Frage an Inge Höger von Karsten S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Höger,
ich wende mich an Sie, weil sie Vertreterin meines Wahlkreises sind und möchte Ihnen folgenden Fall aus meinem Bekanntenkreis schildern:
Bei einem befreundeten Ehepaar steht Nachwuchs an. Bewusst verzichten sie auf die angeratende Fruchtwasseruntersuchung. Das Kind kommt 6 Wochen zu früh als Frühgeburt auf die Welt. Durch einen Gendefekt fehlt ihm das rechte Ohr - es kann jedoch auf dem linken Ohr hören. Nach 4 Wochen in der Kinderklinik Minden darf es nach Hause - noch vor dem eigentlich errechneten Geburtstermin.
Wäre das Kind jetzt noch im Mutterleib, durfte es laut aktueller Gesetzeslage (medizinische Indikation aufgrund des Gendefektes) straffrei getötet werden.
Ist diese Gesetzeslage nicht skandalös? Was kann ich tun, damit das Gesetz schnellstmöglich geändert wird?
Vielen Dank für Ihre Mühe.
Mit freundlichem Gruss
Karsten Strohkirch
Sehr geehrte Herr Strohkirch
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage vom Juli diesen Jahres.
Gern möchte ich Ihnen meine Position, auch in meiner Funktion als stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, darlegen.
Seit der Geburt des ersten Kindes aus der Retorte vor mehr als 30 Jahren hat sich die Fortpflanzungsmedizin in rasantem Tempo weiterentwickelt.
Sehr verschiedene Fortpflanzungstechnologien haben sich inzwischen etabliert und werden gesellschaftlich mehr und mehr akzeptiert.
Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die pränatale Diagnostik vorgibt, besorgten schwangeren Frauen Sicherheit und Beruhigung bieten zu können. Dabei werden die Ängste der Frauen nahezu schamlos ausgenutzt.
Statt wirkliche Hilfe zu bekommen, geraten die Frauen unter ganz enormen Erwartungsdruck, alles tun zu müssen, um kein behindertes oder krankes Kind zu bekommen. Dabei wird in letzter Konsequenz die gesamte Verantwortung auf die schwangeren Frauen abgewälzt. Sie müssen sich – meist ohne ausreichend informiert worden zu sein! – für oder gegen die Anwendung der Methoden entscheiden. Dabei müssen sie die Folgen, die sie ohnehin kaum abschätzen können, ganz persönlich verantworten und individuell tragen. Hilfen werden ihnen in dieser schwierigen Situation nicht angeboten.
Angesichts dieser Situation für die Frauen spreche ich mich ganz vehement gegen die Praxis der obligatorischen Fruchtwasseruntersuchung aus.
Ich halte es für unverzichtbar, dass betroffene schwangere Frauen umfassend informiert und individuell aufgeklärt werden, welche Risiken, welche Konsequenzen und welche Handlungsalternativen es im Zusammenhang mit der Nutzung der verschiedenen Methoden der Fortpflanzungsmedizin gibt.
Hier sehe ich auch weiterhin ganz gravierende Defizite und entscheidende Handlungsgebote für die Zukunft.
Ganz grundsätzlich fordere ich die Abschaffung des § 218. Jede schwangere Frau hat das Recht, gut und umfassend informiert zu werden, um auf dieser Grundlage für sich selbst eigenverantwortlich und ihrer persönlichen Situation entsprechend Entscheidungen für oder gegen ein Kind zu treffen.
Notwendig ist aber auch ein längst überfälliger breiter interdisziplinärer Dialog und eine breite öffentliche Diskussion darüber, was technisch machbar und was gesellschaftlich wünschenswert ist.
Dazu gehört auch eine breite öffentliche Diskussion über die Frage, wie unsere Gesellschaft generell mit Menschen, die von Behinderung oder Krankheit betroffen sind, umgeht.
Wir können das Rad der medizinischtechnischen Entwicklung nicht zurückdrehen, aber das technisch Machbare darf nicht den Blick verstellen für das ethisch Verantwortbare.
Mit freundlichem Gruß,
Inge Höger