgetüberschreitungen im EU-Haushalt?
4. Der Presse war zu entnehmen, dass die Kommission beabsichtigt, den Fehlbetrag zu einem Drittel durch Anlastungen auszugleichen.
Verstehen Sie die Sorgen, dass angesichts des von der EU verursachten Defizits die Kontrollinstanzen der Kommission sich bei den Prüfungen vorwiegend vom Defizitausgleich leiten lassen?
5. Mit Entschließung vom 27. September 2011 hat sich das Europäische Parlament im Hinblick auf einen besseren Mittelabfluss bei den Strukturfondsmitteln dafür ausgesprochen, dass sich die Kontrollinstanzen bei der Prüfung nicht auf Verhaltens-, sondern auf die Erfolgskontrolle konzentrieren sollten.
Was unternimmt das Parlament bzw. der Haushaltskontrollausschuss, damit diese Entschließung durch die Kommission umgesetzt wird und nicht nur ein wortreiches Dokument bleibt?
Mit freundlichen Grüßen
Martin Schlotterbeck
Sehr geehrter Herr Schlotterbeck,
danke für Ihre Nachfragen. Zu den Fragen 1 und 2: Das Problem besteht grundsätzlich darin, dass die jährlichen Verpflichtungsermächtigungen 2%, 3% und noch mehr über den Zahlungen liegen können. 2007-2013 wurden 50 Mrd. weniger Zahlungen eingestellt als Verpflichtungen zugebilligt. Für die Zahlungen gilt ein Abwicklungszeitraum der Verpflichtungen von (je nach Mitgliedstaat) bis zu vier Jahren, von daher schieben manche Mitgliedstaaten gewaltige Bugwellen vor sich her, die die EU abfinanzieren muss, wenn es "endlich" zur Realisierung der ins Auge gefaßten Projekte kam.
Bislang war das kein Problem, weil die erforderliche nationale Kofinanzierung nicht alle Projekte zur Realisierung brachte. Das hat sich jetzt mit der Absenkung der nationalen Kofinanzierungsraten und der Erhöhung des europäischen Anteils verschoben. Das ist eines der Ursachen für die verschärfte Situation im EU-Haushalt.
Die Generaldirektion Haushalt der EU-Kommission kann Ihnen für Ihre Detailfragen die notwendigen Antworten schneller geben als ich, die ich nur mit großer Mühe und entsprechendem Zeitaufwand aus meinen Akten rekonstruieren könnte.
Zur Frage 3: Die EU-Kommission darf im Rahmen des Haushaltsmanagements Mittelübertragungen im laufenden Haushalt bis zu einer bestimmten Höhe selbst vornehmen (siehe Haushaltsordnung der EU). Die vorliegenden Größenordnungen muss sie sich von Rat und Parlament in einem Nachtragshaushalt genehmigen lassen. Wir sprechen hier vom Gesamtparlament. Der Haushaltskontrollausschuss wird sich das Haushaltsjahr 2013 erst im nächsten Jahr anschauen im Zug des Entlastungsverfahrens. Für Mittelübertragungen i laufenden Jahr ist der Haushaltsausschuss zuständig.
zu Frage 4: Ja, allerdings und ich habe dies bereits im November 2012 während der Haushaltsgespräche mit dem Rat zum Thema gemacht. Weil die EU-Haushaltskontrollen gerade so NICHT funktionieren dürfen. Mir wurde damals und seitdem mehrmals gesagt, es sei ein Mißverständnis. Ich beobachte dies sehr aufmerksam und wäre um Hinweise dankbar, wenn die EU-Kommission ihre Kontrollintensität und ihre Sanktionspolitik von den verfügbaren Mitteln abhängig machte. Das gefährdet die Glaubwürdigkeit dieser Systeme.
zu Frage 5: Es ist ein permanentes Ärgernis, dass die Mitgliedstaaten sich über die vielen Kontrollen der EU beschweren und der Rechnungshof über die mangelhaften, nicht ausreichenden Kontrollen. Vielleicht stimmt ja beides. Ich mache die Erfahrung, dass es schon bei der Rechtsgrundlage anfängt: Was dort nicht als Auflage und Verpflichtung steht, kann man nicht prüfen... Ich setze mich also für eine "bessere", klarere Rechtssetzung ein und hoffe inständig, dass dies bei den Verhandlungen zu den neuen Strukturfondsprogrammen, die gerade laufen, auch als Ergebnis herauskommt.
Wir haben schon Ergebnisse der Umsetzung durch die Kommission, nämlich - etwa in Rumänien und Bulgarien - eine strengere Mittelimplementierungskontrolle durch die EU. Wir lassen uns auch regelmäßig berichten, wie es umgesetzt wird und gehen gelegentlich vor Ort.
Mit freundlichem Gruß
Inge Gräßle